Einkaufszentren: Zu Fuss durchs leere Deck

Nr. 7 –

Fast die ganze Schweizer Bevölkerung lebt weniger als eine halbe Stunde Autofahrt von einem Shoppingzentrum entfernt. Eine Quote, die noch höher werden soll - und niemand soll dagegen rekurrieren dürfen.

Es ist ein sonniger, schöner Februarmorgen, ein guter Tag für einen Shoppingausflug - sieben Zentren rund um Zürich und entlang der Autobahn nach Bern wollen besucht werden. Start ist im Seedamm-Center im schwyzerischen Pfäffikon, morgens um halb zehn. Das Pionierzentrum, liebevoll «Seedi» genannt (Slogan: «Wir nehmen uns viel Zeit für Sie», 21 000 Quadratmeter, 50 Geschäfte, rund 270 Millionen Franken Umsatz, 1400 Parkplätze) wurde 1974 eröffnet. Der motorisierte Individualverkehr - so heisst das im Planungsjargon - erreicht das Seedi über ein abenteuerliches Leitsystem, dank dessen man dann beispielsweise auf «Park Ost Dach Süd» landet. Oder auch anderswo, völlig egal, die meisten Plätze stehen ohnehin leer. Wäre es nach dem Seedamm-Center gegangen, stünden noch viel mehr leer, bei einer vor rund zehn Jahren geplanten Erweiterung sollten 600 neue entstehen. Das Bundesgericht gab 2005 dem Rekurs des Verkehrsclubs (VCS) recht, der ein Drittel weniger, dafür bewirtschaftete, das heisst kostenpflichtige Parkplätze verlangte. Seither werden Einkaufszentren, die sich erweitern oder umgestalten wollen, rechtlich nicht anders behandelt als neue Anlagen.

Die härteste Prüfung

Vielleicht deshalb ist Shoppen im Seedi eine ernste Sache. Mit grimmigen Mienen stürmen die Kauflustigen oder vielmehr Kaufwütigen ins Einkaufszentrum, stürzen in den zahlreichen Cafés konzentriert ihre Espressi herunter, zerbröseln ihre Gipfeli. Fröhlich sind hier nur die VerkäuferInnen. Und die Frösche in ihren Glaskästen, die HauptdarstellerInnen der Ausstellung «Farbige Hüpfer». Wanderausstellungen sind ein grosses Thema in der Shoppingwelt. Die Medien erwähnen sie, die KundInnen geniessen neben dem profanen Konsumkick auch Kunst, Brauchtum und Wissenschaft.

Auf solche Anreize kann die zweite Station auf unserer Einkaufszentrentour offensichtlich verzichten. Sie ist auch so schon die wohl härteste Prüfung in der Einkaufswelt. Wir sind in Dietlikon (Gemeindemotto: «Menschlich, offen, modern»), genauer in der Industriezone Dietlikon Süd - auf 73 500 Quadratmetern Verkaufsfläche tummeln sich ein Dutzend Fachmärkte, Einkaufszentren, Multiplexkinos und noch viel mehr Reklameschilder ... Über 2800 Parkplätze erleichtern den Einstieg in diese Welt. Wenig? Vielleicht - im Verhältnis zur Anzahl Geschäfte. In der Praxis wird klar, Füsse haben in Dietlikon ausserhalb eines Autos kaum etwas zu suchen.

Carrefour Dietlikon

Das Carrefour (Slogan «Grosse Auswahl! Kleine Preise!», 5800 Quadratmeter, 700 Parkplätze) hat viel leeren Platz am Montagvormittag. Wahrscheinlich, weil Parkieren einen Franken für zwei Stunden kostet, Rückerstattung an der Kasse. Unser Aufenthalt wird aber viel kürzer. Ein, zwei Fotos der gestalterisch wertvollen Vegetation auf dem Parkplatz, und aus dem Gebäude geschossen kommen der Geschäftsleiter («Was fotografieren Sie da? Das ist mein Grundstück!») und ein Sicherheitsbeamter. Angriffslustig und unflätig. Ausweiskontrolle! Das dürften sie leider nicht, erklären wir. Sie bestehen darauf. Also muss die Polizei her. Der Geschäftsleiter schwirrt ab, der Sicherheitsmann erkundigt sich nach dem Auftraggeber, ist erleichtert, dass es nicht der «Blick» ist («Ich kenne den Chef»). Vor drei Jahren berichtete der «SonntagsBlick» über sexuelle Belästigung in der Carrefour-Filiale, das kam nicht gut an bei Carrefour. In den USA käme man übrigens ein Jahr ins Gefängnis wegen solcher Fotos, meint der Mann entschuldigend ...

Dann kommt der Polizeibeamte Roth, der Securitymann übergibt die Angelegenheit, sagt: «Sie sind nicht vom 'Blick', das habe ich festgestellt.» Es gibt Hausverbot, die Fotos werden gelöscht. Man hätte doch aber die Ausweise zeigen können und die Sache verkürzen, meint Polizist Roth. Der Sicherheitsmann dürfe das verlangen. Dürfe er nicht. Doch, besteht Herr Roth. Darf er nicht. Herr Roth schweigt nun.

Glatt-Zentrum Wallisellen

Weiter ins Glattzentrum in Wallisellen, das Luxusding unter den Shoppingzentren (Slogan: «Your first Shopping Destination», 43 400 Quadratmeter, 105 Geschäfte und Restaurants, 648 Millionen Franken Umsatz, 4750 Gratisparkplätze). Es ist ein Jahr jünger als das Seedi in Pfäffikon, der Eleganz verpflichtet, und vom vierzehnten Parkdeck kann hochmütig auf die billigen Plätze in Dietlikon heruntergeblickt werden, auf Carrefour beispielsweise. Das vierzehnte Deck ist fast leer, ebenso wie Deck eins bis dreizehn. Viele Plätze, aber das Glattzentrum entstand, als noch ganz anderes galt, damals, als man für die Zentren noch direkte Autobahnausfahrten baute.

Parkallee Bachenbülach

Nicht mehr ganz jung ist auch die Parkallee Bachenbülach (Slogans: «Ihr Einkaufspark» oder neu «P wie Parkallee», 20 Geschäfte, 500 Gratisparkplätze), ein heute irrelevantes Altzentrum - nicht mal der eingemietete Aldi kann das richten. Bald soll es wieder laufen, im Oktober 2008 wird renoviert, die Läden, wie s'Presäntli und Teppichwelt und Beauty World, mit einem Spezialangebot für Wimperndauerwellen, bleiben drin. Spannender ist die Gegend rundherum, in Bachenbülach siehts heute so aus wie in Dietlikon vor dem shoppalen Urknall. Coop, Jumbo und die üblichen Verdächtigen machten der Gemeinde solche Sorgen, dass sie 2005 ein Baumoratorium aussprach. Eine Aufhebung ist absehbar, seit diesem Januar liegt eine neue Bau- und Zonenordnung auf, die «dazu diene, dass das Einkaufsgebiet als Konsummekka von regionaler Bedeutung gestärkt werde», so der zuständige Projektleiter zur «Neuen Zürcher Zeitung».

Gäupark Egerkingen

Weiterfahren also, in ein bestehendes Konsummekka: Im solothurnischen Egerkingen liegt der Gäupark (Slogan: «Näher als Sie denken», 40 000 Quadratmeter, 54 Geschäfte, rund 700 Gratisparkplätze). 2000 wurde hier erweitert, der Gäupark ist das viertgrösste Einkaufszentrum der Schweiz. An zweiter oder dritter Stelle (je nach Quelle) ist übrigens das Shopville im Zürcher Hauptbahnhof - ganz ohne Parkplätze. Nun, der Gäupark bietet sicher alles, was das shoppende Herz begehrt, das konnte an diesem einen Einkaufsmontag leider nicht mehr überprüft werden. Mehr ging nicht, der Erlebniswelten, Konsummekkas und Einkaufstempel waren genug. Rund hundert gibt es in der Schweiz, dreissig davon sind in den letzten zehn Jahren entstanden, nicht einmal sieben sind an einem Tag zu schaffen - das Shoppyland Schönbühl (über 70 Geschäfte, Slogans: «Einkaufen als Erlebnis» oder «Unkompliziert und sympathisch», Umsatz rund 240 Millionen Franken) und die Westside-Baustelle in Brünnen (noch kein Slogan, 60 Geschäfte mit Altersresidenz, Erlebnisbad und Multiplexkino, 1375 Parkplätze, Eröffnung geplant im Oktober 2008) bleiben auf der Strecke.


Bedrohtes Beschwerderecht

Die Rechtskommission des Nationalrats berät am Donnerstag, 14. Februar, über die FDP-Initiative zur Abschaffung des Verbandsbeschwerderechts. Der Ständerat hat die Initiative und die Ausarbeitung eines Gegenvorschlags bereits abgelehnt. Das Beschwerdeverbot beträfe zwar alle Interessenverbände, wurde aber hauptsächlich gegen den VCS und dessen Rekurse gegen Einkaufszentren lanciert. Der Kanton Aargau stimmt am 24. Februar ab über die Initiative «Gegen Bauverhinderung, für neue Arbeitsplätze». Sie verlangt die Abschaffung des kantonalen Verbandsbeschwerderechts. Im Kanton St. Gallen stimmte das Volk im Juni 2007 für eine Abschaffung, das Zürcher Kantonsparlament lehnte im September 2007 eine Abschaffung ab. Und bis Ende März läuft die Vernehmlassung zu Änderungen in der Verordnung zum Verbandsbeschwerderecht - das Departement von Umweltminister Moritz Leuenberger will die Schwelle für Einsprachen massiv erhöhen.