Die Türkei, die Folter, die Garantien an die Schweiz: «Von Terroristen ist nichts anderes zu erwarten»
Wegen der «systematischen Folterungen» in der Türkei im Zusammenhang mit Strafverfahren gegen die PKK knüpfte das Bundesgericht eine Auslieferung Mehmet Esiyoks an die Abgabe von Garantien seitens der Türkei - Garantien, dass er nicht gefoltert wird und ein faires Verfahren bekommt. Erstmals überhaupt, offenbar zur Überraschung der Schweizer Behörden, stimmte die Türkei solchen Garantien zu. Weil das Land in die EU drängt und deshalb neuerdings bereit ist, in der Folterfrage Konzessionen zu machen?
Das schwedische Debakel
Garantien gegen Folter kamen in den neunziger Jahren auf. Schon früher gab es ähnliche Garantien bei der Auslieferung von Angeklagten, denen in der Heimat die Todesstrafe drohte. Portugal hatte 1867 als erstes Land von den USA bei Auslieferungen Garantien gegen die Todesstrafe verlangt. Die USA hielten sich immer daran, bis heute. Im Gegensatz zur Folter ist die Todesstrafe in einigen Ländern, so auch in den USA, das Urteil am Ende eines nach allen rechtsstaatlichen Prinzipien geführten Prozesses. Folter hingegen ist immer ein Verbrechen. Folter geschieht heimlich und will nicht entdeckt werden. Deshalb, schreibt die Menschenrechtsgruppe Human Rights Watch, sei es verwerflich, mittels solcher eigentlichen Antitodesstrafengarantien Menschen an Länder auszuliefern, in denen nach wie vor gefoltert werde. Solche Garantien seien ein Feigenblatt für Folter.
Schweden kann davon ein Lied singen. Im Dezember 2001 lieferte Schweden die beiden des Terrors verdächtigten ägyptischen Staatsbürger Ahmed Agiza und Mohammed al-Zari an Ägypten aus. Schweden hatte sich mit ebensolchen diplomatischen Zusicherungen gegen Folter abgesichert. Noch am Flughafen wurden die beiden Männer von ägyptischen Sicherheitsbeamten nackt ausgezogen und mit Drogen betäubt. Danach verschwanden sie für fünf Wochen in Isolationshaft. Beim ersten Kontakt mit dem schwedischen Botschafter sagten beide, sie seien massiv gefoltert worden. Die ägyptischen Behörden entgegneten, von Terroristen sei nichts anderes zu erwarten, als dass sie solche Lügen verbreiteten.
Als die Uno 2003 eine Untersuchung startete, hielt Schweden zuerst brisante Dokumente zurück, welche die Folter belegten. Der schwedische Diplomat in Ägypten sagte später aus, man habe nicht schon am ersten Tag mit den Antifolterkontrollen beginnen wollen, um Ägypten nicht zu verärgern. 2005 wurde Schweden deshalb wegen Verstossens gegen die Antifolterkonvention verurteilt. Die Uno betrachtete es als erwiesen, dass die beiden Männer trotz vorliegender Garantien massiv gefoltert worden seien. Es sind dabei die Artikel 2 und 3 der Antifolterkonvention, die zum Tragen kommen. Sie sind sehr klar und deutlich. Im Artikel 2 heisst es: «Aussergewöhnliche Umstände gleich welcher Art, sei es Krieg oder Kriegsgefahr, innenpolitische Instabilität oder ein sonstiger Notstand, dürfen nicht als Rechtfertigung für Folter geltend gemacht werden.» In Artikel 3 heisst es: «Ein Staat darf eine Person nicht in einen anderen Staat ausweisen, abschieben oder eben an diesen ausliefern, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass sie dort Gefahr liefe, gefoltert zu werden.»
«Massgeschneiderte Garantien»
Diplomatische Garantien sollen also Mehmet Esiyok vor Folter schützen und ein faires Verfahren sicherstellen. Mitarbeiter der Schweizer Botschaft in Ankara sollen zu jeder Zeit Zugang zu ihm haben, um die «massgeschneiderten Garantien» «bis auf die unterste Hierarchiestufe durchsetzen zu können». Und um das Verfahren beobachten zu können.
Diese Absicht kritisierte Holly Cartner, Europa-Direktorin von Human Rights Watch, in einem Brief an Bundesrätin Micheline Calmy-Rey. Garantien gegen Folter seien nicht umsetzbar. Und sie verwies auf einen ähnlichen Fall in Holland aus dem Jahr 2006, in dem letztlich das höchste holländische Gericht die Ausweisung der PKK-Kaderfunktionärin Nuriye Kesbir stoppte. Das Gericht schrieb, eine Ausweisung Kesbirs könnte einen Bruch der Europäischen Menschenrechtskonvention zur Folge haben, die Ausweisung der Kurdin «beinhaltet trotz gegebener Garantien seitens der Türkei das hohe Risiko, dass diese gefoltert oder anderweitig unmenschlich behandelt wird».
Micheline Calmy-Rey teilt diese Bedenken nicht. Ihr Departement habe diese Garantien zu Recht abgesegnet, schrieb sie 2006 in einer Antwort an Cartner. «Wenn die Einhaltung der Garantien nicht klappt, würde die Türkei die weitere Zusammenarbeit auf diesem Gebiet gefährden.» Ob sich die Türkei daran stört, wenn die Schweiz aufgrund eines Garantieverstosses im Fall Esiyok in Zukunft keine Angeklagten mehr an sie ausliefert? Die Garantien sollen der Türkei auch verbieten, das Strafverfahren plötzlich auf andere Punkte auszuweiten. Das funktioniere, glauben das Bundesamt für Justiz, das EDA und das Bundesamt für Migration. Ausgerechnet die Schweizer Botschaft in Ankara ist anderer Meinung. Es sei nicht auszuschliessen, dass nach seiner Auslieferung weitere Strafverfahren gegen Esiyok eröffnet würden, für welche ihn die Schweiz nicht ausgeliefert hätte.