Verkehrs-Club der Schweiz: Die braven Ökoterroristinnen
Aline Trede oder Evi Allemann: Eine neue Präsidentin soll den einstigen Prügelknaben VCS in kommende Schlachten mit der Autolobby führen.
Er war der Feind von unzähligen Fussballfans, die Migros spie Gift und Galle, und der damalige Zürcher SP-Stadtpräsident Elmar Ledergerber sprach gar von «Ökoterror». Vor neun Jahren wurde aus dem Verkehrs-Club der Schweiz (VCS) der Prügelknabe der Nation: Medienhäuser, PolitikerInnen und Konzerne – von allen Seiten her drosch es auf die wichtigste links-grüne Verkehrsorganisation ein.
Und heute? Es ist bedeutend ruhiger geworden um den 1979 gegründeten Verein. Doch nun kommt frischer Wind in den VCS. Franziska Teuscher, die zehn Jahre an der VCS-Spitze stand, tritt zurück. Die grüne Politikerin ist im letzten November in die Berner Stadtregierung gewählt worden. Auch ihr Nationalratsmandat hat sie abgelegt. Am Samstag in einer Woche wählt der VCS an einer ausserordentlichen Delegiertenversammlung eine neue Zentralpräsidentin.
Wo sind die Unterschiede?
Zur Wahl stehen erneut zwei Politikerinnen: Evi Allemann (35) von der SP und Aline Trede (29) von den Grünen. Beide sind aktuell Nationalrätinnen (Trede ist in dieser Frühlingssession für Teuscher nachgerückt), beide stammen aus Bern, beide kennen den VCS von innen. Allemann ist derzeit Mitglied des VCS-Zentralvorstands, Trede war bis Ende 2012 als Kampagnenleiterin angestellt. Beide betonen, dass ihre jeweilige Parteizugehörigkeit nur eine Nebenrolle spiele.
Die Ähnlichkeiten zwischen den beiden Kandidatinnen sind auffälliger als die Unterschiede. Das gilt vor allem auf der VCS-relevanten, also verkehrspolitischen Ebene. Allemann setzt auf das Schlagwort «ökologische Verkehrswende» als Pendant zur Energiewende. Ihre Rolle würde sie als «politische Lobbyistin» verstehen, sie selbst nennt sich «hart in der Sache, aber vermittelnd im Auftritt». Bei Trede klingt es so: «Ich stehe für einen kämpferischen und pointierten VCS.» Sie setzt die Raumplanung als Schlagwort. Die jeweiligen Antworten auf Fragen nach der politischen Stossrichtung oder der Rolleninterpretation sind erwartbar, um nicht zu sagen brav. Von einem Wahlkampf oder einer «Wahl mit Nebengeräuschen», wie der «Tages-Anzeiger» im Februar berichtet hat, kann Anfang April nicht die Rede sein.
Die Wahl ist offen, wie eine Nachfrage bei diversen VCS-Delegierten ergeben hat, die vor der Wahl allesamt nicht namentlich genannt werden möchten. Allemann, die innerhalb der SP eher zum rechten Flügel zählt, hat wohl etwas bessere Karten. Eine interne Findungskommission unter dem Vorsitz des VCS-Vizepräsidenten und SP-Nationalrats Roger Nordmann empfiehlt sie zur Wahl. «Allemann ist seit neun Jahren im Nationalrat und auch in der dortigen Verkehrskommission, das ist ein entscheidender Vorteil für die politischen Anliegen des Verbands», so Nordmann. Zudem habe ihr weitsichtiges und strategisches Denken die Kommission überzeugt. Verkehrspolitisch erfahren ist aber auch Trede. Sie hat unter anderem Umweltwissenschaften studiert und die Offroaderinitiative mitlanciert. Eine gewisse Lust an der Konfrontation ist bei Trede sicher ausgeprägter als bei Allemann, im Herbst 2011 ist sie beispielsweise während einer Aktion gegen das AKW Mühleberg verhaftet worden.
Die befragten Delegierten sind sich einig, dass es sich nicht um eine Richtungswahl handle. Der VCS würde sich mit Allemann als Präsidentin nicht in eine komplett andere Richtung entwickeln als mit Trede. Unterschiede gebe es wohl im Auftritt gegen aussen, wo Allemann eher konsensorientiert sei, während Trede eine gewisse Frechheit mitbringe. Einigkeit besteht auch bezüglich des Einflusses: Der VCS sei kein zentralistisch geführter Verein mit einer grossen Machtfülle für die Präsidentin. Die verkehrspolitische Stossrichtung des VCS würden massgeblich die insgesamt 23 Sektionen und ihre Delegierten mitbestimmen.
«Verhinderer» und «Erpresser»
Vor neun Jahren war der Verein weit entfernt von einem harmonischen Miteinander. Damals brach ein offener Konflikt zwischen der VCS-Zentrale und der Zürcher Sektion aus. Auslöser war ausgerechnet das erfolgreichste und schärfste politische Instrument des Vereins: das Verbandsbeschwerderecht (VBR). Dieses ermöglicht 28 Umwelt- und Heimatschutzverbänden, sich für die Einhaltung des Umweltrechts bei Bauprojekten einzusetzen.
Im Herbst 2003 wandte es die Zürcher VCS-Sektion gegen das geplante Einkaufszentrum Hardturm mit integriertem Fussballstadion an, um so den innerstädtischen Strassenverkehr zu reduzieren. Im April 2004 hiess die Zürcher Regierung die Beschwerde gut. Es folgte ein medialer Sturm der Entrüstung, auch weil damals befürchtet wurde, dass die Stadt Zürich als geplanter Austragungsort der Fussballeuropameisterschaft 2008 gestorben wäre. Weitere VCS-Verbandsbeschwerden wurden in die Medien gespült – beispielsweise jene im aargauischen Oftringen gegen ein geplantes Einkaufszentrum der Migros.
Der VCS stand in der Öffentlichkeit plötzlich als «Verhinderer» und «Erpresser» da, auch wenn er juristisch gesehen in beiden Fällen im Recht war. Der Zentralverband, angeführt von Franziska Teuscher, zog die Handbremse und distanzierte sich von der Zürcher Sektion. Nicht nur rechtlich-sachliche Argumente sollten für die VBR-Anwendung ausschlaggebend sein, sondern auch weiche Kriterien wie politische Vermittlung und Image, hiess es. Die Zürcher Sektion warf der Zentrale wiederum vor, sie wolle den VCS in einen grünen TCS und Dienstleistungsbetrieb verwandeln. Die Konfliktlinie verlief zwischen Verbandsökonomie und Verkehrspolitik.
Die Gegnerschaft des VCS – bürgerliche PolitikerInnen, die Strassenlobby, Baufirmen – witterte damals die Chance, den Umweltverbänden endlich das verhasste Instrument des Verbandsbeschwerderechts zu entreissen. Die Zürcher FDP lancierte unter Federführung der späteren Nationalrätin Doris Fiala eine Volksinitiative, um das VBR massiv einzuschränken. Das Vorhaben scheiterte an der Urne kläglich. Zwei Drittel der Stimmberechtigten lehnten im November 2008 die FDP-Initiative ab.
Das VBR ist – demokratisch legitimiert – ein nützliches Instrument geblieben. Der VCS setzt es weiterhin ein, von der Bevölkerung weitgehend unbeachtet. Er reicht im Schnitt jährlich rund fünf Beschwerden ein, typischerweise gegen Parkplätze bei Shoppingcentern.
Auch der Konflikt zwischen Verbandsökonomie und Verkehrspolitik existiert noch immer, die neue Präsidentin wird ihn aushalten und austarieren müssen. Aber er kocht nicht mehr hoch wie 2004, als der Druck von aussen immens war.
Wichtige Abstimmungskämpfe
Die schärfste Waffe des VCS ist mittlerweile die von ihm lancierte Initiative für den öffentlichen Verkehr, an der über zwanzig Partnerorganisationen beteiligt sind. Sie ist im September 2010 mit über 140 000 Unterschriften eingereicht worden – zum Missfallen der Strassenlobby. Denn die Initiative will Gelder, die bisher für weitere Strassenausbauschritte zweckgebunden waren, auf den öffentlichen Verkehr umverteilen. Konkret setzt die Initiative bei der Mineralölsteuer an. Heute werden 75 Prozent der zweckgebundenen Einnahmen für die Strasse aufgewendet und 25 für den ÖV, künftig sollen es je 50 Prozent sein. 800 Millionen zusätzliche Franken kämen so gemäss Initiativkomitee jährlich dem ÖV zugute.
Diese ÖV-Initiative hat den Bundesrat so weit unter Druck gesetzt, dass dieser einen Gegenvorschlag ausgearbeitet hat: Fabi (Finanzierung und Ausbau der Bahninfrastruktur) sieht vor, dass die Bahninfrastruktur über einen unbefristeten Fonds laufen soll. Der Bundesrat hat dafür 3,5 Milliarden Franken vorgesehen, der Ständerat will 6,4 Milliarden aufwenden. Der Nationalrat fällt seine Entscheidung in der kommenden Session.
Bereits im Frühjahr 2014 könnte es zur Abstimmung über die ÖV-Initiative und den parlamentarischen Gegenvorschlag Fabi kommen. Es sei denn, das Komitee zieht seine ÖV-Initiative zurück, um alleine auf Fabi zu setzen. Die Entscheidung wird nach dem Nationalratsentscheid fallen.
Die Zeichen stehen aber nicht nur auf Angriff. Die Strassenlobby hat kürzlich am Genfer Autosalon – wo sonst – die «Milchkuhinitiative» lanciert, die nichts anderes als eine uninspirierte Antwort auf die ÖV-Initiative ist: Die Mineralölsteuererträge sollen gänzlich dem Strassenverkehr zukommen. In der Pipeline steht zudem der Bau einer zweiten Strassenröhre am Gotthard – der VCS steht bereit, um das Referendum zu ergreifen.
So ruhig wie in den letzten Jahren dürfte es für den VCS und seine neue Präsidentin also nicht werden. Allemann und Trede sind sich dessen bewusst, beide freuen sich auf die Abstimmungskämpfe. Die Zurückhaltung, die vor der jetzigen Wahl an den Tag gelegt wird, muss die neue VCS-Präsidentin aber dringend ablegen.