Migros versus VCS: Schweigen bringt Ärger – Reden ist Geld

Bei der Migros mehren sich die Stimmen, die von einer offenen Konfrontation mit dem Verkehrsclub Schweiz nichts halten.

Vergangene Woche trafen sich hohe VertreterInnen des Migros-Genossenschafts-Bundes (MGB) und der Umweltorganisationen in Zürich zu einem Gespräch. Migros-Mediensprecher Urs-Peter Naef erklärte dazu, einerseits sei es um eine Kontaktaufnahme gegangen, andererseits habe der MGB bei strittigen Fragen im Umweltbereich – insbesondere beim Verbandsbeschwerderecht – seine Position klar darstellen wollen. Man habe sich ohne konkrete Ergebnisse getrennt, aber wolle das Gespräch weiterführen.

Das ist auch bitter nötig. Zuletzt war der Streit zwischen Migros und dem Verkehrsclub der Schweiz (VCS) eskaliert. Thomas Bornhauser, Sprecher der Migros Aare, hatte den VCS wegen seiner Einsprachen gegen ein geplantes Einkaufszentrum in Oftringen AG als Verhinderungsklub bezeichnet. Und Migros-Boss Anton Scherrer machte den VCS dafür verantwortlich, dass Investitionen in Milliardenhöhe nicht getätigt und Tausende von Arbeitsplätzen nicht geschaffen werden könnten. Dann zog der «Blick» nach und veröffentlichte eine Liste von grossen Migros-Projekten, die wegen Einsprachen – unter anderem des VCS – zurzeit blockiert sind: Dazu gehören die Einkaufszentren Westside Bern-Brünnen, Grüze Winterthur, Länderpark Stans und das Seedamm-Center Pfäffikon.

Was steht für die beiden Kontrahenten auf dem Spiel? Migros befindet sich nicht erst seit letzter Woche in einem erbitterten Konkurrenzkampf mit Coop. In den sechziger und siebziger Jahren war der orange Riese der Pionier für grosse Einkaufszentren auf der grünen Wiese. Viele davon sind heute nicht zeitgemäss und müssten den veränderten Bedürfnissen der Kundschaft angepasst werden. Dazu kommen neue Standorte an günstigen Verkehrslagen: Migros plant, jährlich 60 000 Quadratmeter neue Verkaufsfläche zu schaffen. Das entspricht einer Fläche von fünfzehn Fussballfeldern. Diese Ausbaupläne sind durch Einsprachen blockiert.

Kompromissloser Bauherr

In den letzten Jahren erwies sich Migros oft als kompromissloser Bauherr. Verschiedene Migros-Genossenschaften weigerten sich, mit dem VCS auch nur zu verhandeln – und sahen sich dann mit Einsprachen und Rekursen konfrontiert, die oft von den angerufenen Gerichtsinstanzen gestützt wurden.

Zum Vergleich: Coop sei immer daran interessiert, mit den Einsprechern eine einvernehmliche Lösung zu finden, erklärt Coop-Pressesprecher Karl Weisskopf: «Auch wenn die Verhandlungen bisweilen sehr schwierig und mühsam sind.» Zurzeit ist Coop mit dem VCS wegen eines neuen Verteilzentrums in Aclens VD im Clinch.

Es sind allerdings nicht nur die einzelnen Migros-Genossenschaften, die einen harten Kurs gegenüber Einsprachen von Umweltverbänden fahren. Auch der MGB hielt sich zur Überraschung vieler nicht zurück: Unter dem Titel «Einkaufen und Verkehr» brachte er zum Beispiel eine Broschüre in den Umlauf, die nicht nur die ökologischen Leistungen der Migros herausstrich (grosser Anteil an Bahntransporten, Unterstützung von Mobility etc.), sondern darin auch massiv die Umweltverbände angriff sowie das Verbandsbeschwerderecht, das Letzteren zusteht: Manche Verbände würden dieses Recht missbrauchen und Bauvorhaben jahrelang verzögern. Heftig wies Migros den Anspruch einzelner Verbände wie des VCS zurück, «an einem Baugesuchverfahren als zweite Bewilligungsinstanz beteiligt zu werden». Und: «Zonenkonforme Bauten in einer rechtskräftigen Bauzone sollten nur in besonderen Fällen der Verbandsbeschwerde unterstellt werden.»

Dies hätte zur Folge, dass die im Umweltrecht vorgesehenen Bestimmungen kaum mehr durchzusetzen wären – denn erfahrungsgemäss legen die Baubewilligungsbehörden diese Bestimmungen sehr oft zum Vorteil der Investoren aus. Vor Gericht haben deren Auslegungen dann oft keine Chance.

Auch Migros-Sprecher Naef lehnt Verträge zwischen seinem Unternehmen und Rekurrenten ab: «Es geht doch nicht an, dass eine Baubewilligungsbehörde uns sagt, wir sollen uns zuerst mit dem VCS einigen. Sie sollen diese Aufgabe gefälligst selber erledigen.»

Und wie ist es mit den Missbräuchen beim Verbandsbeschwerderecht? Immerhin ist erwiesen, dass die Umweltverbände mit ihrem Klagerecht sehr zurückhaltend umgehen und in zwei Dritteln aller Fälle vor Gericht Recht bekommen. Naef bezeichnet beispielsweise die Einsprache der Greina-Stiftung beim geplanten Hardturm-Stadion als missbräuchlich. Dort baut die Migros allerdings nicht selber, sondern will später allenfalls ein Einkaufszentrum betreiben.

Im Parlament ist der Angriff auf das Verbandsbeschwerderecht bereits angelaufen. Eine entsprechende Initiative des Appenzeller SVP-Nationalrates Jakob Freund kam zwar nicht durch. Doch der Zürcher Ständerat Hans Hofmann hat in der Kleinen Kammer einen ähnlichen Vorstoss eingereicht, der im Herbst verhandelt werden soll.

Recht und Image

Der VCS hat eine ähnliche Struktur wie die Migros. Er besteht aus einer nationalen Dachorganisation und verschiedenen Sektionen. Die Verbandszentrale hat nur wenig Einfluss auf die Sektionen und kann deshalb nicht einfach per Weisung deren Politik bestimmen. Und da geraten sich unterschiedliche Sichtweisen innerhalb des VCS in die Quere.

Gabi Petri, Geschäftsführerin des VCS Zürich, will zum Schutz der Umwelt alle Projekte konsequent gleich behandeln: «Dann wissen unsere Gegner, mit welchen Standards sie zu rechnen haben.» Dieses Vorgehen schaffe gleich lange Spiesse für alle Beteiligten. Dass es dann wie beim Bau des Hardturm-Stadions zu zeitlichen Engpässen kommen kann, nimmt Petri in Kauf.

Andere wünschen sich einen flexibleren Kurs: Gerade das Zürcher Stadion ist ein Projekt, mit dem man sich viel Sympathien verscherzen kann. Sollte es nämlich nicht rechtzeitig bis zur EM 2008 fertig gestellt sein, werden alle mit dem Finger auf den VCS zeigen und ihn als Verhinderer brandmarken; auch wenn andere Einsprecher vielleicht noch unnachgiebiger aufgetreten sind. Nicht nur in der Zentrale in Bern ist man der Ansicht, dass ein Verhinderungsimage dem VCS schade. Aber das lässt sich nicht einfach steuern.

Rita Haudenschild von der VCS-Sektion Bern findet zum Beispiel das geplante Migros-Freizeitzentrum Westside in Bern-Brünnen mit einem Investitionsvolumen von rund 500 Millionen Franken eine spannende Sache. Aber im Laufe des Bewilligungsverfahrens seien einzelne Bestandteile der von der Stimmbevölkerung angenommenen Überbauungsordnung nicht mehr präzis genug festgelegt worden. Deswegen habe man die Baubewilligung von Regierungsstatthalter Alec von Graffenried angefochten. «Erst wenn klar ist, welche Massnahmen die Migros ergreifen muss, falls das Kontingent von 6000 Fahrten täglich überschritten wird, werden wir unseren Widerstand aufgeben.»
Haudenschild relativiert im Fall Westside auch die Gesprächsverweigerungshaltung von der Migros: «Wir haben miteinander verhandelt.»

Der MGB ist laut Naef zur Einschätzung gelangt, dass eine offene Konfrontation mit den Umweltverbänden – der VCS ist besonders betroffen, weil er sich auf Verkehrsfragen spezialisiert hat – kaum Vorteile bringt. Doch die neue Gesprächsbereitschaft darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Migros eine wichtige Rolle spielt beim anstehenden Angriff auf das Verbandsbeschwerderecht.