Klimawandel: Klima frisst Kapitalismus
Die Wirtschaft wächst wie schon lange nicht mehr. Der CO2-Ausstoss ebenfalls. Eine Prognose mit garstigem Ausgang.
Der Mann muss Angst haben. Wenn er glaubt, was er erzählt, kommen harte Zeiten. Nicholas Stern war Chefökonom der Weltbank und ist einer, der rechnen kann. Anfang Woche präsentierte der Brite seinen Klimareport, den er im Auftrag von Premier Tony Blair geschrieben hat. Der Report versucht festzumachen, was mit der Weltwirtschaft passiert, wenn nicht schleunigst etwas gegen den Klimawandel unternommen wird.
Stern konstatiert: Machen wir weiter wie bisher, steigt die weltweite Durchschnittstemperatur noch in diesem Jahrhundert um über fünf Grad Celsius. «Das wird die Menschheit in unbekanntes Territorium führen. Um diesen Temperaturanstieg zu illustrieren: Heute ist es auf der Erde nur etwa fünf Grad wärmer als während der letzten Eiszeit.» Die Entwicklungsländer werden am meisten darunter leiden, Millionen von Menschen müssen fliehen, weil ihre Heimat unter Wasser steht oder lange Trockenheit ihre Lebensgrundlage zerstört. Sterns Schlussfolgerung: «Wenn nicht rasch gehandelt wird, verursacht der Klimawandel eine gigantische weltweite Rezession.» Schon bei einem Temperaturanstieg von nur zwei Grad - der bereits 2035 eintreten könnte - schätzt Stern, dass das Bruttoinlandsprodukt der einzelnen Staaten um bis zu drei Prozent sinkt. Bei fünf bis sechs Grad geht er von einem Einbruch um bis zu zehn Prozent aus.
Dies lasse sich vermeiden, schreibt Stern, wenn bis 2050 sechzig bis siebzig Prozent weniger fossile Energie verbraucht würde. Dazu seien auch massive Einschnitte im Transportbereich «ultimativ nötig». Das sagt der Mann, der als Weltbankkader jahrelang die Globalisierung vorangetrieben hat. Jetzt ist die Globalisierung da und entwickelt garstige Kräfte. Ob Stern diesen Zusammenhang erkennt, geht aus dem Report nicht hervor. Hilflos rät er, man müsse fossile Energieträger verteuern sowie CO2-freie Technologien und Energieeffizienz fördern. Es reiche, wenn die Staaten ein Prozent des Bruttoinlandsproduktes investieren würden, um die Wirtschaft klimafreundlich umzubauen. Und um sich nicht untreu zu werden, verkündet er: «Wir können wachsen und grün sein.»
Die Legende vom ressourcenunabhängigen Wachstum hält sich hartnäckig. In den westlichen Industrieländern gab es dieses tendenziell tatsächlich. Insbesondere in der Schweiz. Das war aber nur möglich, weil sich die Schweizer Wirtschaft auf saubere Dienstleistungen spezialisiert hat - jene Industrien, die viel Energie verschlingen und Dreck machen, sind längst ausgelagert. Markant effizienter ist die Schweiz auch geworden. Doch der Energiebedarf ist nicht gesunken. Seit 1990 ist der totale Energieverbrauch in der Schweiz um über zehn Prozent gestiegen, der Verbrauch an Strom gar um über zwanzig Prozent. Mitte der neunziger Jahre war das Land - statistisch gesehen - sparsamer, der Energieverbrauch sank um etwa fünf Prozent. Nicht etwa, weil man umweltfreundlicher war, sondern nur aus einem Grund: Rezession - der Wirtschaft ging es schlecht. Danach stieg das Wirtschaftswachstum wieder und mit ihm der Energieverbrauch. Was immer man in der CO2-Politik bis heute erreicht hat, ist nicht etwa einer umweltverträglicheren Politik zu verdanken, sondern primär ökonomischen Einbrüchen.
Uno-Klimasekretär Yvo de Boer sprach diese Woche in Bonn von einer «dramatischen Trendwende», weil seit dem Jahr 2000 der CO2-Ausstoss weltweit wieder massiv ansteigt. Noch in den neunziger Jahren ging das Kohlendioxid merklich zurück. Deutschland hat zum Beispiel zwischen 1990 und 2004 17,2 Prozent CO2 eingespart. Klingt vielversprechend, ist aber vor allem darauf zurückzuführen, dass die ostdeutsche Wirtschaft darniederlag. In den vergangenen fünf Jahren konnte Deutschland nur noch 0,7 Prozent CO2 einsparen, obwohl der Staat immense Mittel in erneuerbare Energien steckte.
Vor allem die Schwellen- und Entwicklungsländer, die in den letzten Jahren ökonomisch aufholen, haben betreffend CO2-Ausstoss tüchtig zugelegt. Falls nun die Energiepreise angehoben würden, um das Klima zu retten, bedeutete das für diese Länder einen herben Rückschlag. Wollen sie sich entwickeln, wie sich der Westen entwickelt hat, brauchen sie billige Energie.
Es ist ein Teufelskreis. Fossile Ressourcen erlauben es, gigantische Mengen von Gütern über weite Distanzen zu transportieren. Und der Kapitalismus verlangt von Unternehmen, ständig effizienter zu werden und noch schneller, noch mehr zu produzieren. Je grösser das Wachstum, desto grösser die Beschäftigung, desto mehr Geld haben die Leute, um zu konsumieren, was wieder Wachstum generiert - aber eben auch mehr Rohstoffe beansprucht.
«Nullwachstum ist im heutigen System nicht möglich, sonst müsste die Gesellschaft den Unternehmen vorgeben, was und wie viel sie zu produzieren hätten», sagt Gewerkschaftsökonom Daniel Lampart (vgl. Seite 3). Realität ist aber auch, dass sich der Ressourcenverbrauch seit Anfang der sechziger Jahre verdreifacht hat. Jedem Menschen stehen - theoretisch betrachtet - 1,8 Hektaren nutzbarer Boden zur Verfügung. Der weltweite Konsum verbraucht aber im Durchschnitt pro Mensch bereits 2,23 Hektaren. Um nachhaltig zu sein, müsste die Wirtschaft mit 1,8 Hektaren auskommen. In der Debatte gibt es jedoch ein grosses Missverständnis: Alle reden von nachhaltiger Produktion - doch eine nachhaltige Produktion existiert nicht, es gibt nur einen nachhaltigen Konsum. Niemand kann sich aber vorstellen, wie eine Wirtschaft aussehen soll, die auf nachhaltigen Konsum ausgerichtet ist, also eine Wirtschaft, die nicht auf permanentem Wachstum basiert und trotzdem die Grundbedürfnisse aller befriedigt.
Nicht einmal die privilegierte Schweiz ist heute fähig, griffige CO2-Massnahmen politisch durchzubringen. Also wird es auch kaum möglich sein, den nötigen Wirtschaftsumbau auf gerechte Art weltweit anzugehen. Denn welche Instanz soll das tun?
Damit übernimmt das System das Regime - der Kapitalismus wird sich selber fressen. Der Rohstoffverschleiss geht zwangsläufig und ungehemmt weiter, bis die prognostizierte Rezession kommt. Dann sinkt der Energiekonsum von selbst. Es dürfte grausam werden.