Anti-Wef: Zurück in die Offensive

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Die Bewegung gegen das Weltwirtschaftsforum ist kaum noch aktiv. Lässt sich das wieder ändern? Für die Suche nach Strategien hilft ein Blick auf die letzten Jahre – und einer nach Deutschland.

Die Bilanz des letzten Samstags in Bern ist nicht schön. 242 Menschen wurden verhaftet, darunter auch WOZ-Mitarbeiter Dinu Gautier. Wieder einmal beteiligte sich das Militär an Polizeieinsätzen. Berner Stadtbusse dienten als Gefangenentransporter. Doch trotz der polizeilichen Einschüchterungstaktik wagten sich einige Hundert AktivistInnen gegen das Weltwirtschaftsforum (Wef) in die Berner Altstadt. Auch ein Grossaufgebot konnte nicht verhindern, dass immer wieder Demos entstanden. Das, immerhin, ist ein Erfolg.

So tief sind die Massstäbe also schon.

Wahrscheinlich hat die Empörung über die Berner Behörden, die die Bewilligung zwei Tage vor der Demo zurückzogen, einige zusätzliche Demonstrierende nach Bern gebracht. Doch das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Anti-Wef-Bewegung in einem schlechten Zustand ist. In den letzten Jahren wurde der Widerstand immer voraussehbarer. Die Demos erreichten keine kritische Grösse mehr. Andere Gruppen propagierten theatralische Aktionen: Vor drei Jahren brachten falsche Polizisten und tanzende Musikantinnen Unruhe in die Berner Innenstadt und zogen das massive Polizeiaufgebot ins Lächerliche. Die zweite Auflage ein Jahr später war dann allerdings mager, und der letztjährige Versuch, mit solchen Aktionen in Davos selber Verwirrung zu stiften, scheiterte: Kaum jemand bereitete etwas vor. Die gespannte Erregung früherer Jahre vor dem Wef wich immer mehr einer grossen Müdigkeit. Die Flugblätter konnten auch jedes Jahr wiederverwendet werden. Irgendwie war das alles nicht mehr interessant. Die TaktikerInnen aus Polizei und Staatsschutz haben ihr Ziel beinahe erreicht. Spätestens seit dem Landquarter Kessel vom Januar 2004 ist klar: Direkte Auseinandersetzungen gewinnt immer die Polizei.

Die Bündniskette

Wie kommt wieder Bewegung in die Schweiz? Diese Frage betrifft nicht nur Wef-GegnerInnen, sondern alle Linken, die ihren Einsatz nicht auf Parlamente beschränken wollen. Denn der Widerstand gegen das Wef ist schon lange nicht mehr zu trennen vom Einsatz für Grundrechte. Dass es heute schon als Erfolg gilt, wenn es gelingt, ein Grundrecht auszuüben, ist bedenklich genug.

Auf der Suche nach Strategien lohnt sich ein Blick nach Deutschland. Dort war die Linke letzten Sommer gegen den G8-Gipfel erstaunlich erfolgreich. Die Belagerung des Zauns um das Tagungsgelände war ein Höhepunkt der Aktionstage. Das Spektrum, das gegen den Gipfel mobilisierte, reichte von christlichen Hilfswerken über die Linkspartei bis zu autonomen Gruppen. Trotz grosser Meinungsverschiedenheiten konnten die Gruppen mit- oder zumindest nebeneinander aktiv sein – dank Bündnissen und Absprachen. Eine ganze Kette von Bündnissen verband die Gruppen von der Mitte bis ganz links.

Ausserdem waren die Aktionsformen entscheidend. Die grosse Blockade der Zufahrtsstrassen kam weder mit Steinwürfen noch mit Strassentheater zustande – sondern mit einem dritten Weg: zivilem Ungehorsam. Tausenden gelang es, die Polizeireihen zu umgehen und sich vor dem Zaun stundenlang festzusetzen – mit nur dem eigenen Körper als (passiver) Waffe. In Deutschland haben solche Aktionsformen eine lange Tradition und wurden während der Proteste gegen die Atommülltransporte nach Gorleben ständig verfeinert.

Breite gegen Kriminalisierung

Und in der Schweiz? Auch hier gab es vor einigen Jahren einen Versuch, den Protest besser zu vernetzen: das Oltner Bündnis. Ihm gehörten so unterschiedliche Organisationen wie die Anti-WTO-Koordination, Attac, die Juso, die Grüne Partei und die Religiösen SozialistInnen an. Das Oltner Bündnis weigerte sich, Sicherheitsschleusen und präventive Durchsuchungen von DemoteilnehmerInnen zu akzeptieren und sorgte so für die bisher letzte grosse Grundrechtsdebatte in der Schweiz. Doch es geriet bald von links und rechts unter Druck und scheiterte schliesslich an der Gewaltdebatte – im Vorfeld der Demo, die im Januar 2004 in Zürich geplant war und dann nicht zustande kam. Seither gab es keine breiten überregionalen Anti-Wef-Demos mehr.

Die Geschichte des Bündnisses zeigt, wie enorm schwierig die Arbeit in breiten Bündnissen ist – aber auch, wie wichtig sie wäre. Es war (anders als die einzelnen Organisationen darin) gross genug, um gehört zu werden, es kommunizierte offensiv mit den Medien, zeigte auch Gesichter - es konnte nicht einfach als kriminell abgestempelt werden. Das Zerbrechen des Oltner Bündnisses war sicher nicht der einzige Grund, warum ab 2004 die Anti-Wef-Mobilisierung stetig abnahm und die Medienberichterstattung vollends Wef-unkritisch wurde. Aber es hatte doch einiges damit zu tun.

Wie können neue Bündnisse entstehen? Wer könnte neue Aktionsformen ausprobieren? Die Methoden des zivilen Ungehorsams sind in der Schweiz kaum mehr geläufig. Doch das lässt sich ändern. Verschiedene Organisationen in Deutschland bieten sogar Trainings in gewaltfreiem Widerstand an. Der friedliche, aber konfrontative Weg wäre eine Möglichkeit, zurück in die Offensive zu kommen. Nicht nur gegen das Wef.