Baubranche: Eine Demo in Sedrun
Der Hedgefonds Laxey greift die Schweizer Baufirma Implenia an. Worum geht es? Um die Immobilien? Implenia wiederum schikaniert die Neat-Mineure. Worum geht es? Bloss ums Essen?
«Wir mögen Implenia, ihre Vermögenswerte und deren Bewertung», sagte am 2. November an einer Pressekonferenz in Zürich Roger Bühler, der an der Universität Basel zum Thema «Der Spin-off als Instrument der Unternehmungsstrukturierung - Darstellung unter Gesichtspunkten der Wertsteigerung» dissertiert hat. Also auf gut Deutsch ein Kochbuch zur Firmenfiletierung vorgelegt hat. Und dann tätig wurde für PricewaterhouseCoopers und dann Schweizer Statthalter des Hedgefonds Laxey, mit Sitz an einer Summerhill Road auf der Isle of Man.
Implenia, die Blume: Die Margerite im Logo ist gemäss Eigendefinition «ein sympathisches Lebenssymbol. Es verkörpert neues Denken, Kraft, Nähe und Freude, wo immer sie zu spüren ist.» Das Wort «implementieren» wiederum bedeutet «nach seinem lateinischen Ursprung erfüllen, vervollständigen, ergänzen». Ohne Marketing-Esoterik: Die Implenia AG ist die grösste Bauunternehmung der Schweiz, Anfang 2006 aus der Fusion von Batigroup und Zschokke entstanden, 6000 MitarbeiterInnen, erster jährlicher Umsatz: 2,8 Milliarden Franken.
Die alternative Prozession
Die Blume ist auch im Sedruner Schneetreiben zu erkennen, unten auf dem Neat-Werkgelände. 800 Meter tief im Berg wird hier der Gotthard-Basistunnel durch das geologisch heikle Tavetscher Zwischenmassiv getrieben. Für die Baustelle in Sedrun ist die Arge Transco zuständig, an der die Implenia vierzig Prozent und drei weitere Baufirmen die anderen sechzig Prozent halten. An diesem Dienstag, 4. Dezember, liegt das Sedruner Werkgelände still. Im Tunnel wird eine Messe für die heilige Barbara gefeiert. Für Barbara, die Fremde, die zu den Bergbaustellen mit ihren Baracken passt. Die die Mineure, diese Männergesellschaft, beschützt. Stell an ihrem Feiertag einen Obstzweig ins Wasser, und wenn er bis Weihnachten blüht, hast du Glück das ganze Jahr!
Gegen Mittag richtet sich die Aufmerksamkeit auf die Schrägbahn, die von der Baustelle ins Dorf hinaufführt. Eine Versammlung der Mineure hat beschlossen, nach der Messe das Festessen mit den Chefs zu boykottieren. Als die Mineure aus dem Tunnel kommen, geht die Mehrzahl trotzdem in die Kantine. Knapp fünfzig besteigen die Schrägbahn, vornehmlich Deutsche und Österreicher. Oben angekommen, ruft einer: «Ich streik nur, wenn ich einen Schal kriege.» Auf den Schals, welche die Gewerkschaft Unia verteilt, steht «Sciopero», Streik. Doch noch geht es nicht um Streik. Die Mineure binden sich im Wind die Schals um und machen sich auf zu einer alternativen Barbara-Prozession.
Keine Baufirma mehr
Chronologie eines Angriffs: Am 28. März meldet der Hedgefonds Laxey, dass er 4,9 Prozent an Implenia besitzt. Am 11. April sind es 12,2 Prozent und am 16. April bereits 22,8 Prozent. Das vermutete Muster hinter dem Aufbau des Aktienpakets: Mehrere BrokerInnen hatten den Auftrag, Implenia-Aktien unter der Fünfprozenthürde aufzukaufen. Anschliessend sammelte Laxey die Aktien ein und meldete die Beteiligung. Die Implenia spricht von einer «unfreundlichen Übernahme». Sie ersucht die Eidgenössische Bankenkommission, zu prüfen, ob Laxey die Meldepflicht verletzt hat, die bei fünf, zehn und zwanzig Prozent gelegen hätte. Der Vorwurf von Implenia: Absprache mit anderen MarktteilnehmerInnen.
Die Implenia verweigert Laxey den Eintrag ins Aktienregister und damit das Stimmrecht. Dabei stützt sie sich auf die Lex Koller: Diese verbietet den Kauf von Grundstücken durch Personen mit ausländischem Wohnsitz. Wenn mehr als zwanzig Prozent der Aktien von AusländerInnen eingetragen sind, argumentiert die Implenia, würde sie als ausländisch beherrscht gelten. Und könnte keinen Boden mehr kaufen beziehungsweise nicht mehr mit Immobilien handeln. Implenia ist nämlich längst keine Baufirma mehr: Die Implenia Real Estate deckt alle Schritte des Immobilienzyklus vom Bodenkauf bis zur späteren Bewirtschaftung selbst ab. Die klassische Bauproduktion trägt gerade acht Prozent zur Wertschöpfung des Konzerns bei. Derzeit hat Implenia Bauprojekte mit einem Volumen von zwei Milliarden Franken gesichert, achtzig Prozent davon Wohnbauten.
Der Streit eskaliert: Am Ende des Sommers verklagt Laxey einzelne Implenia-Verwaltungsräte wegen Vorbehalt des Stimmrechts auf zwanzig Millionen Franken Schadenersatz. Am 2. November, an der eingangs erwähnten Pressekonferenz, verkündet Laxey, dass es mittlerweile mehr als ein Drittel der Aktien besitze. Das Gesetz verpflichtet den Hedgefonds zu einem öffentlichen Kaufangebot an die übrigen Aktionäre. Es liegt mit 33 Franken pro Aktie sehr tief. An einem Vortrag sagt Anton Affentranger, Verwaltungsratspräsident der Implenia: Das Machtpoker mit Laxey sei eine «wenig wünschenswerte Erfahrung».
Russian Land
In Sedrun setzt Roland Schiesser die Prozession durchs Megafon in Bewegung. Der Gewerkschafter erzählt unterwegs, dass er kein Verständnis hatte, als er in der Zeitung von Affentrangers Gejammer über die Schadenersatzklage las. Als Anfang Oktober die Baumeister den Landesmantelvertrag, den Gesamtarbeitsvertrag für das Baugewerbe, kündigten, brachen auf den Neat-Baustellen die ersten Warnstreiks los. Auch in Sedrun. Unter Federführung der Implenia, so Schiesser, sei daraufhin gegen ihn und acht weitere Sekretäre der Unia und der christlichen Syna Schadenersatzklage erhoben worden. In der Höhe von immerhin auch 1,4 Millionen Franken.
Heute geht es allerdings nicht um den Landesmantelvertrag. Sondern einzig um die Arbeitsbedingungen auf der Baustelle in Sedrun. Seit Monaten fordern die Mineure, dass die Lüftung im Tunnel verbessert wird. Und dass der «Spesenklau» aufhört. «Wir stellten diese Forderungen sogar schon vor vier Jahren. Aber heute sind die Gewerkschaften stärker», sagt ein Mineur. Wenn die Prozession nichts bewirkt, soll tags darauf gestreikt werden. Oben an der Strasse wartet ein Bus mit Lautsprechern, daraus ertönt sizilianische Trauermusik. Dem Bus folgen zwei Gewerkschafter, die auf einer Bahre eine Barbara-Figur tragen. Dahinter die Mineure. Die Demonstration durchs verschneite Sedrun ist schön und traurig zugleich. Die Leute kommen aus den Häusern, die Blasmusik scheppert sehr laut.
Seit 2001 haben sich Immobilien von einer Wert- zu einer Ertragsanlage gewandelt. Vor diesem Hintergrund ist der Angriff auf die Implenia und deren Verteidigung über die Lex Koller zu sehen. Darauf stützt sich auch die linke Kritik des einstigen Überfremdungsartikels: Die Lex Koller verhindere heute, dass die Nachfrage nach Immobilien und damit die Mietpreise stiegen - etwa wenn Private, vor allem aber institutionelle Anleger zum Markt zugelassen würden.
Geht es also Laxey um eine schnelle Zerschlagung der Implenia, etwa um eine Abtrennung der Immobilien? Gemäss Rechnung 2006 sind diese mit 165 Millionen Franken ausgewiesen. Steckt da noch viel mehr dahinter? Oder führt die Spur doch eher zu einem ausländischen Bieter? Der österreichische Baukonzern Strabag mit dem russischen Oligarchen Oleg Deripaska als Teilhaber liess bis jetzt lediglich verlauten, er sei nicht an einer Minderheitsbeteiligung der Implenia interessiert. Führt die Spur gar zu Viktor Vekselberg mit seiner Beteiligungsgesellschaft Renova? Immerhin hat er diesen Mai mit der Strabag ein Milliardenprojekt, den Bau eines Stadtteiles im sibirischen Jekaterinburg, vereinbart.
Vorerst jedenfalls hat die Implenia einen eigenen Oligarchen aus dem Hut gezaubert: Am 30. November gab sie ein Joint Venture mit Chalva Tschigirinsky bekannt. Tschigirinsky betreibt die Immobiliengesellschaft Russian Land, die ihren Sitz im gleichen Haus hat wie die Moskauer Baubehörde. Prestigeprojekte sind etwa der Russia Tower in Moskau oder eine Gated Community in Kaliningrad. Implenia-VR-Präsident Affentranger wurde bei dem Schachzug zumindest den Ruf los, es gehe ihm bei der Verteidigung von Implenia um Heimatschutz. Ihm gehts allein ums Geschäft. Der Aktienkurs steigt.
A und B
Die Prozession ist im Hotel Oberalp angekommen. Halbliterflaschen Bier werden auf die Tische gestellt. Die Mineure erzählen von der Bedeutung der heiligen Barbara. Und von den Sprengungen: In die Bohrlöcher werden Patronen gelegt, dann erfolgt die elektrische Zündung. In einem Fluchtcontainer wird gewartet, bis sich der Staub gelegt hat. Die Mineure sprechen nicht davon, ob irgendein Oligarch ihre Arbeit beeinflusst. Sondern davon, dass sie Hunger macht. Martin, der Maschinist, beugt sich herüber und erklärt den Spesenklau: Statt dass die Essensspesen von 45 Franken pro Tag ausbezahlt werden, fliessen 15 Franken davon in die Kasse der Kantine. Wer sich nur schon an fünfzig Tagen auswärts verpflegt, verliert also 750 Franken. «Es geht hier», sagt Martin, «aber nicht um den Betrag. Sondern gegen den Feudalismus der Arbeitgeber, für die Freiheit.» Ansonsten nur gute Worte zur Implenia.
Um sechzehn Uhr bricht eine Delegation der Unia zu Gesprächen mit der Transco auf. Nachdem diese bisher auf keinen Protestbrief zu den Arbeitsbedingungen geantwortet hat, zeigen die Prozession und die Streikdrohung ihre Wirkung. Die Gespräche dauern bis in den Abend. Offenbar machen die Fachverbände Druck auf die Transco, keine Eingeständnisse zu machen - wenn die Unia in einen Streik läuft, könnte einseitig mit der Syna über einen Landesmantelvertrag verhandelt werden. Am Ende willigt die Transco ein: Im Dezember werden als Übergangslösung 200 Franken Spesen mehr ausbezahlt. Im Januar wird weiter verhandelt.
Immobilien? Auslandstrategie? Was hat Laxey vor? Zwei Finanzanalysten antworten am Telefon. A sagt: «Ich hatte nie das Gefühl, dass bei Implenia Reserven schlummern.» B sagt: «Sicher kann man aus den 165 Millionen Franken Immobilien Luftschlösser bauen.» A: «Der europäische Baumarkt ist konsolidiert. Laxey wird versuchen, sein Paket an einen ausländischen Bieter weiterzugeben.» B: «Eine Übernahme ist tatsächlich wahrscheinlicher. Ich tippe auf die österreichische Strabag.» A: «Laxey scheint sich seiner Sache ziemlich sicher. Es lehnte ein Friedensangebot ab. Auch wenn der Preis pro Aktie höher gelegen hätte als das Angebot von Russian Land.» B: «Die Auseinandersetzung ist ergebnisoffen.»
Diesen Freitag, 14. Dezember, geht sie in die nächste Runde: Die Implenia lädt zu einer ausserordentlichen Generalversammlung in Zürich. Sie will sich ihre Verteidigungsstrategie über die Lex Koller von den AktionärInnen bestätigen lassen. Nicht stimmberechtigt sein wird der grösste Aktionär: Laxey. Sein Kaufangebot läuft am 28. Dezember aus.