Krieg und Beschiss: Wie korrupt sind die USA?

Nr. 23 –

Im Zusammenhang mit der Präsidentschaft von George Bush und dem Krieg im Irak ist Korruption zu einer Krebskrankheit der US-amerikanischen Gesellschaft geworden. Die WOZ veröffentlicht einen Vorabdruck aus Lotta Suters neuem Buch «Kein Frieden mehr. Die USA im Kriegszustand».

Als die beiden Enron-Chefs Kenneth Lay und Jeffrey Skilling im Mai 2006, fünf Jahre nach dem Zusammenbruch ihrer korrupten Firma, zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt wurden, feierten etliche Mainstream-Journalisten in den USA das Ende der unrühmlichen Enron/Tyco/WorldCom-Ära. Sie hofften, mit der Inhaftierung von gleich einem halben Dutzend prominenter Firmenleiter seien die betrügerischen Exzesse der deregulierungsfreudigen 1990er-Jahre überwunden.

Die Medienleute aus dem politischen Ressort verwiesen bei dieser Gelegenheit auf den abrupten Abgang des Lobbyisten Jack Abramoff, der im März 2006 wegen Bestechung von Politikern vor Gericht kam. Ungefähr ein Dutzend seiner Gehilfen und Nutzniesser im Weissen Haus und im Parlament waren im gleichen Aufwasch wegen unrechtmässiger Bereicherung verurteilt worden. Die Korruption, hiess es, sei in Amerika wieder unter Kontrolle, eine neue gesellschaftliche Ethik warte vor der Tür.

Noch ist ein Ende oder auch nur eine Abschwächung von Lug und Trug jedoch nicht abzusehen. Korruption beherrscht bis heute die Rettungsaktionen und den Wiederaufbau nach dem Hurrikan Katrina. Jahrelang liess die US-Katastrophenschutzbehörde Fema Hunderte von Menschen, die im Sturm von 2005 obdachlos geworden waren, wissentlich in ihren mit Formaldehyd verseuchten staatlichen Notwohnwagen sitzen. Korruption grassiert auf dem Immobilienmarkt und in der Konsumkreditindustrie der USA. Korruption prägt zum Beispiel das Verhältnis vieler US-Universitäten zu den Finanzinstituten, welche den Studierenden Darlehen anbieten; denn für die Bildungskreditindustrie sind die hohen Studienkosten (rund 40 000 Dollar im Jahr) ein gutes Geschäft, das sie sich mit grosszügigen «Geschenken» an die entsprechenden Hochschulen sichern will. Korruptionsskandale belasten den US-Baseball und die US-Belletristik.

360 Tonnen Dollars nach Bagdad

Und in der Politik der Nation haben die Korruptionsskandale längst das Zentrum der Macht erreicht, wie die übereilten Rücktritte von wichtigen Regierungsmitgliedern in George Bushs zweiter Amtsperiode signalisieren. Im September 2007 geht der Justizminister selbst, Alberto Gonzales. Er verlässt sein Amt unter dem Vorwurf des wiederholten Amtsmissbrauchs: Absetzung politisch unliebsamer Bundesanwälte; Meineid vor einem Parlamentsausschuss; Mitwirkung am berüchtigten «Foltermemo», das die Genfer Konvention ausser Kraft zu setzen versucht; Absegnung von Lauschangriffen auf die eigene Bevölkerung.

Dazu kommt die Korruption im Irak, die zahlenmässig kaum zu fassen ist. Rund 500 Milliarden Dollar sind in den ersten viereinhalb Jahren für die Besetzung und 44 Milliarden für den Wiederaufbau in den Irak geflossen. Mehr als die Hälfte des Geldes ging an private Auftragnehmer. Mindestens einer von sechs «Wiederaufbau»-Dollars wurde von der Korruption verschluckt. Das ist alles, was man mit einiger Bestimmtheit sagen kann.

Hie und da tauchen ein paar Einzelinformationen auf: Wer erinnert sich nicht an die 360 Tonnen Bargeld, die der US-Statthalter im Irak, Paul Bremer, gleich nach dem Einmarsch in Bagdad einfliegen liess? Von den 12 Milliarden Dollar, mit denen Dienstleistungen aller Art entschädigt werden sollten, verschwanden 8,8 Milliarden in den Taschen von Unbekannten. Oder: Im Juli 2007 stellt sich heraus, dass niemand weiss, was mit rund 190 000 Waffen geschehen ist, die für die irakischen Sicherheitskräfte bestimmt waren; das heisst, jedes dritte der von den USA in den Irak gelieferten Gewehre ging im Kampfgebiet «verloren». Oder: Im November 2007 muss das US-Aussenministerium zugeben, dass es nicht nachweisen kann, was mit den 1,2 Milliarden Dollar geschehen ist, die zwecks Ausbildung der irakischen Polizei an die private Sicherheitsfirma DynCorp International bezahlt worden sind. «Rechnungen wurden gestellt, Rechnungen wurden bezahlt. Aber niemand wusste, wofür sie bezahlten und was die Gegenleistung war», sagte Glenn Furbish, Angestellter der vom US-Kongress im Oktober 2004 temporär eingesetzten Aufsichtsbehörde für den Wiederaufbau im Irak SIGIR (Special Inspector General for Iraq Reconstruction).

Wütende Augenzeugen – frustrierte Armeeangehörige und Privatsöldner sowie eine Handvoll mutiger Journalistinnen und Journalisten – belegen die Korruption der Besatzungsmacht im Irak mit weiteren Beispielen. Oft sind es simple Abrechnungstricks: Einmal verrechnet KBR – ehemalige Tochtergesellschaft von Halliburton und Meisterin unter vielen meisterhaften Abzockern – ihren Mineralwasserausschank an Armeeangehörige doppelt (Zusatzgewinn: 617 000 Dollar); ein andermal erhöht sie die Rechnung für eine Treibstofflieferung um 600 Prozent; oder sie verrechnet 110 Millionen für Dienstleistungen in Militärbasen, die längst geschlossen worden waren. Vielfach tut das KBR-Team einfach nichts: Die Leerzeiten der Contractors kosten die Armee oft mehr als die Dienstleistung selbst. In einem Fall verrechnete die KBR 52,7 Millionen «indirekte» Kosten und 13,4 Millionen für den tatsächlichen Job.

«Die Bedingungen im Irak begünstigen Betrug, Verschwendung und Missbrauch», stellt die ständige unabhängige Aufsichtsbehörde GAO (U.S. Government Accountability Office) im April 2007 zuhanden des Kongresses lakonisch fest. Über hundert Berichte zum Thema Krieg und Wiederaufbau hat diese Expertengruppe dem US-Parlament seit dem Januar 2002 bereits geliefert. Es sind alles Dokumente, die das Chaos in buchhalterisch trockener Sprache wiedergeben. In Bezug auf die privaten Söldnertruppen etwa hält das GAO zusammenfassend fest: Das Verteidigungsministerium weiss nicht, wie viele Contractors im Irak für die USA arbeiten. Niemand weiss, wofür diese Männer angestellt sind und in welchem Verhältnis sie zu den regulären Streitkräften stehen. Es gibt keine verbindlichen Verhaltensrichtlinien für diese privaten Angestellten, keine Leistungsprüfung und kein Personal, das solche Aufsichtsfunktionen erfüllen könnte. Mit andern Worten: Begünstigt werden Betrug, Verschwendung und Missbrauch durch die totale Deregulierung, durch die Gelegenheit, die Diebe macht.

An dieser Situation soll offenbar nichts grundsätzlich geändert werden. Ende Juni 2007 veröffentlichte die Aufsichtsbehörde SIGIR einen vernichtenden Bericht über die erwähnte Firma KBR, die mit ihrem 22,5-Milliarden-Dollar-Vertrag eine gewichtige Partnerin der US-Armee ist: KBR hatte ihren staatlichen Auftraggeber bei der Versorgung der US-Botschaft in der Grünen Zone von Bagdad mit Benzin, Essen, Unterkunft und Freizeiteinrichtungen offenbar belogen und betrogen, was das Zeug hält. Nur fünf Tage nach Bekanntwerden dieses Korruptionsfalls belohnte das Pentagon seinen wichtigen Zulieferer mit einem weiteren lukrativen Geschäftsabschluss.

Nur das Problem der andern?

Jeder Krieg begünstigt Korruption, kann man argumentieren. Und der von der US-Regierung herbeigelogene Krieg mit dem Irak ist nie etwas anderes gewesen als Betrug, Verschwendung und Missbrauch von Menschenleben und Material. Was kommt es da noch darauf an, ob jeder Kriegsgewinnler eine korrekte Buchhaltung führt? Was kümmert es die aus ihren Häusern und Quartieren vertriebene Zivilbevölkerung, ob die Besetzungsarmee von ihren eigenen Leuten übers Ohr gehauen wird? Wenn im Irak innert weniger Jahre eine Million Zivilpersonen gewaltsam umkommen, wenn im Land die Cholera ausbricht, dann haben die Menschen andere Probleme als die saubere Führung des schmutzigen Kriegsgeschäfts.

In den Krieg führenden USA selbst gehört das Thema Korruption im Irak jedoch unbedingt ins Zentrum der politischen Diskussion. Das Thema ist für Amerika wichtig, weil die massive Korruption im Irak keine bedauerliche Ausnahmeerscheinung ist. Es ist auch nicht einfach, wie das die US-Medien zunehmend suggerieren, das Problem der andern, das Resultat der unstabilen, unzuverlässigen Marionettenregierung in Bagdad. Diese Regierung residiert immerhin in derselben eingezäunten Sicherheitszone wie die US-Botschaft. Die US-Diplomaten müssen wissen, dass die Korruption ihrer Green-Zone-Nachbarn so massiv ist, dass sie das Land funktionsunfähig macht.

Systematische Demontage

Der oberste irakische Korruptionsbekämpfer Richter Radhi al-Radhi sagte im Oktober 2007 vor einem Aufsichtskomitee des US-Parlaments, die Regierung al-Maliki erfülle gerade zwei bis fünf Prozent ihrer Wiederaufbauverpflichtungen, der Rest sei Verschwendung und Betrug. Sein US-Kollege, der Chef der Anti-Korruptions-Agentur Stuart Bowen, doppelte nach: Die Korruption der irakischen Regierung sei «ein zweiter Aufstand». Wie als Bestätigung seiner Aussage in den USA wird al-Rhadi zwei Tage später vom irakischen Premierminister selbst unter Korruptionsverdacht gestellt. Doch die Regierung Bush winkt ab, Korruption gebe es überall. Entsprechend unkoordiniert und vage ist denn auch die Korruptionskontrolle der USA im Irak. Und in den USA selber bremst das Aussenministerium das parlamentarische Aufsichtskomitee, wo es nur kann. Condoleezza Rice erklärte schliesslich, alle Informationen zur Korruption im Irak unterstünden der Geheimhaltungspflicht, da sie die amerikanisch-irakischen Beziehungen gefährdeten.

Diese lasche Haltung der USA gegenüber Korruption hat aber nicht als politisch opportunistische Geste gegenüber einem unter Korruptionsverdacht stehenden Vasallen begonnen. Vorausgegangen ist die systematische Demontage der irakischen Institutionen und Gesetze durch die USA. Mittels Privatisierung staatlicher Vermögenswerte und abrupter Liberalisierung von Handel, Kapitalfluss und Preisgestaltung versuchte die Besatzungsmacht die irakische Wirtschaft zu restrukturieren und sich gleichzeitig einen gewinnbringenden Vorsprung in den wichtigsten Industrien (vorab Öl) zu sichern.

«Die Chancen für den Aufbau einer stabilen Demokratie und eines Rechtsstaates stehen in den meisten Schocktherapieländern äusserst schlecht», schrieb dazu der Ökonom Joseph Stiglitz bereits im Frühjahr 2004. «Die Bilanz in der ehemaligen Sowjetunion zeigt, dass man es sich zweimal überlegen sollte, bevor man erneut zum Mittel der Schocktherapie greift. Aber die Bush-Regierung drängt den Irak in Richtung einer noch radikaleren Reformvariante. Denn die Schocktherapiebefürworter behaupten, das bisherige Scheitern der Schocktherapie liege nicht am exzessiven Tempo – zu viel Schock, zu wenig Therapie –, sondern an einem Mangel an Schock. Die Irakis sollten sich also auf eine noch brutalere Dosis der gleichen 'Medizin' gefasst machen.»

Die Korruption im Irak ist also eine Fortsetzung der neoliberalen Wirtschaftspolitik. Sie bedient sich der gleichen radikalen Mittel, die schon von Enron und ähnlich aggressiv operierenden Firmen im Namen der New Economy angewendet worden sind.

Lotta Suter: Kein Frieden mehr. Die USA im Kriegszustand. Rotpunktverlag. Zürich 2008. 284 Seiten. 34 Franken