Musik von Schweizer Frauen: Gegen die Verstärkertürme

Nr. 23 –

Sophie Hunger, Heidi Happy, Evelinn Trouble, Lole, die Delilahs: Unter den guten Schweizer Alben der letzten Zeit finden sich auffallend viele Scheiben von jungen Frauen.

Das englische Musik-Magazin «Q» widmete in seiner Aprilausgabe nicht weniger als siebzig Seiten den «women in music». Einleitend verkündet die Redaktion euphorisch: «Künstlerinnen machen heute die stärksten Sounds». Schweizer Künstlerinnen tauchten darin natürlich nicht auf - obwohl einige der hiesigen Neuerscheinungen von Frauen mit Gitarren aufhorchen lassen.

Heidi Happy, Sophie Hunger, Evelinn Trouble, Lole oder die Delilahs: Sie alle setzen sich auf ihre eigenständige Art vom langweiligen Schweizer Gitarren-Mainstream ab. Verstärkertürme, die gerne als Schutzwall gegen Innenansichten losdröhnen, werden erst gar nicht aufgebaut - radikale Subjektivität ist das Gegenkonzept. Eine junge Generation von Frauen hat gemerkt, dass gescheite Populärmusik sehr viel mehr mit Emotion und Gefühl zu tun hat als mit elaborierten Effekten und eindrücklichen Rockerposen.

Viele dieser Veröffentlichungen, die vermehrt auch im Ausland für Furore sorgen, sind klassische Singer-Songwriter-Scheiben. Im Zentrum stehen eine Stimme und eine Gitarre. Komponiert wird im Schlaf- oder Wohnzimmer, manchmal auch im Bandraum, doch eben meistens: alleine.

Raus aus dem Kämmerlein

wIst es tatsächlich «Die Angst vor dem Misston» (siehe WOZ Nr. 10/08), die Frauen dazu verleitet, lieber zuerst im stillen Kämmerlein Musik zu komponieren als mit einer Band die Musik zu erproben? Franziska Staubli, die ab diesem Sommer an der Jazzschule in Lausanne Gitarre studieren wird, kennt dieses Phänomen aus dem eigenen Umfeld: «Frauen trauen sich mit ihrer Musik erst nach draussen, wenn sie sich damit genügend sicher fühlen.»

Wer die Zürcherin Evelinn Trouble anlässlich der Konzertreihe im El Lokal gesehen hat, merkt sofort, dass hier die Sängerin im Zentrum steht und die Fäden in der Hand hat. «Ich bin schon die Bandleaderin», erklärt sie. Dass in ihrer Band nur Männer spielten, ist für sie nichts Besonderes, «das hat sich so ergeben und erzeugt eine gute Symmetrie».

Priska Zemp, die als Heidi Happy das Publikum in ganz Europa begeistert, ist zwar meistens solo mit Gitarre und Loopgerät unterwegs, spielt aber ab und an auch mit ihrer bis zu zehnköpfigen Band, die nur aus männlichen Instrumentalisten besteht. Eine Frauenquote in ihrer Formation lehnt sie ab: «Die Musiker, die mit mir spielen, sind einerseits grossartige Instrumentalisten und andererseits Freunde geworden. Ich möchte keinen von ihnen ersetzen müssen, und schon gar nicht, um sagen zu können, dass bei mir auch Frauen mitspielen.»

Fakt ist aber, dass sich die Künstlerinnen fast ausschliesslich mit Männern an den Instrumenten umgeben. Franziska Staubli weiss, wo die Gründe liegen: «Ich werde, soweit mir bekannt ist, die einzige Frau in der Schweiz sein, die Gitarre studiert. Bei anderen Instrumenten im Jazzbereich sieht das auch nicht besser aus.»

Sexismus im Gästebuch

Einen anderen Weg haben die Delilahs eingeschlagen: Die drei Zugerinnen hatten bereits auf dem Gymnasium angefangen, miteinander Musik zu machen. «Ich hatte immer schon Lust, mit Frauen in einer Band zu spielen. Nun ja, in Zug ist die Auswahl an Musikerinnen nicht besonders gross - wir waren eigentlich die einzigen», erzählt Muriel Rhyner, Sängerin und Songschreiberin der Band. Ihr Bandalltag würde sich auch nicht gross von demjenigen der üblichen Männerbands unterscheiden. Man spiele Musik zusammen, treffe sich auch sonst, hänge im Sofa ab und trinke ein paar Biere - ausser natürlich an den Konzerten, denn jemand müsse ja immer noch heimfahren.

Gerade die Delilahs mussten sich im Lauf ihrer Karriere viel über ihren Status als Frauenband anhören. «Was wir in unserem Gästebuch zu lesen bekamen, war teilweise echt sexistisch. Warum Leute so etwas schreiben, wissen wir auch nicht, vielleicht ist es eine Art Neid.» Auf die Frage, ob ihnen ein Frauenbonus genützt habe, meint Gitarristin Isabella Eder: «Die Leute interessieren sich halt für drei Frauen, die auf der Bühne stehen. Ich meine, warum führst du gerade ein Interview mit uns?»

Stimmt. In den Berichten und Rezensionen über die Delilahs kommt das Phänomen «drei Frauen, die Rock machen» immer und immer wieder vor. Wen würde interessieren, wenn der Aufhänger einer Männerband wäre, dass sich drei Männer regelmässig im Bandraum treffen, proben, Bier trinken und Konzerte geben? Eine gute Geschichte für die JournalistInnen ist schon das halbe Medieninteresse.

Ob die Reduktion auf das Thema «Frau» langfristig funktioniere, wagt Evelinn Trouble zu bezweifeln. Natürlich könne man sich in erster Linie nur über sein Geschlecht definieren, doch als ernsthafte Künstlerin käme man so nicht weit. Am Ende überlebe nur die Qualität. Auch Priska Zemp zeigt sich fast schon allergisch auf das Wort «Frauenbonus». Schliesslich gäbe es nicht mehr Frauen als Männer, die erfolgreich Musik machen - auch nicht als SolokünstlerInnen.

Keine Genderpolitik

Wer auf der Bühne steht, exponiert sich - gerade auch in der männlich geprägten Atmosphäre des Musikgeschäfts. Verstehen die Musikerinnen ihr Sichexponieren auf der Bühne als einen Akt der Emanzipation? Dazu Muriel Rhyner von den Delilahs: «Natürlich stehe ich gerne auf der Bühne und ziehe mich so an, dass ich mir selbst gefalle. Warum sollte ich meine Weiblichkeit verstecken?» Evelinn Trouble: «Mich stört es nicht, dass mein Auftreten als Emanzipation interpretiert wird. Für mich hat das auf der Bühne Stehen aber keine genderpolitische Dimension, ich trete aus weit banaleren Gründen auf.» Priska Zemp: «Dass ich mit einer Mutter aufgewachsen bin, die sich - mit der Unterstützung meines Vaters - immer gegen die Rolle der Nurhausfrau gesträubt hat, ist nicht zu unterschätzen. Ich hatte immer das Gefühl, dass mir die Welt offensteht - ganz unabhängig von meinem Geschlecht.»