Durch den Monat mit Christian Levrat (Teil 1): Sie spielen Schach?
WOZ: Sie spielen Schach?
Christian Levrat: Ja, seit über zwanzig Jahren. Ich bin fasziniert von den taktischen und strategischen Herausforderungen dieses Spiels, von der Notwendigkeit, alle Varianten zu berechnen, alle Wendungen vorauszusehen. Und von der gedanklichen Disziplin, die es voraussetzt.
Ist Schach wie Politik?
Sehr ähnlich. Nur ist die Politik kein Spiel.
Falls Sie zum neuen Präsidenten der SP gewählt werden, könnten Sie durchaus eines Tages schachmatt gesetzt werden.
Mit diesem Risiko muss man leben, wenn man Politik macht. Ich suche die Herausforderung nicht à tout prix, aber ich freue mich darauf, zusammen mit anderen die Partei aus ihrem Tief herauszuholen.
Wie wollen Sie das tun?
Es braucht eine schonungslose Diskussion. Ich versuche, meinen Standpunkt möglichst klar einzubringen und damit die Debatte voranzutreiben. Für unsere historische Wahlniederlage im Oktober sehe ich drei Gründe. Erstens haben wir taktische Fehler gemacht. Wir waren zu reaktiv, zu stark auf Blocher bezogen, haben unsere eigenen Themen nicht klar genug gesetzt. Der zweite Grund ist, dass wir parteiintern zu sehr konsens- und harmoniebedürftig waren. Das hat uns ein flaches Profil gegeben. Der dritte Fehler ist am schwierigsten zu korrigieren: Die Partei hat zum Teil ihre Mobilisierungsfähigkeit verloren. Sie schafft es nicht mehr in einem genügenden Ausmass, die Menschen davon zu überzeugen, dass sich ein politisches Engagement lohnt. Sie glauben nicht mehr, dass man damit etwas verändern kann.
Lässt sich Aktivismus verordnen?
Nein. Das braucht Knochenarbeit und dauert länger als vier Jahre. Aber wir müssen es schaffen, wieder vermehrt zu einer Bewegung zu werden.
Sie sind Romand und gehören zum Gewerkschaftsflügel. Wollen Sie nun den Deutschschweizer GenossInnen proletarische Sitten beibringen?
(lacht): Die SP lebt von ihrer Vielfalt, wir dürfen nicht eine Gruppierung gegen die andere ausspielen. Aber
wir dürfen auch nicht vergessen: Die SP hat historisch und politisch den gleichen Hintergrund und die gleiche Geschichte wie die Gewerkschaften. Wir gehören zur Arbeiterbewegung.
Wie wollen Sie die urbanen Mittelschichten und die Arbeiterschichten versöhnen?
Die SP ist viel breiter als das, wir haben viel mehr Strömungen, feministische, ökologische … Diese Breite müssen wir pflegen und dennoch nahe am Volk
Politik machen.
Ist das mehr als ein Schlagwort?
Das ist sogar sehr konkret: Wir müssen die Verteilungsfrage und die soziale Frage wieder ins Zentrum rücken. Ganz bewusst und ganz hart.
Sie haben in den letzten Wochen Dutzende von Gesprächen geführt, um sich ein Bild über den Zustand der SP zu machen. Mit welchem Ergebnis?
Vorerst noch kein konsolidiertes. Mein Ziel ist eine breite Konsultation. Die Ergebnisse sollen auch gezielt umgesetzt werden. Die Linke ist gut in der Analyse, aber bei der Umsetzung hapert es meistens. Dass Analyse und Umsetzung zusammengehören, habe ich beim Schachspiel gelernt.
Verraten Sie uns doch, in welche Richtung die Gespräche gehen?
Was die Wahlkampfbilanz betrifft, herrscht ziemlich grosse Einigkeit. Was den Zustand der Partei betrifft, schon etwas weniger. Zumindest sind wir uns einig, dass die interne Koordination verstärkt werden muss. Es braucht eine verstärkte Präsenz der nationalen Partei in den Kantonen und umgekehrt. Es braucht mehr Streitkultur.
Einige Ihrer Gegner bezeichnen Sie als «Bulldozer» und werfen Ihnen gerade vor, nicht genügend einigend aufzutreten.
Man kann nicht politisch tätig sein, ohne einigend zu wirken, das weiss ich als Präsident der Gewerkschaft Kommunikation sehr genau. Aber es ist wahr, dass ich meine Hauptrolle als Parteipräsident nicht darin sehe, die verschiedenen Flügel zusammenzuhalten, sondern die Diskussion zu organisieren.
Hat Ihr Vorgänger Hans-Jürg Fehr zu stark einigend gewirkt?
Ja, schon. Aber das ist nicht sein Fehler. Es war das Bedürfnis unserer Partei, nach langen Jahren des Streits. Christiane Brunner wurde mit dem Auftrag gewählt, die Partei zu beruhigen, Hans-Jürg Fehr hat es weiter so gehalten. Heute ist die Partei reifer geworden, sie muss und kann offene Diskussionen aushalten. Und ich bin überzeugt, dass wir im Kernbereich keine unvereinbaren Meinungsverschiedenheiten haben.
Christian Levrat, geboren 1970 in Bulle, ist Jurist, Politwissenschaftler, Präsident der Gewerkschaft Kommunikation und Vizepräsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, Freiburger SP-Nationalrat und (bisher) einziger Kandidat für das SP-Präsidium. (Stand Januar 2008)