Fussball und Gewalt: Die Pyro-Gleichung

Nr. 19 –

Anhänger des FC Zürich warfen Fackeln auf Basler Fans. Der FCZ steht vor einem Scherbenhaufen. Ähnlich ging es Bernhard Heusler im Mai 2006. Der Vizepräsident des FC Basel erklärt, wie der Klub und die Fans gemeinsam aus der Krise fanden.

WOZ: Sie müssen sich am Freitag vorgekommen sein wie in der Zeitmaschine. Das Verhältnis zwischen Fans und dem FC Zürich scheint jetzt zum Zerreissen gespannt. Was nun?

Bernhard Heusler: Sehr schlecht fände ich, wenn die ganze Zürcher Südkurve verteufelt würde. Man muss aufpassen, dass man nicht eine ganze Bewegung, die dem Klubfussball guttut, kriminalisiert. Ich habe zudem mit Erleichterung zur Kenntnis genommen, wie der grosse Teil der Muttenzerkurve auf die Fackelwürfe reagiert hat.

Die Basler Ultras hielten kurz nach den Fackelwürfen ein Transparent hoch. Man lasse sich den Kampf für Pyro-Toleranz nicht von den Zürchern zerstören. Was heisst das?

Diese Kurve kämpft seit Jahren dafür, dass ihrer Kultur, in der Pyro ein wichtiger Bestandteil ist, eine gewisse Toleranz entgegengebracht wird. Die aktuellen Gesetze und Reglemente geben aber keinen Raum dafür. Was nicht heisst, dass man als Klub die Gleichungen «Pyro gleich gewalttätige Fankultur» und »Fan gleich Gewalttäter oder Hooligan» übernehmen muss. Mit dem Transparent kam richtig zum Ausdruck, dass die gewalttätige Aktion denjenigen Fans, die Pyro zu ihrer Kultur zählen, einen schweren Schlag versetzt hat.

Feuerwerk als Teil der viel gepriesenen kreativen Fankultur?

Zur Kultur der Muttenzerkurve, auch zu jener der Zürcher Südkurve und anderer Fanbewegungen, gehört neben Kreativität und Emotionalität auch Pyro. Diese Fankultur will von uns gar nicht gepriesen werden. Sie soll aber auch nicht verteufelt werden. Um auf ein Mindestmass an Akzeptanz zu stossen, muss sie sich klar von Gewalt abgrenzen. Am Freitag wurden Pyros als Waffen missbraucht, und damit wurde die Fankultur verraten. Denn dazu gehört sicher nicht, Pyros auf andere Menschen zu werfen. Richtigerweise wäre jetzt höchste Zeit zur Führung einer Gewaltdiskussion, die nicht immer bei der Debatte über Pyros stecken bleibt. Das Erschreckende am Freitag war das gezeigte Gewaltpotenzial.

Die Kurven berufen sich im Rahmen der geforderten Pyro-Toleranz auf Selbstregulierung. Kann das überhaupt funktionieren?

Oberflächlich betrachtet liegt es bei derartigen Ereignissen nahe zu sagen, die Fans hätten in Sachen Selbstregulierung versagt. Doch diese Regulierung funktioniert so oder so nur bis zu einem gewissen Punkt. Was, wenn einer von zwanzig austickt? Sind dann alle anderen auch schuldig? An einem Fussballspiel haben wir es mit Tausenden von Menschen in einem hochemotionalen Umfeld zu tun, oftmals noch verstärkt durch Alkohol und Drogen. Wer hier behauptet, Garantien für das Verhalten aller geben zu können, bewegt sich auf dünnem Eis.

Nach den Krawallen vom 13. Mai 2006 forderten Politik und Medien die sofortige Umsetzung des Hooligangesetzes, das seit über einem Jahr in Kraft ist. Offenbar hatten die Kritiker recht: Es trifft nicht die Richtigen. Jetzt fordern damalige Befürworter Schnellgerichte.

Die geplante Durchsetzung des Hoogansystems stösst wohl immer wieder an Grenzen des Rechtsstaats. So werden wir von Betroffenen und Szenenkennern mit diversen Fragen konfrontiert, etwa ob eine Datenbank, in der Leute als Gewalttäter landen, weil sie im Rahmen einer Choreografie eine Bengale zündeten, wirklich aussagekräftig ist und uns hilft, die «Gewalttäter Sport» von den Stadien fernzuhalten. Sind das wirklich Gewalttäter? Und schlüpfen Gewalttäter vielleicht dank der Fokussierung auf Pyro durchs Netz? Die jetzige Forderung nach Schnellrichtern wie in Deutschland habe ich zur Kenntnis genommen. Solche Schnellverfahren sind mit grösster Vorsicht zu beurteilen: Ein Fussballstadion ist kein rechtsfreier Raum. Aber es ist auch kein rechtsstaatsfreier Raum.

Der FC Basel hatte nach dem 13. Mai 2006 ein Problem. Inzwischen scheint das Verhältnis zwischen Klub und Kurve so gut wie noch nie. Wie gingen Sie vor?

Typisch ist, dass nach solchen Vorfällen - auch jetzt - schnell ganz viele Experten auftauchen, die über angebliche Patentrezepte verfügen. Eine in solchen Fällen nötige Analyse setzt aber voraus, dass man selbst in den Spiegel schaut. Es ist leicht, dem Gegenüber den schwarzen Peter zuzuschieben. Nur bringt das niemanden weiter. Die Fronten verhärten sich. Nach den Krawallen vom 13. Mai 2006 spürten wir, dass wir im gegenseitigen Umgang festgefahren waren. Wir suchten deshalb nach einem direkteren, informelleren Kontakt mit den Fans. Die Arbeit des Fanprojekts, das zu Beginn vermittelte und von beiden Seiten Offenheit verlangte, war dabei extrem wichtig. Es fand eine Annäherung statt. Wer sind wir? Was wollen wir? Wir mussten uns als Klub hinterfragen. Und die Fans mussten das auch tun. Wir wollen den Fans im Stadion einen Raum bieten. Und dabei muss es für beide Seiten stimmen. Aber kann ein Verein seinen Fans, oder etwa ein Staat seinen Bürgern, eine Garantie abgeben, dass nie und niemals etwas passiert? Nein. Das ist inner- und ausserhalb der Stadien nicht möglich.

Die Polizei, die Sicherheitskräfte und Klubs müssen zusammenarbeiten, um Vorfälle wie am Freitag zu verhindern und mit aller Härte zu bestrafen. Die Rolle des Klubs kann dabei nicht darin bestehen, selbst Gewalt auszuüben, dieses Monopol gehört dem Staat. Der Klub muss vielmehr präventiv tätig sein und damit seine Ressourcen primär der Integration seiner Fans widmen, nicht der pauschalen Vorverurteilung seiner eigenen Fanbewegung. Ansonsten verliert er seine Basis und arbeitet jenen entgegen, die dem Klub und dem Fussball schaden wollen.