Tondo: Ein paar Quadratkilometer Unheimlichkeit

Nr. 49 –

Manilas ältester Stadtteil war schon immer ein Treibhaus. Hier entstanden Ideen, begannen Revolten und Karrieren, hier wehrten sich die Menschen aus Verzweiflung und mit grossem Mut. Auch die Pläne, den Hafen von Manila zu privatisieren, stossen auf Widerstand.

Mein alter Freund Resty geht auf die sechzig zu. Aber ein «proud Tondoboy», ein stolzer Tondo-Junge, sei er immer noch, sagt er. Tondo, das Quartier, in dem er aufwuchs, ist zwar für die meisten Filipinos der Inbegriff von Dreck, Müll, Kriminalität. Aber immerhin, so erzählt Resty Concepcion (sein Name ist der Redaktion bekannt), seien in dieser Shantytown von Manila landesweit bekannte Persönlichkeiten zur Welt gekommen. Leute wie Andres Bonifacio und Emilio Jacinto zum Beispiel, die Ende des vorletzten Jahrhunderts gegen die Spanier kämpften (und dabei ums Leben kamen). Herausragende Künstler und Schriftstellerinnen wie Bienvenido Santos oder der Poet Amado V. Hernandez, der sich während des Zweiten Weltkriegs der japanischen Besatzungsmacht widersetzt hatte. Auch die Könige des philippinischen Kinos haben hier gearbeitet - Exschauspieler und Expräsident Joseph Estrada zum Beispiel und sein mittlerweile verstorbener Kollege Fernando Poe. Als tropische Robin-Hood-Figuren hatten sie sich in den sechziger und siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ihren Weg durch Tondos Gassen und Gossen freigeschossen und das Gute über alles Erniedrigende siegen lassen. Auf Zelluloid zumindest.

Resty Concepcion ist seit Mitte der sechziger Jahre politisch aktiv. Zuerst trat er der Ende 1964 gegründeten Kabataang Makabayan bei, der Patriotischen Jugend, aus der Jahre später die Jugendorganisation der Kommunistischen Partei wurde. Dann wechselte er in die grosse Politik, war viel unterwegs - und doch stets auch in «seinem» Tondo anzutreffen, wann immer es galt, sich gegen Gewalt, Vertreibung und Heimtücke einzusetzen. Und das war oft der Fall.

Nach Tondo kommen kaum TouristInnen. Bis Mitte der neunziger Jahre waren hier lediglich Reisegruppen westlicher Hilfswerke anzutreffen, die den «Smokey Mountain», Südostasiens grösste Müllhalde, besuchten. «Exposures», Blossstellungen, nannte man die von philippinischen FreundInnen organisierten Tagestrips der anderen Art. Doch seit dieser Elendsflecken vor zwölf Jahren gewaltsam geräumt wurde, ist Tondo aus den Schlagzeilen der internationalen Medien verschwunden.

Normas Geschichte

Aber das Elend gibt es noch - und auch die Menschen, zu denen mich Concepcion begleitet. Norma Alvarez ist eine von ihnen. Die resolute Mittfünfzigerin hat eine wettergegerbte Haut, tiefe Furchen durchziehen ihr Gesicht. Wann immer sie lächelt, greift sie zu einem Taschentuch; sie ist sichtlich bemüht, ihrem Gegenüber einen Anblick zu ersparen, der ihr peinlich ist: Sie hat nur noch zwei Vorderzähne. Arztbesuche, sagt Norma, habe sie sich in ihrem ganzen Leben nicht leisten können.

Geboren wurde sie als eines von acht Kindern in den Aussenbezirken der Hafenstadt Catbalogan auf der Insel Samar, rund 650 Kilometer südöstlich von Manila gelegen. Diese Insel gehört bis heute zu einer der ärmsten Provinzen des Landes. Miserabler sind die Verhältnisse nur noch im äussersten Süden des Landes - in einigen Teilen von Mindanao und auf den abgelegenen Inseln Basilan und Jolo.

Zusammen mit ihrer Schwester Myrna kam Norma als Teenager nach Manila. Als «catulongs», als Haushaltshilfen, fanden die beiden eine Anstellung bei chinesischstämmigen Familien in Malate, einem in den sechziger Jahren feinen Viertel entlang Manilas Prachtmeile. Der Roxas-Boulevard galt seinerzeit - allein schon wegen der spektakulären Sonnenuntergänge - als eine der schönsten Strassen Südostasiens. Norma und Myrna lebten bei ihren Patrons, mussten sich um nichts sorgen und konnten sogar genügend Pesos an ihre Familie in Catbalogan überweisen - umgerechnet fünfzehn US-Dollar im Monat; das war damals viel Geld.

Doch dann verliebte sich Norma in Tonio, der im North Pier, dem Nordhafen von Manila, als Aufseher arbeitete und in Tondo wohnte. Der Familie, bei der sie arbeitete, passte die Beziehung nicht; sie setzte Norma über Nacht vor die Tür. Und so zog sie nach Tondo zu Tonio, der mit Hilfe von Freunden in der Nähe des belebten Divisoria-Markts ein kleines Haus gebaut hatte: zwei Stockwerke auf einem knapp dreissig Quadratmeter kleinen Stück Land. Die Grundmauern bestanden aus Stein, der Aufbau aus Holz und Wellblech.

Von der City of Man ...

Norma und Tonio - sie war 18, er 22 Jahre alt - heirateten, glaubten an das grosse Glück und bekamen fünf Kinder, von denen allerdings zwei als Kleinkinder an Typhus starben. Das war in den siebziger Jahren, in den Zeiten des Kriegsrechts, das der frühere Präsident Ferdinand Marcos 1972 über das Land verhängt hatte. Dessen Ehefrau und First Lady Imelda avancierte danach zur Siedlungsministerin und Generalgouverneurin der Haupstadt. Ihre Vision: Manila sollte zur «City of Man», zur Stadt mit menschlichem Antlitz, aufsteigen.

Fast schon manisch betrieb Imelda Marcos ein Stadtverschönerungsprojekt nach dem anderen: Landaufschüttungen in der Bucht von Manila, den Bau von Fünfsternehotels, eines Kulturzentrums, eines Volkskunsttheaters, eines internationalen Kongresszentrums. Was ihrem Gusto nicht entsprach, liess die Präsidentengattin beseitigen. Nicht die Abschaffung der Armut, sondern der Armen war ihr Ziel. Fliegende HändlerInnen wurden gejagt, «squatters», angebliche oder tatsächliche GrundbesetzerInnen, vertrieben.

Imeldas Politik traf auch Norma und Tonio. «1976 wurden wir über Nacht obdachlos», schildert Norma Alvarez die damaligen Ereignisse: Bulldozer rückten an, ein Beamter verkündete per Megafon in zwei Sätzen, dass der Boden der Regierung gehöre und dass alle sofort verschwinden müssten. «Dann versprühten sie Tränengas und prügelten wild und wahllos auf alle ein, die ihre Häuser nicht sofort verliessen.» Eine Entschädigung für das Haus haben sie nie erhalten; Tonio starb wenige Monate später an Tuberkulose. Seit dieser Erfahrung engagiert sich Norma in Selbsthilfegruppen. «Da ist das Mindeste, was wir tun müssen», sagt sie. «Sonst verlieren wir mit unserer Würde auch das Leben. Die Alternativen dazu sind Feigheit, Kriminalität oder Drogensucht. Und all das führt schnell zum Tod.»

... zur City of Manholes

Mit ihren drei Kindern und ihrer Schwester Myrna kam Norma bei Freundinnen unter. Die fünf Personen teilten sich einen zwei mal vier Meter grossen Raum, in dem sie nachts Matten auslegten. In Tondo klettert im Mai und Juni das Thermometer auf 36, 37 Grad Celsius, die hohe Luftfeuchtigkeit erschwert das Atmen, Gestank und Hitze wetteifern um den Verstand der Menschen. Elektrizität und fliessendes Wasser gibt es nicht. Wasser holt man sich aus nahe gelegenen Pumpen. Oder man zapft - Not macht erfinderisch - das nächstbeste Wasserrohr an. Im Monsun verwandeln sich ganze Strassenzüge in Kloaken.

In jenen Tagen sammelte Norma mit ihren Kindern Müll auf dem nahe gelegenen Smokey Mountain - einem Areal, das die Stadtverwaltung 1954 zur Hauptabfallkippe von Manila erkoren hatte und das Jahr für Jahr immer mehr Menschen anzog. Sie sammelten Blech, Papier und Plastik, verkauften das verwertbare Material an Schrotthändler und verdienten so zwanzig Pesos am Tag (nach damaligem Umtauschkurs etwa drei Franken). Bis zu 30 000 Menschen lebten davon.

Einige bauten sich auf der Müllhalde sogar Verhaue, die auf Stelzen standen und mit Blumen und einem Jesusbild geschmückt waren. Auf diese Weise wuchs Tondo bis in die neunziger Jahre zu einem dichtbesiedelten Stadtteil heran - mit rund 65 000 EinwohnerInnen pro Quadratkilometer und etwa 600 000 Menschen insgesamt. Der Smokey Mountain wuchs und wuchs, bis er eine Höhe von vierzig Meter erreicht hatte. Nach ein paar Jahren stellte Norma ihre Arbeit auf dem Hügel ein. Sie schaffte die Plackerei nicht mehr und erwarb Kenntnisse in der Hand- und Fusspflege, mit denen sich ebenfalls Geld verdienen liess. Ihre Kinder aber mussten jeden Tag hinaus auf die Halde.

Mittlerweile lebt Norma Alvarez im Bezirk Barangay 123 bei Pier 12 am Nordhafen in Tondo. Auch ihre dritte Vertreibung hat sie inzwischen gut verkraftet. Denn nach der Kündigung als Hausangestellte, der Zerstörung ihres Hauses und dem Tod ihres Mannes war das Leiden noch nicht zu Ende: 1995 wurde der Smokey Mountain von staatlichen Sicherheitskräften gewaltsam geräumt. Da spielten sich unglaubliche Szenen ab, erinnert sich Resty Concepcion, der damals eine Armeninitiative beriet: «Die Müllhaldensiedler wurden gejagt wie Ratten. Ich selber habe gesehen, wie selbst auf alte Leute mit Latten und Hämmern eingeschlagen wurde.» Und danach, ergänzt Norma, «wurde alles noch schlimmer: Viele lebten wochenlang ohne Obdach und nur von Reis, Salz, Maniok und Wasser.» Ihnen blieb ja auch nichts anderes übrig, ergänzt Vilma, Normas Nachbarin: «In dieser beschissenen City of Manholes, in dieser Stadt der Schlaglöcher, kümmert sich kein Schwein um die Armen.» Viele der Mountain-BewohnerInnen liessen sich schliesslich in den nördlichen Stadtteilen Navotas und Caloocan City nieder, andere verschlug es in eines der rund 500 anderen Slums im Grossraum Manila.

Grosse Protestmärsche und Demonstrationen habe es damals gegeben, erzählt Concepcion. Doch Fidel Ramos, der Exgeneral und damalige Staatschef, blieb unerbittlich. Ramos, der in Zeiten der Marcos-Diktatur Polizeichef und stellvertretender Generalstabschef gewesen war, verstand sich als Modernisierer. Er wollte die Philippinen auf die Höhe der südostasiatischen «Tigerstaaten» hieven, ausländische InvestorInnen gewinnen und mit der Privatisierung der Strom- und Wasserversorgung die dazu nötigen Ausgangsbedingungen schaffen. Mit diesen Zielen war eine Müllhalde inmitten der Hauptstadt schlecht vereinbar - egal, wie viele Menschen von ihr lebten.

Hafenarbeit und Lampions

Den Vertriebenen stellte er die Segnungen der Privatisierung in Aussicht - ein Versprechen, das auch die derzeitige Präsidentin Gloria Macapagal Arroyo in jeder zweiten Rede wiederholt. Aber was bringt das den bedrängten Menschen von Tondo? Norma, Resty und Vilma erzählen Geschichten. Geschichten wie die über den Unternehmer Reghis Romero II, der mit der staatlichen Wohnungsbehörde NHA ab 1993 mehrere Verträge abschloss, um den Smokey Mountain zu sanieren, und versprach, erschwingliche Häuser für die Armen zu errichten und das Gebiet zu «entwickeln».

Aber erst 2004 konnten einige wenige Familien in rosa und cremefarben gestrichene Häuser einziehen, die von billigster Qualität sind und zudem auf giftigem Grund stehen. Reghis Romeros Firma R2 Builders hatte die Häuser auf nur planiertem, jedoch immer noch verseuchtem Grund gebaut. Und so werden die BewohnerInnen von beissenden Giftgasen gequält, die sie krank machen.

In anderen Bezirken von Tondo sind die Verhältnisse nicht besser. Im Viertel Barangay 105 leben beispielsweise 3500 Menschen in meist provisorischen Unterkünften. Sie strampeln sich - wie die meisten Tondo-BewohnerInnen - tagtäglich ab. Sie betteln im Hafen um Tagelöhnerjobs, jobben als Dreiradtaxifahrer, schuften in ungesicherten Arbeitsverhältnissen, fertigen Besen, weben Putztücher, stellen in der Vorweihnachtszeit Lampions und Sterngirlanden her. Und die Frauen gehen auf den Strich. Oder arbeiten in den Sweatshops, den kleinen Fabriken, die von jeher in Tondo präsent sind.

Ein neuer Markt für die Armen

Eine 2004 vom privat betriebenen Gesundheits- und Sozialzentrum Canossa in Auftrag gegebene Untersuchung ergab, dass in einem nahe gelegenen Bezirk 68 Prozent der Haushalte ihren Unterhalt mit Knoblauchschälen verdienen. Und dass 99 Prozent der Befragten am Tag weniger verdienen als den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn von 350 Pesos (umgerechnet etwa neun Franken). Laut dieser Studie leiden auch 55 Prozent an Infektionen der Atemwege, 15 Prozent an Durchfall, 8 Prozent an Hauterkrankungen und 22 Prozent häufig an Fieber. Weil sie in der Regel mit weniger als zwei Franken am Tag auskommen müssen.

Vor allem die Tuberkulose ist hier weit verbreitet. Nach einer Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von 2003 stehen die Philippinen ganz oben: In keinem anderen Staat im Westpazifik gibt es so viele Tuberkulosekranke. Täglich sterben 75 Filipinos an Tuberkulose - einer Krankheit, die seit langem heilbar ist - , jedes Jahr infizieren sich 100 000 Menschen.

Dennoch wird im Gesundheitswesen gespart, wie Emma Manuel, radiologische Assistentin des Tondo Medical Center, erläutert. Und das obwohl die Regierung im Finanzjahr 2006 gerade mal 10,4 Milliarden Peso (270 Millionen Franken) für das Gesundheitswesen ausgab - umgerechnet 3 Franken und 25 Rappen pro EinwohnerIn. Ihre Klinik habe 2006 3,2 Millionen Franken erhalten - davon blieben nach Abzug der Personalkosten lediglich 620 000 Franken für Behandlungen, Operationen und den Erhalt der Gebäude übrig. «Noch in den späten siebziger Jahren bat man nach einer Röntgenaufnahme allenfalls um eine Fünfpesospende», sagt Emma Manuel, die auch dem Vorstand der unabhängigen Alliance of Health Workers angehört. «Heute aber kostet eine solche Aufnahme mindestens 120 Pesos für Erwachsene und das Doppelte für Kinder - unerschwinglich für die Familien, mit denen wir es Tag für Tag zu tun haben.»

Anfang Februar veröffentlichte «The Manila Times» einen Bericht, wonach letztes Jahr allein in der Hauptstadt rund 3000 Menschen eine neue Einnahmequelle entdeckt hätten. Sie verkaufen eine ihrer Nieren zum Preis von 70 000 bis 120 000 Pesos (etwa 1800 bis 3100 Franken). Da allein in Japan über 10 000 Menschen auf eine Nierentransplantation warten, habe sich, so die Zeitung, hier ein «neuer Markt für die Armen» aufgetan.

Im Rausch erschossen

Es sei kein Wunder, sagt Jim Libiran, «dass den Jugendlichen fast alle Wege verbaut sind, dass kaum einer dem Teufelskreis aus Armut und Gewalt entrinnt». Libiran, einer der profiliertesten Filmemacher des Landes, hat vor kurzem unter abenteuerlichen Umständen den Film «Tribu» fertiggestellt. Der Streifen - er wird an der Berlinale 2008 zu sehen sein - schildert das Leben der Jugendgangs in Tondo. Hier gibt es über hundert solcher Gangs, die sich «tribes» nennen und denen selbst Zehnjährige angehören - Kids, die häufig sterben, bevor sie jemals gelebt haben.

Die Gang bietet ihnen Geborgenheit, verlangt dafür aber auch vollen Einsatz, wenn es um Raub, um Schutzgelderpressung oder (je nach Geldgeber) darum geht, Streiks zu stören und zu sabotieren. Drogenkonsum und Klebstoffschnüffelei sind Teil ihrer Existenz. Manchmal werden auch zehn Jahre alte Kinder erschossen - von rivalisierenden Banden oder den sogenannten Ordnungskräften, die vielfach von Geschäftsleuten angeheuert werden.

Neue Umsiedlungsprojekte

Es könnte noch schlimmer kommen. Derzeit planen Regierungsbehörden wie die Philippinische Hafenverwaltung PPA, die Wohnungsbehörde NHA und die Abteilung für Strassenbau und öffentliche Investitionen eine neue Vertreibung. Im Zuge der geplanten Privatisierung des Nordhafens soll Tondo modernisiert werden. Dieses Vorhaben, so schätzt die Vereinigung zur Solidarität mit den Armen Kadamay, trifft in den nächsten Jahren über 140 000 Familien (rund 850 000 Menschen) - nicht nur in Tondo, sondern auch in den etwas nördlicher gelegenen Distrikten Navotas und Caloocan City.

Der Plan wird bereits umgesetzt. Aus dem Bezirk Barangay 110, sagt Resty, seien vor kurzem annähernd 1500 Familien vertrieben worden: «Nur wer sehr lange dort lebte, bekam von der Stadtverwaltung eine Entschädigung - gerade mal 15 000 Pesos.» Umgerechnet knapp 400 Franken. «Die Mehrheit aber ging leer aus.» Die Massgaben des Manila North Harbor Modernization Projects MNHMP sind nicht nur in der Kompensationsfrage sehr vage. Es gibt auch keine klare Bestimmung, was mit den betroffenen Familien geschehen soll. Im Abschnitt 7.04 der Konzessionsvereinbarung für das MNHMP heisst es lediglich, dass der Eigentümer, also die demnächst private PPA, «in Absprache mit anderen Regierungsbehörden die Umsiedlung der Squatters auf eigene oder Regierungskosten übernimmt.» Bei so vielen Unwägbarkeiten und dem üblichen Kompetenzgerangel müsse man vom Schlimmsten ausgehen, um das Beste zu hoffen. Sagt Resty Concepcion und geht zum nächsten Termin. Er hat noch viel zu tun.






Rainer Werning berichtet seit zwanzig Jahren für die WOZ über Entwicklungen in Südost- und Ostasien. Er ist Mitherausgeber des «Handbuchs Philippinen» (Horlemann-Verlag, 2006). Auf Einladung des Goethe-Instituts Manila referierte er kürzlich an mehreren philippinischen Universitäten über «Europas Vermächtnisse in den Philippinen»

Vom Kronjuwel zur Megacity

«Von der Sonne liebkost, Perle fernöstlicher Meere, verloren gegangenes Eden» - so beschrieb der in den Philippinen als Nationalheld verehrte Arzt und Schriftsteller José P. Rizal sein Land, das nach dem spanischen König Philipp II. benannt worden war. Der portugiesische Seefahrer Ferdinand Magellan hatte den Archipel 1521 für die spanischen Konquistadoren «entdeckt». Fünfzig Jahre nach der Eroberung erklärte die spanische Krone Manila zur Hauptstadt ihres philippinischen Reichs. Die «Peninsulares», aus Spanien stammende Beamte, Offiziere und Mönche, übernahmen die Kontrolle der «noblen und auf ewig loyalen Stadt» und gründeten den alten Stadtkern Intramuros, um den herum Manila allmählich anwuchs. Heute leben in der philippinischen Hauptstadt rund fünfzehn Millionen Menschen.

Prägend war der Einfluss der Mönchsorden (Augustiner, Franziskaner, Dominikaner, Jesuiten und Benediktiner) - allesamt Grossgrundbesitzer, die die anfangs mehrheitlich muslimische Bevölkerung schamlos ausnahmen: Sie liessen Kirchen, Villen, Stadtmauern errichten und die Strassen mit Kopfstein pflastern. Grundlage ihres Reichtums war nicht nur die Ausbeutung, sondern auch der Handel mit Mexiko. Spanische Galeonen verkehrten via Manila zwischen der Südküste Chinas und den mexikanischen Pazifikhäfen; sie beförderten Chinawaren wie Seide, Porzellan, Juwelen, Textilien und Gewürze nach Osten (von wo sie dann nach Europa gelangten) und Wein, Olivenöl, Getreide, Priester, Soldaten und Beamte nach Manila und China. Diese Handelstradition erklärt, weshalb die Filipinos in der Schifffahrt eine so grosse Rolle spielen.

Auf dem Seeweg gelangten freilich auch die Ideen der Aufklärung, des Liberalismus und der Französischen Revolution ins Bewusstsein der Bevölkerung. 1898 riefen Filipinos die Republik aus - die erste in Asien. Statt der Freiheit folgte jedoch ein weitere Besetzung, diesmal durch die Soldaten der US-Pazifikflotte. Die Bevölkerung leistete erbitterten Widerstand; der Amerikanisch-Philippinische Krieg, der daraufhin einsetzte, führte zu den bis dahin grössten Kolonialmassakern in Südostasien. Die damals sechs Millionen Menschen zählende Bevölkerung wurde dezimiert. Bis 1946 dominierten die USA die Hafenstadt.

Manila aber blieb eine weltoffene Stadt. Nirgendwo in Asien - von Schanghai abgesehen - wurde eine so liberale Einwanderungspolitik betrieben. In den dreissiger Jahren des letzten Jahrhunderts konnten viele verfolgte JüdInnen einreisen - beispielsweise der Wiener Komponist Herbert Zipper («Dachau-Lied»), dem die Flucht aus deutschen Konzentrationslagern gelungen war und der das Manila-Symphonieorchester aufbauen half.

Das änderte sich mit der Landung japanischer Truppen, die Manila im Januar 1942 einnahmen; der Krieg erreichte die Stadt aber erst 1945 (bei den Strassenkämpfen kamen auch über 100 000 ZivilistInnen um). Nach dem Sieg setzten die USA auf die projapanische Elite. Erster Präsident der im Juli 1946 unabhängig gewordenen Republik wurde der ehemalige Brigadegeneral Manuel Roxas, der ein hochrangiges Mitglied des projapanischen Marionettenregimes gewesen war.

Erst unter seinem Nachfolger Ferdinand Marcos gab es so etwas wie eine Stadtplanung. Manila bekam eine Entwicklungsbehörde (MMDA) und wurde in siebzehn Verwaltungseinheiten (Städte und Bezirke) aufgeteilt, die sich über eine Fläche von knapp 640 Quadratkilometern erstrecken. Rund achtzig Prozent der Bevölkerung gelten als arm; ein Drittel verfügt über keinen Wasseranschluss und ist auf die Versorgung durch mobile Händler angewiesen.

Der heutige MMDA-Vorsitzende Bayani Fernando hält eine Stadtplanung für reichlich überflüssig. Für ihn lassen sich die Probleme auch anders lösen - indem man zum Beispiel die Waren der illegalen Strassenhändler mit Kerosin besprüht. Eine staatliche Hilfe bei der Umsiedlung der SlumbewohnerInnen lehnt er rundweg ab. «Warum sollen wir die unterstützen?», fragte er kürzlich in einem Radiointerview: «Wir können solche Gesetzesbrecher doch nicht noch mit Eigenheimen belohnen.»

Die Banlieue-Serie

Dies ist der neunte Teil unserer Serie über die Banlieues, die Slums, die Villas Miseria und die Shantytowns der Welt. Bisher erschienen Reportagen aus Marseille (WOZ Nr. 16/07), Bombay (18/07), Buenos Aires (24/07), Istanbul (26/07), Nairobi (36/07), Berlin (40/07), Peking (43/07) und Sevilla (46/07). Der nächste Beitrag erscheint im Januar.

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