Anti-Wef-Widerstand: Die Renaissance der Winterreisen
Donald Trump beehrt das Wef – und wird wohl die grössten Anti-Wef-Proteste seit Jahren auslösen. Kann die Bewegung an frühere Erfolge anknüpfen?
Um die Jahrtausendwende hatte der Winter für Schweizer Linke einen klaren Höhepunkt: das letzte Januarwochenende. Da zogen wir los Richtung Davos, um gegen das Wef zu protestieren, es vielleicht sogar zu blockieren, so die Hoffnung. Man wusste nie, wo der Tag enden würde, aber oft waren es ungemütliche Orte: vor hohen, mit weissem Plastik blickdicht gemachten Absperrgittern. In einem blockierten Zug auf dem Bahnhof Fideris im Prättigau. Eingekesselt von PolizistInnen in Kampfmontur auf dem Bahnhof Landquart. Oder an einer versprengten Demo in der gespenstisch leeren Stadt Zürich.
Es waren seltsame Winterreisen, und sie konfrontierten die Schweiz mit einer Militarisierung, die anfangs noch ungewohnt war: Militärhelikopter, Scharfschützen, gesperrte Zonen. «Polizeieinsatz wie in Diktatur», titelte der «Blick» im Januar 2001. Diese Empörung förderte die Mobilisierung eine Zeit lang sehr. Plötzlich schien radikale Politik wieder denkbar, nachdem in den neunziger Jahren viele ausserparlamentarische Gruppen auseinandergefallen waren, nicht nur in der Schweiz. Die «Schlacht» von Seattle im Herbst 1999, die ein Treffen der Welthandelsorganisation (WTO) verunmöglichte, läutete das Ende der bewegungsarmen Zeiten ein.
«Als wegen Seattle plötzlich alle Medien aufmerksam wurden, gab es die Bewegung in der Schweiz bereits», sagt der langjährige Berner Aktivist David Böhner. Denn die grosse Vernetzung hatte schon im Mai 1998 begonnen: mit einem – von den Medien kaum wahrgenommenen – globalen Aktionstag gegen eine WTO-Konferenz in Genf. Dort entstand auch das Bündnis Peoples’ Global Action, eine wilde, vom Aufstand in Chiapas inspirierte Mischung aus bäuerlichen und indigenen Aktivistinnen, Hausbesetzern, Gewerkschafterinnen und Autonomen.
Einbinden und Einkesseln
Für einige Jahre entglitt dem Wef die Definitionsmacht über die eigene Veranstaltung: Plötzlich fanden es fast alle unsympathisch. Klaus Schwab und seine Untergebenen reagierten mit einer Charmeoffensive und einer Spaltungsstrategie – die «Dialogbereiten» unter den KritikerInnen wurden ins sogenannte Open Forum eingebunden, die «Radikalen» eingekesselt. Eine Strategie aus dem Lehrbuch. Leider ging sie auf. Der Zürcher AL-Gemeinderat Walter Angst brachte es im Rückblick auf den Punkt: «Wenn Repression zum Hauptthema einer Bewegung wird, erreicht man die Leute nicht mehr» (siehe WOZ Nr. 28/2008 und WOZ Nr. 29/2008 ).
Und dann? Der deutsche Philosoph Thomas Seibert teilt die linken Bewegungen nach Seattle in zwei Zyklen ein. Der zweite Zyklus habe 2010 begonnen: mit dem Arabischen Frühling, gefolgt von Occupy und den Bewegungen gegen die Austeritätspolitik in Südeuropa. Es fällt auf, dass von diesem zweiten Zyklus hierzulande nur sehr wenig ankam. Es scheint, als habe die internationale Vernetzung der Schweizer Bewegungslinken im letzten Jahrzehnt wieder abgenommen.
Entscheidender ist aber wohl etwas anderes: Die Schweiz ist ein Land von GlobalisierungsgewinnerInnen, immer noch und immer mehr. Während Occupy Wall Street oder die Platzbesetzungen in Spanien breite Schichten ansprachen, die um ihr Existenzminimum und ihre Würde kämpften, blieb Occupy Paradeplatz eine Stellvertreterbewegung, die bald versandete. Und auch um das Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP), das in Deutschland Hunderttausende auf die Strasse brachte, blieb es in der Schweiz still – in der falschen Annahme, es betreffe «uns» nicht. Es gab im letzten Jahrzehnt einige bewegungspolitische Erfolge in der Schweiz: die aufflackernde Anti-Atom-Bewegung nach Fukushima, die Wiedergeburt der Juso als wichtigste Anlaufstelle junger Linker, die solidarische Landwirtschaft. Doch sie knüpften relativ wenig an die grossen europäischen Mobilisierungen an.
Bündnisse sind gefragt
Und jetzt? Belebt ausgerechnet Donald Trump den Wef-Widerstand neu? Das wäre leicht absurd, aber wünschenswert. Entscheidend wird sein, ob in den nächsten Wochen Bündnisse entstehen, die verschiedene Gruppen verbinden, ähnlich wie es das «Oltner Bündnis» zwischen 2001 und 2003 gegen das Wef versuchte.
Auch wenn der Dialog zwischen Bewegungslinken, Grünen, PdA und NGOs damals sehr schwierig und kraftraubend war und schliesslich scheiterte: Solche Zusammenschlüsse sind wichtig und nötig. Denn solange jede kleine Subgruppe getrennt demonstriert, entsteht keine gesellschaftsverändernde Kraft.