Kleinstlebewesen: Keine Angst vor winzigen Wesen

Nr. 51 –

Ein Buch entführt in die geheimnisvolle, wunderschöne Welt der Einzeller und Minitierchen - die mehr mit uns zu tun haben als erwartet.

Warum in die Ferne schweifen ...? Der Biologe Pedro Galliker hat sich diesen Grundsatz zu Herzen genommen und schon als Schüler begonnen, mit Lupe und Mikroskop die Welt der Kleinstlebewesen zu erforschen. Als Bilanz seiner lebenslangen Beschäftigung ist nun sein wunderbares Buch «Abenteuer Mikrowelt» erschienen. In kurzen, leicht verständlichen Texten, vor allem aber in zahlreichen Abbildungen lässt Galliker die Lieblinge seines Lebens Revue passieren. Wundersam vielfältig sind diese Bakterien, Amöben und anderen Kleinsttiere.

Er findet sie in einem Wassertropfen oder in einem ausgetrockneten Weihwasserbecken auf dem Friedhof und weiss manch erstaunliches Detail über sie zu berichten. Über die Bärtierchen oder Bärentiere, wie Galliker sie nennt, zum Beispiel: Diese unter dem Mikroskop entfernt an Bären erinnernden Lebewesen sind so eigenartig, dass sie in der zoologischen Klassifikation einen eigenen Stamm bilden. Sie überleben nicht nur Temperaturen von minus 270 bis plus 125 Grad. Sie können auch ihren Wasseranteil von 85 auf 2 Prozent reduzieren und in diesem sogenannten Tönnchenstadium 120 Jahre überdauern. Tot seien sie dabei allerdings nicht, schreibt Galliker, denn es lasse sich ein minimaler Stoffwechsel inklusive Verbrauch von Sauerstoff nachweisen. Oder eine Amöbe - ein Einzeller - namens Dictyostelium discoideum. Sobald in einer Kolonie ein Exemplar seinen Hunger nicht mehr stillen kann, alarmiert es mittels chemischer Stoffe die andern, die sich alsbald zu einem formlosen Gebilde zusammenfinden, aus dem sich allmählich ein sogenannter zellulärer Schleimpilz entwickelt. Während sich einige Amöben als Sporen von Tieren, Wind oder Regen zu neuen Futterplätzen transportieren lassen, stirbt der Rest, der den Stiel des Pilzes gebildet hat, ab. Dictyostelium discoideum kann als Modellorganismus für den Zusammenschluss und die Spezialisierung einzelner Zellen dienen, für jenen evolutionären Prozess also, der letztlich auch den Menschen hervorgebracht hat. Der Tod sei der Preis für die Spezialisierung und Individualisierung, schreibt Galliker. Dies sei ein annehmbarer Preis, wenn man die Erfolgsbilanz des gesamten Lebens auf der Erde ins Auge fasse.

Der Autor untersucht auch komplexe Organismen wie Glaskrebse oder Süsswasserpolypen mit grosser Neugier. In einer dem Buch beigelegten DVD inszeniert er sie als Helden dieser nassen Welt - als Räuber und Opfer.

Galliker liefert nicht nur faszinierende Einblicke in die Welt der Winzlinge. Er streut auch Wissenswertes ein über die Entstehung der Mikrobiologie von Goethe über Pasteur bis zu Stanley Miller, der in einem Experiment in den fünfziger Jahren aus einer «Ursuppe» mit einfachen Molekülen die für den Aufbau von Leben notwendigen Aminosäuren herstellen konnte. Die Mikrowesen stehen am Anfang allen Lebens: Die Biologie geht heute davon aus, dass zu Beginn der Evolution Urbakterien in den Bau der Zellen integriert wurden. Bekanntestes Beispiel dafür sind die Mitochondrien, die für die Zellen Energie produzieren.

Pedro Galliker verfolgt seine Lebewesen mit einer für Normalsterbliche nicht ganz nachvollziehbaren Ausdauer, aber offensichtlich mit grossem Genuss für sich und seine Umwelt. Er tut dies unter einem Motto, das einst der deutsche Schriftsteller Hermann Hesse einem Bildband über Schmetterlinge vorangestellt hat: «Mit dem Erstaunen fängt es an und mit dem Erstaunen hört es auch auf und ist dennoch kein vergeblicher Weg.»

Anne Gabrisch und Pedro Galliker: Abenteuer Mikrowelt - Exkursionen in die geheimnisvolle Welt der Kleinstlebewesen. Haupt Verlag. Bern 2007. 175 Seiten. 58 Franken