Hungerkrise: Sandkastenliberale üben Schadensbegrenzung

Nr. 16 –

Weltbank und IWF wollen ein Problem lösen, das sie mitverursacht haben. Und das sie nicht verstehen.

Weltweit gehen die Proteste gegen die hohen Lebensmittelpreise weiter. So lieferten sich letzten Samstag 20 000 TextilarbeiterInnen in der Nähe von Dhaka (Bangladesch) Strassenschlachten mit der Polizei. Sie protestierten gegen ihre tiefen Löhne, mit denen sie nicht mehr genügend Lebensmittel kaufen können. Tags darauf versammelten sich Tausende in der südafrikanischen Stadt Polokwane, um gegen die gestiegenen Preise für Nahrungsmittel und Energie zu demonstrieren. Der südafrikanische Gewerkschaftsbund Cosatu plant weitere solcher Aktionen und warnt schon jetzt, dass es zu Krawallen kommen könnte. Zu Hungerrevolten war es zuvor schon in verschiedenen afrikanischen und asiatischen Staaten gekommen. Im karibischen Haiti setzte eine wütende Menge gar zum Sturm auf den Präsidentenpalast an - inzwischen musste Ministerpräsident Jacques Edouard Alexis zurücktreten.

Wären all diese Proteste schön friedlich verlaufen, hätten sie es wohl kaum in die Schlagzeilen der internationalen Presseagenturen und auf die Titelseiten der hiesigen Zeitungen geschafft. Man hätte sie, wie die Demonstration in Südafrika, ignoriert oder allenfalls in einer Randspalte vermerkt. Und die stark ansteigenden Getreidepreise würden vorab die Berichterstattung auf den Börsenseiten dominieren.

Doch am Wochenende haben jetzt auch die Weltbank und der Internationale Währungsfonds (IWF) anlässlich ihrer Jahresversammlungen in Washington den Ernst der Lage betont. Weltbank-Präsident Robert Zoellick hob vor laufenden Fernsehkameras einen Zweikilosack Reis in die Luft, um darauf hinzuweisen, dass dafür eine arme Familie in Bangladesch die Hälfte ihres Tageseinkommens verwenden muss. Es brauche einen «New Deal», um der Nahrungsmittelkrise beizukommen. Zoellick spielt damit auf die staatsinterventionistischen Methoden an, mit denen US-Präsident Franklin Roosevelt gegen die grosse Wirtschaftsdepression in den dreissiger Jahren antrat.

Doch Zoellick ist kein neuer Roosevelt. Er appelliert bloss. Die «internationale Gemeinschaft» soll bis zum 1. Mai 500 Millionen Franken an Nahrungsmittelhilfe zur Verfügung stellen. Das ist zwar nötig, hilft langfristig aber nichts. Ausserdem sind solche Aufrufe nicht neu. Genau wie die Absichtserklärungen von Staatschefs, sie würden die Hilfe für die Dritte Welt erhöhen. Daran gehalten haben sie sich selten.

Im Denkschema von Robert Zoellick und seinem Amtskollegen Dominique Strauss-Kahn vom IWF ist die jetzige Krise nicht systembedingt. Sie tritt auf, weil noch nicht alles im «freien Weltmarkt» reibungslos funktioniert. Deshalb ruft man zu karitativen Aktionen auf, um gleichzeitig vor «falschen Anreizen» zu warnen - also etwa vor staatlichen Subventionen von Nahrungsmitteln. Verpönt ist es auch, Exportzölle zu erheben oder Preise staatlich festzulegen.

IWF und Weltbank reflektieren auch die eigene Politik nicht selbstkritisch. Dabei haben diese beiden Institutionen mit ihren Auflagen an die Entwicklungsländer die Wirtschaftsstrukturen mitgeprägt, die zum heutigen Desaster geführt haben. So musste Haiti 1995 auf Druck des IWF die Importzölle für Reis von 35 auf 3 Prozent senken. Als Ergebnis stieg der Reisimport in neun Jahren um 150 Prozent. Drei Viertel des in Haiti verkauften Reises kommen heute aus den USA und unterliegen damit den Preisschwankungen des Weltmarktes. Die lokalen ReisbäuerInnen sind dagegen verarmt oder haben aufgegeben.

Als Gegenleistung für Kredite hat das Land ein Stück Nahrungsmittelsouveränität aufgegeben, um sich dem Weltmarkt anzuschliessen. Zölle sind schlecht, «internationaler Wettbewerb» ist gut, so das Credo der liberalen IdeologInnen. Jedes Land soll das produzieren, was es am besten kann. So sei der freie Handel schliesslich zum Nutzen aller. Doch die Weltwirtschaft funktioniert nach den Regeln der Macht und der Profitlogik. Wenn die USA und Europa glauben, sie müssten ihre Abhängigkeit von den Ölstaaten verringern, so subventionieren sie die Produktion von Agrartreibstoff - ob das nun in die eigene, gebetsmühlenhaft propagierte Ideologie passt oder nicht. Die Behauptung, es handle sich um eine ökologische Tat, ist Augenwischerei. Was aber klar ist: Das Angebot von Grundnahrungsmitteln für Mensch und Tier wird dadurch verknappt. Diese Verknappung führt zu höheren Preisen, wobei die eigentliche Preistreiberei an den Rohwarenbörsen stattfindet, wo man auf Teufel komm raus auf noch höhere Preise setzt. Auch das ist «freier Handel» und systembedingt. Hohe Preise würden ja dann auch mehr BäuerInnen dazu animieren, die nachgefragten Güter zu produzieren, so das Wunschdenken der Sandkastenliberalen. Was bei Schuhen, Uhren oder Handys vielleicht noch funktioniert, beseitigt im Fall von Grundnahrungsmitteln weder Hunger noch Elend. Landwirtschaftliche Produktion lässt sich nicht von einem Tag auf den anderen umstellen.

Wer BäuerInnen durch «Strukturanpassungsprogramme» entwurzelt, dafür sorgt, dass sie ihr Land verlassen und in die Stadt ziehen, der soll nicht glauben, dass sie dann bei möglicherweise besseren Marktaussichten gleich wieder damit beginnen, Weizen oder Reis anzubauen.