Kosovo: Gefährlicher Präzedenzfall

Nr. 49 –

Zum ersten Mal seit Jahren spricht man wieder von einem möglichen Krieg.

Was hatte die serbische Delegation unter der Leitung von Präsident Boris Tadic und Premierminister Vojislav Kostunica für den Kosovo nicht alles vorgeschlagen: Die Modelle reichten von dem eines britischen Überseegebiets (wie die Falklandinseln) über das einer wirtschaftlichen Unabhängigkeit (wie jene von Hongkong gegenüber der Volksrepublik China) bis hin zur autonomen Verwaltung (wie die finnischen Ålandinseln). Doch die kosovo-albanische Delegation lehnte sämtliche Vorschläge ab. Sie interessierte sich einzig für das Datum ihrer Unabhängigkeitserklärung - versicherte jedoch gleichzeitig, dass diese in Absprache mit der «internationalen Gemeinschaft» erfolgen werde.

Jetzt wird die diplomatische Troika aus VertreterInnen der USA, der EU und Russlands dem Uno-Generalsekretär am 10. Dezember ihren Bericht vorlegen. Allerdings wird es sich dabei um kaum mehr als eine Aufzählung der Differenzen zwischen der Regierung der Republik Serbien in Belgrad und der serbischen Teilrepublik Kosovo handeln. Seit Februar 2006 haben die Parteien unter der Vermittlung der Troika um den zukünftigen politischen Status des Kosovo beraten. Ende November ist nun auch die vorerst letzte Verhandlungsrunde gescheitert.

Doch auch in der «internationalen Gemeinschaft« ist äusserst umstritten, was mit dem Kosovo geschehen soll: Wenn der Rat der Europäischen Union am 13. Dezember die Kosovo-Frage debattiert, werden die Meinungsverschiedenheiten der Mitgliedsstaaten offen zutage treten. Denn Britannien und Frankreich, die eine Unabhängigkeit des Kosovo befürworten, verfolgen eine andere Politik als Spanien, die Slowakei, Rumänien, Griechenland und Zypern, die genau dies ablehnen. Andere EU-Staaten wiederum halten sich vorsichtig zurück. Zu ihnen gehören Deutschland, Italien, Österreich sowie Slowenien, das am 1. Januar 2008 die EU-Präsidentschaft übernimmt.

Unterschiedliche Positionen werden auch im Uno-Sicherheitsrat vorgetragen, wenn der am 19. Dezember über die Kosovo-Frage berät. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass Russland seine ablehnende Haltung gegenüber einem unabhängigen Kosovo aufgibt. Entsprechend gering ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Resolution 1244 des Sicherheitsrats von 1999, die die Grundlage für den Einsatz der Uno-Mission im Kosovo (Unmik) bildet, durch eine neue ersetzt werden könnte. Gleichzeitig endet am 31. Dezember die Mission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) im Kosovo. Sie ist ein wichtiger Teil der Unmik, besonders im Bereich der Wahlbeobachtung und der Überwachung der Einhaltung der Menschenrechte. Eine Verlängerung des seit 2000 jährlich erneuerten OSZE-Mandats setzt die Zustimmung aller Mitgliedsstaaten voraus, also auch die von Russland und Serbien.

Westliche DiplomatInnen befürchten, dass das kosovarische Parlament bereits am 15. Januar die einseitige Unabhängigkeit von Serbien erklärt. Die Westmächte werden wohl versuchen, die kosovarische Führung davon zu überzeugen, diese Erklärung zu verschieben. Denn Ende Januar wird der serbische Präsident gewählt. Eine kosovarische Unabhängigkeitserklärung könnte aber die Wiederwahl des gemässigten serbischen Präsidenten Tadic gefährden. Belgrad hat bereits gedroht, die diplomatischen Beziehungen zu jenen Ländern einzuschränken, die einen unabhängigen Kosovo anerkennen.

Sollten die kosovarischen PolitikerInnen tatsächlich den westlichen «Empfehlungen» folgen, droht ihnen Ungemach. Noch spielen radikale Gruppen wie beispielsweise die Nationale Albanische Armee eine Aussenseiterrolle. Doch wenn der politische Prozess in Richtung Unabhängigkeit weiterhin stagniert, könnte die Zahl ihrer AnhängerInnen steigen. Zusätzlich sorgt sich der Westen auch um die Reaktionen der serbischen Bevölkerung im Norden des Kosovo. Diese würde eine Unabhängigkeitserklärung der kosovo-albanischen Regierung im besten Falle als ungültig betrachten - oder sich möglicherweise ihrerseits vom Kosovo abspalten.

Eine Unabhängigkeitserklärung des Kosovo ohne die Rückendeckung des Uno-Sicherheitsrats würde also einen Präzedenzfall schaffen - auch für die angrenzenden Regionen. So kam es in den letzten Wochen im Westen von Mazedonien, in dem viele AlbanerInnen leben, immer wieder zu Zusammenstössen zwischen der Polizei und bewaffneten Gruppen. Auch im nördlichen Nachbarn Bosnien-Herzegowina droht die Führung der serbisch dominierten Republik Srpska seit Jahren mit einem Referendum für «Selbstbestimmung».

Entscheidend ist die Haltung der Europäischen Union. Doch deren Mitglieder sind heute hinsichtlich des Kosovo so gespalten wie selten zuvor. Das erinnert fatal an die Uneinigkeit Anfang der neunziger Jahre. 1991 fiel Jugoslawien auseinander, nachdem sich verschiedene Teilrepubliken für unabhängig erklärt hatten. Die Folgen der damaligen Differenzen zwischen den EU-Staaten sind bekannt.