Wikipedia: Das AKW im Redaktionskrieg

Nr. 25 –

Beim Kampf um Artikel zur Atomenergie ziehen KritikerInnen im Internet regelmässig den Kürzeren – nicht nur wegen der verdeckten PR-Aktivitäten der Atomlobby.

Wikipedias Machtstruktur vereine Züge von Anarchie, Diktatur, Plutokratie, Demokratie, Meritokratie und Technokratie, schreibt der Chemnitzer Sozialwissenschaftler Christian Pentzold in seiner aktuellen Analyse des populären Internetlexikons. Was das konkret bedeutet, erfahren AKW-KritikerInnen regelmässig, wenn sie sich als AutorInnen der «freien Enzyklopädie» versuchen. Kaum haben sie einen Artikel ergänzt, wird der Beitrag auch schon wieder gelöscht.

Meist seien hier KernkraftbefürworterInnen am Werk, vermuten aktive Wikipedia-AutorInnen. Ob diese auf eigene Initiative oder im Auftrag handeln, lässt sich so leicht nicht feststellen, denn Wikipedia-Einträge kann man anonym oder unter falschem Namen bearbeiten.

Verstoss gegen Richtlinien

Oft geht es dann eine Weile hin und her: Die einen ergänzen, die anderen löschen. «Edit-War», Redaktionskrieg, nennt man solches Ringen um die Souveränität über Lexikoneinträge. Einen solchen Edit-War erlebte jüngst der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschlands (Bund). Es waren vermutlich MitarbeiterInnen der atomkritischen Organisation, die in etliche AKW-Artikel in der Wikipedia einen Link zu ihrer eigenen Website gelegt haben, «um zumindest einen Hauch von Ausgewogenheit zu schaffen», wie Axel Mayer, Bund-Geschäftsführer in Freiburg sagt. Vom Hauch blieb nicht viel übrig: Bis dato wurden sämtliche Verweise wieder entfernt. Ja, mehr noch: Die Linkadresse www.bund-freiburg.de landete schliesslich auf einer schwarzen Liste und kann seither nicht mehr in Wikipedia-Artikel eingefügt werden.

Einer, der auch ein paarmal den Link auf die Bund-Seite aus Wikipedia entfernt hat und dessen Verbannung auf die Blacklist für sinnvoll hält, ist Rainer Lippert. Der 35-jährige Laborant aus Unterfranken gehört zu den hundert aktivsten deutschsprachigen Wikipedia-AutorInnen und hat unter anderem auch zwei Dutzend Lexikonartikel zum Thema Atomenergie entweder neu erstellt oder stark ausgebaut. Er selbst befürwortet die Nutzung von Kernenergie, wenn auch mit Vorbehalten. Den Inhalt der von Wikipedia verbannten atomkritischen Website findet er eigentlich «recht gut», Daten und Hintergrundinformationen zu den einzelnen Kraftwerken seien dort sauber aufgearbeitet. «Was mir allerdings überhaupt nicht gefällt, ist die mangelnde Neutralität.» Damit meint der Wikipedianer «reisserische Grafiken» oder den Aufruf, «Wikipedia nicht der Atomlobby zu überlassen». Deshalb verstosse der Link gegen die internen Richtlinien von Wikipedia. Und doch war nicht der Inhalt der Website der Grund für die Verbannung – sondern die Tatsache, dass um den Link zu ihr ein nicht beizulegender Streit tobte. «Es gab zu viele Wikipedia-Benutzer, die diesen Link, in der derzeitigen Form und Aufmachung, nicht dauerhaft in den Artikeln stehen lassen wollten.» Deshalb sei es das Beste, diesen Link zu sperren. Eine solche Sperrung erfolgt stets nach einer Diskussion unter aktiven Wikipedia-AutorInnen. In diesem Fall plädierte eine Mehrheit für die Sperrung.

PR-Agenturen am Werk

Mit dieser Sichtweise gar nicht einverstanden ist der Freiburger Bund-Geschäftsführer Axel Mayer. Er vermutet vielmehr ein konzertiertes Vorgehen der Atomlobby, die Wikipedia unterwandern und systematisch alles Atomkritische entfernen wolle. Wikipedia-Autor Lippert hält er für einen möglicherweise «gut getarnten Lobbyisten». Ein Vorwurf, den Lippert nicht auf sich sitzen lassen will. Mit Kernenergie beschäftige er sich nur am Rande. Auch sehe er sich zum ersten Mal mit dem «absurden Verdacht» konfrontiert, im Dienste der Atomindustrie zu stehen.

Tatsache aber ist, dass immer wieder PR-Agenturen im Dienst der Atomindustrie versuchen, betreffenden Wikipedia-Artikeln einen bestimmten Dreh zu geben – ohne dass bekannt wird, wer hinter dem redaktionellen Eingriff steckt: So war etwa der «neutrale» Lexikoneintrag zum Stichwort Nuklearforum Schweiz identisch mit dem Inhalt der Website der atomfreundlichen Organisation. Auch bei der Gentechlobby Gen Suisse konnte dasselbe Vorgehen festgestellt werden. Da beide Organisationen von der PR-Agentur Burson-Marsteller betreut werden, kann davon ausgegangen werden, dass diese Wikipedia-Strategie auf dem Mist der Meinungsmacher gewachsen war. Nur: Lange währte die Freude ob des gelungenen Manipulationsversuchs nicht. Wer bei Wikipedia heute nach «Nuklearforum» sucht, findet nur noch einen Hinweis auf die Löschung des betreffenden Artikels. Als Gründe dafür werden angegeben: Mangelnde Neutralität und zu starker Schweizbezug und deshalb zu geringe Relevanz für den gesamten deutschsprachigen Raum.

Fadenscheinige Argumente

Mit ähnlicher Begründung musste auch der Eintrag von Fokus Anti-Atom, der vormaligen Aktion «Mühleberg stilllegen!», dran glauben. Jürg Joss, langjähriges Mitglied der Berner Anti-AKW-Organisation, findet die Wikipedia-Argumente zwar fadenscheinig, will aber deswegen nicht alles daransetzen, dass seine Organisation doch noch in Wikipedia verewigt wird. Er könne die Zeit sinnvoller nutzen. Etwa indem er die Website von Fokus Anti-Atom aufdatiere und erweitere. Denn, so Joss, «prominente Präsenz im Internet kann man nicht an Wikipedia delegieren. Die muss man schon mit der Optimierung der eigenen Website erreichen.»