Algensprit: In eine glitschige Zukunft
Kleine Algen sollen grosse Energieprobleme lösen. Doch tun sie das auch effizienter und umweltverträglicher als bisherige sogenannte Biotreibstoffe?
Algen blühen nicht nur an den Ufern von Seen und Teichen und vermiesen uns die letzten Badetage des Sommers. Rund um die Welt laufen Forschungsprogramme, tun sich Konzerne mit Start-ups zusammen, um Algen zu verwerten – als «Biosprit».
Exxon Mobil zum Beispiel hat 600 Millionen Franken in den Bioenergiebetrieb Synthetic Genomics gesteckt. Dow Chemical und der Gashersteller Linde errichten zurzeit mit dem Unternehmen Algenol eine Anlage in Mexiko, die mit genmanipulierten Blaualgen pro Jahr vier Milliarden Liter Algensprit liefern soll. Die Aufbruchstimmung in der Algenbranche erinnert BeobachterInnen an die Computerindustrie der achtziger Jahre. Wohl nicht zufällig hat Milliardär Bill Gates in die Algenfirma Sapphire Energy investiert.
Der neuste Biomassehype dreht sich um die ältesten Pflanzen der Erde: Algen wachsen seit mehr als drei Milliarden Jahren überall dort, wo es nass oder zumindest manchmal feucht ist. Sie produzieren rund ein Drittel der gesamten pflanzlichen Biomasse; in den Meeren stehen sie am Beginn der Nahrungsketten.
Genügsam, aber empfindlich
Da Algen alle Nährstoffe direkt über ihre Oberfläche aufnehmen können, sind sie sehr einfach aufgebaut und benötigen keine Wurzeln – im Gegensatz zu den «höheren» Pflanzen, die vor 500 Millionen Jahren aus Algen hervorgingen. Algen betreiben Fotosynthese: Für ihren Aufbau verbrauchen sie Lichtenergie und Kohlendioxid (CO2), als «Abfallprodukt» geben sie Sauerstoff ab. Sie erzeugen die Hälfte des Sauerstoffs unserer Atmosphäre.
Bisher ist nur ein Bruchteil der schätzungsweise an die zehn Millionen Algenarten erforscht: rund 130 000 im Wasser, knapp 24 000 an Land. Ihre Vielfalt reicht vom mikroskopisch kleinen Einzeller bis zum hundert Meter langen Seetang. Benannt sind Algen meist nach ihren Farbstoffen: Grün-, Rot-, Braun- oder Goldalgen. Kommerziell genutzt werden derzeit etwa 160 Algenarten, vor allem Chlorella-Grünalgen und Spirulina-Blaualgen.
Viele einzellige Sorten, zum Beispiel die «Blutalgen» des Zürichsees, sind genau genommen gar keine Algenpflanzen, sondern Cyanobakterien – die Bezeichnung «Algen» hat sich aber durchgesetzt.
Im Zweiten Weltkrieg waren Forscher auf Algen aufmerksam geworden: Kein anderes Lebewesen kann so schnell auf so wenig Raum so viel hochwertiges Eiweiss herstellen und braucht dafür nur Licht, CO2 und Wasser, gerne auch Salz- oder Brackwasser. Ankündigungen, die Menschheit werde sich aus dem Meer ernähren, erwiesen sich jedoch als verfrüht. Die damals ausgesuchten Arten waren zu empfindlich für eine industrielle Verarbeitung. Ausserdem speichern Algen Schwermetalle und andere Schadstoffe.
Den nächsten Anschub brachte die Ölkrise der siebziger Jahre. Nun faszinierten die Fettpolster, die sich Algen für schlechte Zeiten zulegen: Aus diesem Öl lassen sich Treibstoffe gewinnen, die sich beliebig mit Diesel oder Kerosin aus Erdöl mischen lassen. Mit Algensprit können folglich bereits vorhandene Automotoren betrieben werden, es lassen sich aber auch die riesigen Tankanlagen der Flughäfen damit füttern. Und das Ethanol aus Algen kann zu Kunststoff verarbeitet werden.
Die grosse Verheissung der jungen Algenbranche: Glibberige Wasserpflanzen sollen unseren gewohnten Lebensstil retten.
Besser als Agrotreibstoffe
Im Jahr 1978 lancierte US-Präsident Jimmy Carter unter dem Druck der weltweiten Ölkrise das Aquatic Species Programme, um systematisch Algenstämme untersuchen zu lassen. Es wurde 1995 eingestellt – Erdöl war wieder zu billig. Als dann doch der Wunsch nach «Biosprit» aufkam, setzte sich zunächst die Getreidelobby durch.
Doch der Agrosprit gerät immer mehr in Verruf: Sollen Mais oder Soja tatsächlich im Tank statt auf dem Teller landen? Für Palmöl werden bald die Regenwälder gerodet, und Monokulturen von Energiepflanzen bedrohen die Artenvielfalt.
Algen hingegen wachsen auf sonst nicht gebrauchten Flächen. Sie versprechen Treibstoffe ohne Konkurrenz zu Lebensmitteln, weniger Land- und Wasserverbrauch, dazu eine dreissig bis fünfzig Mal höhere Energieausbeute als bei Raps, Soja oder Zuckerrohr.
Seit 2008 gibt es in den USA, wo die grössten Hoffnungen in Algen als «Biosprit» gesetzt werden, wieder Staatsgelder zur Erforschung und Entwicklung von Algentreibstoffen. Präsident Barack Obama schwärmte im Februar, die Vereinigten Staaten könnten bis zu siebzehn Prozent ihrer Ölimporte durch Algensprit ersetzen. Über eine Milliarde Franken investiert das Land aktuell in die Algenforschung. Einen Hauptkunden gibt es bereits: Das Militär, das in den USA jede fünfzigste Tonne Erdöl verbraucht, will Unabhängigkeit vom Ausland erlangen. Die US-Marine tankte diesen Sommer erstmals für zwölf Millionen Franken Algendiesel.
Die Kostenfrage
Führt nun der dritte Anlauf zum Durchbruch? Was im Labor verheissungsvoll blubbert, muss noch lange nicht im grossindustriellen Massstab wirtschaftlich sein. Vor allem zwei Fragen beschäftigen die ForscherInnen: Wie können Algen so mit Licht und CO2 versorgt werden, dass sie effizient Biomasse aufbauen? Und wie kann daraus möglichst viel Treibstoff gewonnen werden?
Die besten Chancen rechnen sich Länder aus, die CO2 aus Industrieanlagen und viel Sonne haben, darunter die USA, Spanien, Israel und Australien. Auch im weniger hellen Nordeuropa experimentieren Energiekonzerne damit, das in Kohlekraftwerken anfallende CO2 aufzufangen und für den Aufbau von Algenbiomasse zu nutzen.
Einen Sonderweg geht das US-Unternehmen Solazyme: Es füttert Algen in dunklen Tanks nicht mit Licht, sondern mit Pflanzenzucker, also einer bereits umgewandelten Form von Sonnenenergie. Die Algen werden dann mithilfe von Mikroorganismen zu Öl fermentiert, das extrahiert werden kann.
Andere ZüchterInnen betreiben offene Teiche oder geschlossene Reaktoren, um Sonnenstrahlen einzufangen und in Algenbiomasse umzuwandeln. Die Teiche werden einfach in den Boden gegraben; das senkt die Kosten – bei Treibstoffen wird um jeden Cent gekämpft.
Auch in Fotobioreaktoren können Algen effizient beleuchtet und ernährt werden: Glasröhren sind zwar teurer als Teiche, dafür ist die Kontaminationsgefahr geringer als in offenen Teichen, wo Algenstämme nicht nur in die Umwelt ausbüxen, sondern umgekehrt auch durch andere Algen aus der Umgebung geschädigt werden können.
Wenn ausser Öl auch andere Inhaltsstoffe von Algen gewonnen werden sollen, etwa Vitamine oder Nährstoffe für Lebensmittel und Kosmetika, dürfen diese nicht verunreinigt sein. Gerade die EU hat bislang vor allem auf solche Stoffe gesetzt, weil sie viel profitabler sind: Eine Tonne Algenethanol bringt laut einer aktuellen Studie zuhanden der EU-Kommission nur rund 725 Franken, Proteine erzielen dagegen 1200, Alginate sogar 3600 Franken pro Tonne. Alginate sind Salze aus den Zellwänden von Algen, die zum Beispiel Gummibärchen formen, Pudding verdicken oder Marmelade gelieren lassen.
Für die Schweiz gilt laut Frédéric Vogel vom Paul-Scherrer-Institut Ähnliches für die kommerzielle Algennutzung: «Hier werden wir wegen der schlechteren Randbedingungen – generell teures Land, zu wenig Sonneneinstrahlung, hohe Lohnkosten – wohl nie eine industrielle Algenproduktion für Biotreibstoffe realisieren.» Anders sehe es bei kosmetischen Stoffen aus: «Da ist die Wertschöpfung sehr hoch, und es kommt nicht darauf an, dass die Algen energetisch effizient gezüchtet werden.»
Genmanipulierte Algen ein Risiko
Wie umweltfreundlich die Algenwelt wird, ist noch unbekannt. Am Karlsruher Institut für Technologie entsteht gerade eine Ökobilanz dazu. Vor zwei Jahren befanden Studien an der University of Virginia und am Institut Inria bei Montpellier, die Treibhausgasbilanz von Algen sei meist schlechter als die anderer Pflanzen. Dünger- und Energieverbrauch hängen allerdings sehr von den Umständen ab: Algen sind im spanischen Almería doppelt so produktiv wie im weniger sonnigen Amsterdam.
Wie die Agrotreibstoffe sind auch gentechnisch leicht manipulierbare Algen wie etwa Blut- oder Blaualgen besonders attraktiv für die Industrie: Könnte man sie zu schnellerem Wachstum anregen oder ihren Fettgehalt erhöhen, liesse sich aus ihnen noch mehr Treibstoff gewinnen.
Gegen genmanipulierte Algen gibt es allerdings diverse Vorbehalte. «Transgene Algen in offenen Teichen sind ein nicht zu verantwortendes Risiko», sagt etwa Christoph Then von der Münchner Initiative Testbiotech: «Wenn zum Beispiel die Algenol-Anlagen an der Pazifikküste durch einen Hurrikan beschädigt werden, können die Blaualgen kilometerweit auf dem Meer verteilt werden.» Diese Organismen seien aber auf die effiziente Zersetzung von Biomasse optimiert – auf Kahlfrass also.
Unkalkulierbar sei auch die Entsorgung der bei der Energieproduktion anfallenden Reste, so Then: Tierfutter und Dünger aus Algen könnten überallhin gelangen. Testbiotech fordert ein «Moratorium staatlicher Förderung» und «eine umfassende gesellschaftliche Debatte». Dabei haben die meisten Menschen noch nicht einmal mitbekommen, dass Algen auch ausserhalb des Strandbads ein Thema sind.
Schweizer Algenforschung
Zur Energiegewinnung aus Algen wird auch in der Schweiz geforscht: Das Paul-Scherrer-Institut (PSI) arbeitet an der Vergasung von nasser Biomasse. Bis Ende 2013 soll ein Pilotkraftwerk gebaut werden, das Algen zu Methangas umwandeln kann. Die sonst übliche Trocknung der Biomasse soll dabei entfallen, Nährstoffe, Wasser und CO2 in einem geschlossenen System recycelt werden. Mehr zum Projekt unter www.ccem.ch/sunchem.
Von Mittwoch, 12., bis Freitag, 14. September, zeigt das PSI seine Algenforschung auf dem Bundesplatz in Bern im Rahmen einer Ausstellung: www.swissecs.ch.