Walisische Kohle: Vom Stollen zur Grube

Nr. 46 –

Die selbstverwaltete Zeche Tower Colliery steht vor dem Aus, die Vorräte sind erschöpft. Nun planen die Kumpel neue Projekte - und retten den Klimakiller Kohle.

Unten im Tal sind sie bereits am Aufräumen. Gabelstapler karren mannshohe Rollen in eine Ecke, aufgewickelte Förderbänder, die nicht mehr benötigt werden. In einer Halle stapelt sich bereits allerlei Bohrgerät. In einem Schuppen nebenan legt ein Arbeiter vorsichtig gebrauchte Abbauhämmer nebeneinander. «Das ganze Material ist noch zwei Millionen Pfund wert», sagt er, «so was wirft man nicht einfach weg.» Nur auf den hochgeständerten Transportbändern rattert noch Kohle, die direkt aus dem Schacht kommt, in die Wäscherei, wo sie vom Gestein getrennt wird, und von dort aus über ein weiteres Band zur Trockenhalle und zum Gleisanschluss nördlich der Hauptstrasse. Aber es sind nicht mehr viele Leute zu sehen: Tower Colliery, die einzige von der Belegschaft kontrollierte Zeche Britanniens, haucht allmählich ihr Leben aus.

«Wir fördern derzeit nur noch 300 000 Tonnen im Jahr, halb so viel wie 2006», sagt Tyrone O’Sullivan in seinem Büro beim Schachtturm oben am Hügel - und hat gute Laune. Schon lange sei die Zukunft nicht mehr so grossartig gewesen: «Wir können unseren Enkeln viel bieten», sagt der 62-Jährige. Auf seinem Schreibtisch türmen sich Geschäftspapiere, Broschüren, Flugblätter. An der Wand kleben Zeitungsausschnitte, Bilder von Mahatma Gandhi und Fidel Castro, ein Foto mit Bill Clinton und O’Sullivan, ein Werbeplakat des lokalen Sparvereins, Jack Londons Gedicht über den miesen Charakter des Streikbrechers, der Terminkalender des Rugby-Worldcups. Nur wenige Firmendirektoren sitzen in einem so chaotischen Büro. Aber es haben auch nur wenige Direktoren eine so aufregende Geschichte hinter sich.

Mit fünfzehn Jahren war O’Sullivan erstmals unter Tage gefahren, sein Vater, sein Grossvater und zwei seiner Onkel starben im Stollen. An allen grossen Streiks der Bergarbeitergewerkschaft NUM war er beteiligt gewesen. Beim letzten, dem ein Jahr lang währenden Arbeitskampf der NUM gegen Margaret Thatcher 1984/85, waren die Kumpel von Tower unter seiner Führung sogar eine Woche länger draussen geblieben als alle anderen. Am wichtigsten aber ist ihm immer noch - auch das zeigen die Bilder an seiner Wand - die Rückeroberung von Tower.

1994 hatte die damalige konservative Regierung die Stilllegung der Zeche bekannt gegeben; die Vorräte seien erschöpft, argumentierte sie. Doch die Kumpel wussten es besser: Sie legten das Geld zusammen, das sie als Abfindung bekommen hatten, gründeten eine Kooperative, nahmen einen Millionenkredit auf, kauften die Grube - und am 2. Januar 1995 marschierten 239 Bergleute mit einer grossen roten Fahne von der Ortschaft Hirwaun hinauf zu ihrer alten Zeche in den Hügeln (siehe WOZ Nr. 52/98). «Wir haben es damals allen gezeigt», sagt O’Sullivan, «und wir werden wieder zeigen, dass kleine Leute Grosses bewegen können.»

Geologische Querschläger

Das Tower-Experiment wurde zur Erfolgsstory. Die Belegschaft wuchs zwischendurch auf über 350 Beschäftigte an; das nahe gelegene Kohlekraftwerk Aberthaw schloss langfristige Lieferverträge ab; die Genossenschaft erwirtschaftete einen Gewinn. Die Kumpel zahlten sich überdurchschnittlich hohe Löhne, spendierten Geld für Sozialprojekte, sorgten für sichere Arbeitsbedingungen - es gab nie einen gravierenden Unfall (siehe WOZ Nr. 51/04) - und stimmten regelmässig über die Politik der Geschäftsleitung ab.

Nur ein Schatten lag über ihrem Projekt: «Wir wussten von Anfang an, dass der Kohlevorrat begrenzt ist», sagt O’Sullivan. Anfangs hatte er, der Initiant des Projekts, noch mit einer Lebensdauer der Mine bis 2011 gerechnet. Doch dann («im Bergbau stösst man ständig auf neue Schwierigkeiten») kamen den Bergwerkseigentümern Wasseradern, Gasblasen und rutschende Abhänge in die Quere: «Es wäre zu riskant gewesen, den Abbau weiter voranzutreiben.» Und so wird die vielleicht älteste Zeche der Welt - auf dem Gebiet der Tower Colliery wird seit 1808 Kohle gefördert - Ende Januar 2008 stillgelegt.

Die Zeche wird sterben, doch das Tower-Projekt gehe weiter, sagt O’Sullivan. Er selber wird zwar nichts damit zu tun haben (er geht im nächsten Frühling in Rente), verhandelt aber fast täglich mit möglichen PartnerInnen über eine Verlagerung und Ausweitung der Geschäftstätigkeit. Die Bedingungen dazu sind nicht schlecht. Der Weltmarktpreis für Kohle steigt, der Bedarf an walisischem Anthrazit (einer hochwertigen, schwefel- und aschearmen Kohle) wächst, und die Hügel rund um das Cynon Valley bergen noch viel Brennstoff - schätzungsweise rund sechzig Millionen Tonnen.

Drei Optionen

Darüber, wie es weitergehen soll, entscheidet die Genossenschaft noch im November, spätestens im Dezember. Auf ihrer nächsten Generalversammlung befinden die 230 Anteilseigner der Tower Colliery Ltd. darüber, ob sie die von O’Sullivan geplanten Projekte alleine angehen, die Arbeiten und Geschäftsfelder an andere vergeben oder ob sie alles verkaufen:

Der belegschaftseigenen Firma gehören knapp 200 Hektar Land, das Gebiet reicht vom Schachtgelände am Hügel bis hinunter zur zwei Kilometer weit entfernten Trocknerei. Unter diesem Gelände, auf dem heute Schafe grasen, liegen schätzungsweise drei Millionen Tonnen Anthrazit begraben - Kohle, die nicht im Stollenbetrieb gefördert wird, sondern per Tagebau (Bagger, Sprengungen, Abtransport in grossen Lastwagen). Mehrere Firmen haben sich bereits um den Abbau dieser Kohle beworben. «Die Belegschaft muss entscheiden, ob wir die Federführung behalten oder die Arbeit vergeben», sagt O’Sullivan. Die jährliche Fördermenge von rund einer halben Million Tonnen könnte fünf bis sechs Jahre lang 120 Jobs sichern.

Bei der nahe gelegenen Ortschaft Pontneddfechan lässt derzeit ein Privatunternehmer Stollen in einen Hügel treiben. Dessen Zeche Aberpergwm hat ein Abbaupotenzial von 600 000 Tonnen im Jahr, aber zu wenig ausgebildete Mineure. «Wir kooperieren mit Rhidian Davies», sagt O’Sullivan. «Er hat sich fünfzig Tower-Kumpel ausgeliehen und ist auf uns angewiesen.» Jetzt müsse die Gesellschafterversammlung entscheiden, ob sie dort als Partnerin einsteigt. Mittelfristig bietet Aberpergwm 200 Bergleuten eine Zukunft.

Langfristig setzt O’Sullivan auf die Entwicklung des Tower-Geländes. Die Umgebung ist pittoresk - «ein idealer Ort für Wohnraum, für Museen, für Ausbildungs- und Freizeitzentren». Und für einen «Energiepark», wie er sein Lieblingsprojekt nennt, einen Recyclingbetrieb, der den Zivilisationsmüll nicht - wie sonst in Britannien üblich - nur sammelt, sondern auch aufbereitet. Und «unseren Enkeln bis zu tausend Arbeitsplätze bietet». Die Idee ist so abwegig nicht: Derzeit verhandelt der Tower-Direktor mit sieben Erschliessungsunternehmen, die das Gelände am liebsten sofort kaufen würden.

Widerstandsorte und Ausbildung

Nach dem Ende des Tagebaus in sieben oder acht Jahren könne man hier sogar ein Miners’ Institute wieder aufleben lassen - jene grosse Einrichtung, die es bis vor zwanzig Jahren in jeder Bergarbeitersiedlung in Südwales gab und die wie die ehemals 600 Schachttürme fast allesamt verschwunden sind: Zentren für eine Kultur von unten, Versammlungsorte des Widerstands, wichtiger als die Kirchen.

Auch ein Trainingszentrum ist vorgesehen. In den letzten zwölf Jahren hat Tower Colliery fast hundert Lehrlinge ausgebildet (und nebenbei viele indische Zechenmanager und -inspekteure angeleitet). Drei Dutzend Tower-Kumpel sind derzeit in der südenglischen Stadt Bath im Tunnelbau tätig, um die von heissen Wassern unterspülten Stadtteile vor einem Einbruch zu bewahren. «Ohne Tower hätte die walisische Bergwerksindustrie keine Chance mehr gehabt», sagt Tony Lane, bis vor kurzem Professor an der Universität Cardiff: «Sie haben ausgebildet und der gesamten Region allein schon deswegen einen verdammt guten Dienst erwiesen.»

Aber erweisen sie auch der Umwelt einen Dienst, wenn sie die Zeche Aberpergwm und das Tagebauprojekt auf eigenem Gelände vorantreiben? «Mehr als die Regierung, die zehn neue Atomkraftwerke plant», antwortet O’Sullivan. Ausserdem importierten die Energiekonzerne weit über die Hälfte der für die Stromerzeugung benötigten Kohle aus dem Ausland (die britischen Kohlekraftwerke produzieren ein Drittel des gesamten Strombedarfs). Dank des Aufschwungs der walisischen Kohleindustrie - westlich von Aberpergwm werden Flöze exploriert, im weiter östlich gelegenen Merthyr Tydfil baggert seit Wochen eine Tagebaufirma die Erde ab - könne man zudem Einfluss auf die Politik nehmen, damit diese endlich das Problem der Kohlendioxid-Endlagerung angeht.

Die technischen Möglichkeiten seien vorhanden (vgl. unten), es fehle nur am politischen Willen - und an Geld. «Die CO2-Emissionen kann man kontrollieren. Das ist zwar teuer, aber längst nicht so teuer wie die geplanten AKWs», sagt der altgediente Bergarbeiter. Und redet von seinen Plänen, seinen Enkeln, den Jugendlichen im Tal. Da kennt er sich aus. Und so viel steht fest: Ohne das Tower-Projekt hätten die Kids im Cynon Valley keine Zukunft.


Kohlendioxid-Endlagerung?

Derzeit werden weltweit jährlich rund fünf Milliarden Tonnen Kohle verbrannt, in den kommenden Jahrzehnten könnte die Fördermenge auf zwölf bis fünfzehn Milliarden steigen. Um die absehbaren Folgen für das Klima einzudämmen (Kohle stösst bei der Verbrennung mehr CO2 aus als die Energieträger Öl und Gas), arbeiten Stromfirmen wie RWE - der deutsche Konzern betreibt das südwalisische Kohlekraftwerk Aberthaw - an einer Technik, die eine Trennung des Kohlendioxids von anderen Abgasen ermöglichen soll. Wo das ausgesonderte CO2 aber gebunkert werden soll und kann (in leer gepumpten Gasfeldern?), ist höchst umstritten. Viele ExpertInnen halten eine solche Lösung für unrealistisch.

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