AKW Niederamt: Vielen Dank, Atel!
Die Anti-AKW-Bewegung begann in Gösgen - und genau dort will nun die Atel den ersten neuen Meiler bauen. Das Rahmenbewilligungsgesuch ist eingereicht. Aber was für ein AKW wollen sie eigentlich?
Endlich! Die lähmende Zeit des Wartens ist vorbei. Seit geraumer Zeit läuft die PR-Maschine der Atomlobby. Von ein, zwei, drei neuen Atommeilern war die Rede. Endlich wird es konkret: Der Energiekonzern Aare-Tessin AG für Elektrizität (Atel) hat der Axpo-Gruppe mitten in der Fussball-Europameisterschaft die Schau gestohlen und ein Rahmenbewilligungsgesuch für ein neues Atomkraftwerk eingereicht.
Die Axpo hatte als Erste angefangen, von einem neuen Atomkraftwerk zu träumen, und versucht, sich in die Köpfe der Fussballfans zu schleichen: Die Nationalliga A heisst längst Axpo-Super-League, und Nati-Trainer Köbi Kuhn avancierte zum Axpo-Atomstromapostel. Jetzt steht sie abseits. Ja, sagte der Axpo-Pressesprecher kleinlaut, sie würden auch noch in diesem Jahr ein Rahmenbewilligungsgesuch einreichen. Zusammen mit der bernischen BKW will sie sogar gleich zwei Atomkraftwerke bauen, aber darüber wird man im Herbst berichten.
Jetzt gehört der Auftritt der Atel. Ihr geplanter Meiler heisst Kernkraftwerk Niederamt (KKN). Das sollte man sich merken, Niederamt dürfte wie Kaiseraugst ein historischer Begriff werden. Die Atel möchte das KKN direkt neben das AKW Gösgen stellen, das gar nicht auf Gösgener, sondern auf Däniker Boden steht.
Die Anlage soll eine Leistung von 1100 bis 1600 Megawatt haben, rund sechs bis sieben Milliarden Franken kosten und bis 2025 am Netz sein. Während der Bauphase würden dort 2500 bis 3000 Personen arbeiten, danach noch etwa deren 400 bis 500, sagte Herbert Niklaus, Leiter Energie Schweiz der Atel, am Dienstag an der Pressekonferenz.
Sein Chef, Giovanni Leonardi, kündigte an, sie beabsichtigten, einen «Leichtwasserreaktor der dritten Generation» zu bauen. Gefragt seien Reaktoren, die sich in der Praxis bereits bewährt hätten. Wovon Leonardi genau sprach, ist unklar. Noch zu verstehen ist das «leichte Wasser», das im normalen Sprachgebrauch einfach Wasser heisst - im Gegensatz zum «schweren Wasser», das als Deuterium bekannt ist. Wenige Reaktortypen laufen mit schwerem Wasser, die meisten aber - wie auch alle in der Schweiz - mit gewöhnlichem und heissen deswegen Leichtwasserreaktoren.
Geharnischte Berichte
Hierzulande sind Reaktoren der zweiten Generation in Betrieb. Von der verbesserten dritten Generation gibt es drei Modelle, wobei nur eines davon überhaupt realisiert wurde, und zwar in Japan.
Zur Debatte steht vermutlich die sogenannte «Generation III+», sechs verschiedene Modelle stehen hier zur Auswahl, leicht verbesserte Modelle der nicht gebauten, dritten Generation. Auch sie existieren vor allem auf dem Papier. Das erste, das wirklich gebaut wird, ist der neue «Europäische Druckwasserreaktor» (EPR). Die französische Areva zieht ihn zusammen mit der deutschen Siemens im finnischen Olkiluoto hoch. Die finnischen Atom-Sicherheitsbehörden sahen sich schon genötigt, dicke, geharnischte Berichte zu schreiben, weil beim Bau geschlampt wird. Die Kosten werden überschritten und Termine nicht eingehalten. Noch ist ungewiss, wann der Reaktor ans Netz geht - bewährt hat er sich auf jeden Fall noch nicht. Wo also will die Atel den Reaktor herbekommen, «der sich in der Praxis bereits bewährt hat»?
Ein klitzekleiner Kühlturm
Und dann wäre da noch der Kühlturm. Er soll niedriger werden, nur ein Drittel so hoch wie derjenige von Gösgen. Der Däniker Gemeinderat liess gegenüber den Medien verlauten: Falls ein neues AKW gebaut werde, wolle der Gemeinderat erreichen, dass kein zweiter Kühlturm errichtet wird.
Da regt sich also bereits etwas - wie vor gut dreissig Jahren. Die Atel kann sich vermutlich nicht mehr erinnern, aber die Anti-AKW-Bewegung entstand nicht in Kaiseraugst: Sie wurde in Gösgen geboren. Schon damals ging es unter anderem um den Kühlturm. Kritische Gemeinden mischten sich ein, wurden mit lapidaren Statements abgespeist oder gekauft. Doch der Widerstand wuchs, es entstanden atomkritische Organisationen wie «Pro Niederamt» oder die «Überparteiliche Bewegung gegen Atomkraftwerke Solothurn», die die erste Anti-Atom-Initiative lancierte.
1977 fand der legendäre Pfingstmarsch nach Gösgen statt, rund 10 000 wanderten mit. Im Juni desselben Jahres versuchten fast 3000 AKW-GegnerInnen die Zufahrt zum Baugelände zu besetzen - sie sahen sich 1000 Polizisten gegenüber.
Damals hatte die Bevölkerung überhaupt kein Mitspracherecht. Der Bund verschanzte sich hinter der Argumentation: Wenn aus Sicherheitsgründen nichts gegen einen AKW-Neubau spreche, müsse er zustimmen.
Heute ist das ein bisschen anders: Das Rahmenbewilligungsgesuch liegt jetzt beim Bund, der Bundesrat wird darüber befinden und es den Räten vorlegen. Danach - vermutlich in vier Jahren - wird darüber abgestimmt, denn die Allianz Stopp Atom, in der sich 28 atomkritische Organisationen und Parteien zusammengeschlossen haben, hat bereits das Referendum angekündigt.