Haiti: Revolte gegen den Hunger

Nr. 15 –

Die steigenden Lebensmittelpreise vergrössern die Armut weiter. Die Menschen versuchen inzwischen, sogar von Erde satt zu werden.

Die Proteste gegen steigende Lebensmittelpreise in Haiti gehen auch diese Woche weiter. Am Dienstag versuchte eine Menschenmenge in der Hauptstadt Port-au-Prince den Präsidentenpalast zu stürmen. Die im Land stationierten Truppen der Uno setzten Tränengas und Gummigeschosse gegen die Protestierenden ein, die den Rücktritt von Staatspräsident René Preval forderten. In der im Südwesten des Landes gelegenen Hafenstadt Les Cayes zogen tags zuvor Demonstrierende durch die Strassen. Mitglieder eines privaten Wachdienstes schossen dabei in die Menge, die das Haus eines Senators stürmte. Ein Mann wurde getötet.

Begonnen hatten die Proteste vergangenen Donnerstag, als über 2000 Menschen in Les Cayes auf die Strasse gingen. Sie riefen: «Wir haben Hunger» und «Runter mit den Preisen». Demonstrierende begannen Geschäfte zu plündern, es kam zu Strassenschlachten mit den Uno-Blauhelmtruppen in der Stadt. Am Freitag gingen die Proteste weiter. Dabei wurden Barrikaden errichtet und Uno-Fahrzeuge in Brand gesetzt. Die Blauhelme setzten Schusswaffen ein, angeblich als Reaktion auf Schüsse von Protestierenden, die einen Posten der Uno-Truppen angegriffen hatten. Vier Menschen kamen bei den Auseinandersetzungen ums Leben, drei Dutzend wurden verletzt.

Über die Stadt ist inzwischen eine nächtliche Ausgangssperre verhängt worden. Ausserdem wurden weitere Uno-Truppen in die Region verlegt. Seit dem Sturz von Staatspräsident Jean-Bertrand Aristide 2004 befinden sich rund 9000 Soldatinnen und Polizisten im Auftrag der Uno im Lande.

Auch in Gonaïves, der viertgrössten Stadt des Landes, und in Petit Goâve, knapp neunzig Kilometer südlich der Hauptstadt, ist es zu Demonstrationen gekommen. Allerdings seien die Proteste friedlich verlaufen, sagte eine Uno-Sprecherin.

Der haitianische Ministerpräsident Jacques-Edouard Alexis zeigte in einer Erklärung Verständnis für die Forderung der Protestierenden, die Preiserhöhungen der letzten Monate zurückzunehmen. Allerdings, so sagte er, erschwerten die Gewalttätigkeiten die Arbeit der Regierung im «Kampf gegen Korruption und Drogenhandel».

Von den 9,5 Millionen EinwohnerInnen Haitis muss rund die Hälfte mit umgerechnet einem Franken oder weniger pro Tag auskommen. Die Mehrheit der Bevölkerung lebt von Gelegenheitsarbeiten. Fast zwei Millionen HaitianerInnen leben inzwischen im Ausland. Vergangenes Jahr unterstützten die EmigrantInnen ihre Verwandten im Heimatland mit 1,8 Milliarden Franken.

Im Durchschnitt nimmt eine Person in Haiti täglich nur drei Viertel des Mindestbedarfs von 2100 Kilokalorien zu sich. Ein grosser Teil der Kinder, die in Armut leben, bekommen nur eine Mahlzeit pro Tag. Das typische Gericht in Haiti besteht aus Reis und Bohnen, das mit etwas Billigfett aufgewertet wird. Fleisch gibt es selten. Der Kilopreis für Reis hat sich innerhalb von einem Jahr um 24 Prozent verteuert und liegt nun bei rund Fr. 2.50. Im gleichen Zeitraum ist der Preis für Fleisch um gut 12 Prozent, für Mehl um 31 Prozent und für Brot um 27 Prozent gestiegen.

Manche HaitianerInnen versuchen inzwischen sogar von Erde satt zu werden. In den Armenvierteln machen Rezepte für «Sandguetzli» die Runde. Die gelbe Erde aus der Region von Hinche wird mit billigem Pflanzenfett und Salz vermischt und die Masse dann gebacken. Diese Erde wird eigentlich seit langem von Schwangeren und Kindern als Heilmittel gegen Sodbrennen und als Kalziumquelle geschätzt. Aber auch hier machen sich die Preissteigerungen des vergangenen Jahres bemerkbar. Der Sand für rund 100 «Guetzli» kostete vor einem Jahr noch Fr. 3.80. Heute müssen die Käufer dafür eineinhalb Franken mehr auf den Ladentisch legen.

Die Preise steigen weltweit, die Wut auch

Vor allem die städtische Bevölkerung Afrikas wehrt sich gegen die steigenden Lebensmittelpreise: In Burkina Faso hat am Montag und Dienstag ein 48-stündiger Generalstreik stattgefunden. Die Gewerkschaften werfen der Regierung Tatenlosigkeit vor.

In der Elfenbeinküste hat Staatspräsident Laurent Gbagbo vergangenen Donnerstag die Importzölle auf Grundnahrungsmittel aufgehoben und die Steuern darauf reduziert - als Reaktion auf Protestaktionen in den Tagen zuvor. Mit grossem Polizeiaufgebot hat in Ägypten die Regierung am Sonntag versucht, einen nationalen Aktionstag gegen steigende Preise und tiefe Löhne abzuwenden. Sicherheitskräfte besetzten etwa ein staatliches Textilwerk in Mahalla al-Kubra und versuchten zu verhindern, dass sich die ArbeiterInnen nach ihrer Schicht versammelten. Dennoch kamen 2000 DemonstrantInnen zusammen und wurden von Polizeieinheiten angegriffen.

Demonstrationen gegen die steigenden Preise sind in den letzten Monaten auch aus Mosambik, Mauretanien, Guinea, Marokko, Niger und Senegal gemeldet worden. Ende Februar starben bei Hungerrevolten in Kamerun vierzig Menschen. Protestaktionen sind ab nächster Woche in Südafrika zu erwarten: Der Gewerkschaftsdachverband Cosatu plant, mit Demonstrationen und Streiks gegen die steigenden Lebensmittelpreise anzugehen.

Auch in Asien nimmt die Unzufriedenheit der Bevölkerung zu. Die Regierungen reagieren mit Preisbindungen und Einschränkungen beim Export von Grundnahrungsmitteln. Auf den Philippinen - dem weltweit grössten Reisimporteur - ist die Polizeipräsenz in den Armenvierteln verstärkt worden.

Weltweit sind die Preise für Grundnahrungsmittel seit letztem Sommer um durchschnittlich vierzig Prozent angestiegen. Einer der Hauptgründe dafür ist die zunehmende Produktion von Agrobenzin. Allein in den USA sind innert zweier Jahre sechzig Millionen Tonnen Getreide in Treibstoff umgewandelt worden. Gemäss Weltbankpräsident Robert Zoellick wird sich dieser Trend in den nächsten Jahren fortsetzten. Für SpekulantInnen bedeutet das hohe Profite. Robert Zeigler, Direktor des Internationalen Reis-Instituts, sagt: «Der ganze Mark ist gelähmt. Wer will schon jetzt Reis für 750 Dollar die Tonne verkaufen, wenn er denkt, der Preis steige bald auf 1000 Dollar?»