Schwyz: Postkarte aus der Urschweiz

Nr. 28 –

Urkanton, Steueroase, Autobahn. Ja zur SVP-Einbürgerungsinitiative. Eine sommerliche Rundfahrt durch den unsympathischsten Kanton der Schweiz.

Ein Urner sagt: «Es stimmt. Die Schwyzer sind noch verbockter als wir. Und das will was heissen.» Muotathaler MantafahrerInnen mit Fuchsschwanz an der Antenne, so habe er die NachbarInnen aus seiner Jugend in Erinnerung. An der ästhetisch fragwürdigen Fahrzeugwahl hat sich nicht viel geändert. Heute sind es immer noch mehrheitlich SchwyzerInnen, die mit den idiotischsten Autos über den Klausenpass rösten. Sie sitzen in farbig gespritzten, unnützen Strandbuggys. In Fahrzeugen, die selbst in Kalifornien peinlich aussähen.

Gemeine Vorurteile? Vielleicht. Aber die werden von den BewohnerInnen des unsympathischsten Kantons der Schweiz auch massenhaft bedient. Zugegeben, auch der Zürcher Teil des linken Seeufers ist landschaftlich nicht über alle Zweifel erhaben, aber sobald die Kantonsgrenze überschritten ist, wird die Scheusslichkeit potenziert - in Schwyz reiht sich Bausünde an Bausünde. Allein deshalb wurde wohl die Autobahn nach Chur gebaut: Um das Auge der Durchreisenden vor all den potthässlichen Dörfern zu beschützen.

Die Bausünden am See werden nur gerade unterbrochen durch Visiere und Baustellen. Und von einer metropolenwürdigen Verkehrsführung, wie beispielsweise in Pfäffikon - der Stadt, die bekannt wurde durch Alpamare und Seedammcenter: Nicht nur die Autobahnzufahrtsrampen schlängeln sich durchs Dorf, die Kantonsstrasse schlängelt sich sogar noch dazwischen. Die zweite Schwyzer Küstenstrasse am anderen See bietet ein ähnliches Bild: Man wähnt sich kurvenmässig in Amalfi. Doch den Vierwaldstättersee sieht man kaum. Die Sicht versperren protzige Schlösschen und neoklassizistische Eigenheime. Gern mit Säuleneingang, noch lieber mit Türmchen, meist mit Thujahecke.

Ebner, Ospel und die Pnos

Doch vom Subjektiven weg, zu den Fakten. Der Kanton Schwyz ist eine Steueroase. Hier wurden die Steuern so massiv und regelmässig gesenkt, dass ein Schweizer Kanton nach dem andern beeindruckt dem Modell folgte. Hier muss selbst für Erbschaften an entfernte Verwandte keine Abgabe bezahlt werden, und rund fünfzig reiche AusländerInnen haben Pauschalsteuerabkommen abgeschlossen. Der Erfolg gab den Berechnenden recht: Um die vierhundert SchwyzerInnen haben heute ein Vermögen von mehr als fünf Millionen Franken. Laut der Wirtschaftszeitschrift «Bilanz» gehören davon neunzehn zu den reichsten SchweizerInnen. Marcel Ospel und Martin Ebner beispielsweise.

Als sie ihren Wohnsitz, und Letzterer auch noch seine Bank, nach Freienbach verlegten, zeigte sich ein Grossteil der SchweizerInnen empört. Der andere Teil folgte dem Beispiel seiner Meister - das mittlere Kader bei den Grossbanken zum Beispiel. Dieselben, die an Klassenzusammenkünften verkünden, aus steuerlichen Gründen geheiratet zu haben. Und dass die Frau nun besser daheimbleibe, statt zwei Tage die Woche zu arbeiten, damit man als DoppelverdienerInnen nicht wieder drauflege. Das so Ersparte investieren diese Neuzuzüger nun in Freienbacher, Wollerauer und Pfäffiker Terrassenhäuser. Es gibt viele Terassenhäuser hier. Und wenn man «Terassenhäuser» googelt, erscheint prompt die Website eines Schwyzer Bauunternehmers zuoberst.

Ein weiterer bestätigter Fakt ist, dass die SchwyzerInnen nicht viel Freude an den Fremden haben, es sei denn, sie schaffen es auf die «Bilanz»-Liste der 300 Reichsten. Als einziger Kanton nahm Schwyz am 1. Juni dieses Jahres die Einbürgerungsinitiative der SVP an. Die Volkspartei ist hier zu Hause, von hundert Sitzen im Kantonsrat hält sie 41, die SP 9. Grüne hat es gar keine im Parlament, die Partei wurde erst kürzlich gegründet. Dafür gibt es in Küssnacht am Rigi eine eigene Sektion der Pnos, der Partei National Orientierter Schweizer. Und das Dorf Brunnen geriet vor drei Jahren in die Schlagzeilen, als 600 Rechtsradikale, angeführt von der Pnos, am 1. August von der Polizei unbehelligt durch das Städtchen marschieren durften. «Ein gelungener Polizeieinsatz», urteilte danach der Schwyzer Polizeidirektor, schliesslich sei den Glatzköpfen eine letzte Rede auf dem Bahnhofplatz verwehrt worden.

«Bauliche Veränderungen»

Hier bleibt man eben gerne unter sich, um nicht mit den anderen teilen zu müssen. So war es auch bis vor wenigen Jahren in den Korporationen und Genossamen. Die seit dem Mittelalter bestehenden Gesellschaften verwalten den Boden der Gemeinden und stehen nur den Nachkommen der einstigen Bürger offen. Seit den Neunzigern ermöglichen sie auch Frauen die Mitgliedschaft. Und Ende 2006 kam es knüppelhart: Nachdem Mütter in Pfäffikon und Lachen klagten, zwang das Bundesgericht die Korporationen, künftig auch TrägerInnen von nicht alteingesessenen Namen aufzunehmen - das Korporationsbürgerrecht wurde auch an Kinder weitervererbbar, die den Namen eines auswärtigen Vaters tragen. Ein lächerlicher Prinzipienstreit? Kaum - in den Gemeinden mit dem stärksten Bevölkerungszuwachs geht es nicht allein um Traditionen, es geht um mehrere zehntausend Franken Dividende jährlich, vom teuren Bauland abgeworfen.

Vieles ist anders geworden, aber der Kanton Schwyz bleibt Urschweiz. Und uralt, schliesslich war einer der schwörenden Gründerväter, Werner Stauffacher, ein Schwyzer. Und der hatte noch mehr Erfolg als die zwei Mitschwörer - heute ist ein ganzes Land nach dem Kanton benannt. Ein Teil lebt immer noch vom Mythos: Von Brunnen, der Schwyzer Gemeinde am Vierwaldstättersee aus, fahren die Ausflugsboote aufs schräg gegenüberliegende Rütli, in den Kanton Uri. Das Dorf selbst ist wenig sehenswert. Von den historischen Gebäuden am «Schilte Nüüni», dem Hauptplatz, stehen heute nur noch wenige - wegen eines Brandes im siebzehnten Jahrhundert und, wie es das Tourismusbüro nennt, «baulichen Veränderungen». In Küssnacht am Rigi lässt sich Wilhelm Tells - oder vielmehr Friedrich Schillers - Hohle Gasse begehen. Und der Schlachtplatz Morgarten liegt ebenfalls auf Kantonsboden. Hier stehen heute ein WC, eine Feuerstelle, ein Ansichtskartenautomat.

Die Tourismusförderung liegt den SchwyzerInnen halt nicht gerade im Blut, vielleicht weil sie hier immer Sorgen mit dem Geld haben - ob es jetzt um sehr viel geht oder einst um sehr wenig ging. Früher war Schwyz ein bettelarmer Kanton. Als landwirtschaftliches Gebiet und als Verlierer des Sonderbundkrieges gehörte er - als er 1848 in den Schweizer Bundesstaat eingebunden wurde - zu den Ärmsten. Das Kloster Einsiedeln half damals beim Begleichen der Schulden, eine Nebenwirkung steht heute noch an jeder gefährlichen Passkurve: Schwyz ist tief katholisch geblieben. Dann kam das neue Steuergesetz, Anfang der Achtziger. Und alle folgenden Steuersenkungen. Und seither muss bei öffentlichen Ausgaben sowieso gespart werden, denn bei jeder neuen Steuersenkrunde müssen die Oasenkantone mitziehen.

Doppelschanze in den Konkurs

Also: Die Fakten stimmen. Schwyz ist nicht sehr sympathisch. Schwyz ist auch ziemlich hässlich. Bis man die kurvige Strasse ins Wägital hinauf nimmt. Der dortige Stausee zieht vor allem FischerInnen an, die Strasse um das Wasser ist gesäumt von Zürcher Autos. Am Mittag sitzen die FischerInnen im Tarnfarbengilet gemeinsam mit den WanderInnen im Gasthaus Stausee in Innerthal und lassen sich die gefangenen Fische nach ihren Wünschen zubereiten. Ein Ehepaar in Freizeitausstattung - T-Shirts und Mokassins sind weiss, die Socken beige - sitzt am Nebentisch und lauscht den Heldentaten. Dann kommt der Salat, und alle paar Minuten schlagen die beiden mit je einer gelben Klatsche ein paar Fliegen tot. Die Klatschen haben Smileygesichter, und das Ehepaar hat sie von daheim mitgebracht.

Hier oben ist nichts hässlich, vom Baulärm der neuen Brücke mal abgesehen. Hier oben ist auch niemand unfreundlich mit Fremden, es sei denn, es handelt sich um Fliegen. Nur sehr langweilig ist es. Der Weg durch Schwyz führt weiter an den nächsten See, den Sihlsee. Nun gut, Schlösslihäuser und prächtige Chaletnachbauten auch hier, aber das Bergpanorama entschädigt. Und in den Bergen hat man auch schon Schlimmeres gesehen. Es hat hier Schweizer Fahnen vor jedem Häuschen, und das hat nichts mehr mit Fussball zu tun. An einem Felsen im Rigimassiv klebt auch eine, von Juni bis September - eine Initiative von Vitznau Tourismus (Luzern). Sie sei vierhundert Kilo schwer.

Nun aber zuerst nach Einsiedeln, der Nummer eins unter den Wallfahrtsorten. Nummer eins auch im Schweizer Skispringen, wenn auch die Doppelschanze Konkurs gegangen ist. Im Sommer 2005 gebaut, damals schon für sechs Millionen Franken mehr als ursprünglich geplant, weil sie sonst den Hang hinuntergerutscht wäre. Alles Werben des lokalen Skisprunghelden, des Einsiedlers Andreas Küttel, nützte nichts, die Genossenschaft musste aufgeben. Dennoch finden anscheinend mehr Führungen durch die Skisprunganlage als im Kloster statt. Viel weniger Führungen gibt es im Diorama Bethlehem, «der grössten Krippe der Welt», und dem Panorama, «der Darstellung der Kreuzigung Christi». Vielleicht zu Unrecht, aber so genau will man gar nicht wissen, wie es drinnen aussieht.

Auf dem Weg nach Schwyz fährt man an einer weiteren national bekannten Wiese vorbei. An Rothenthurm. 1987 wurde eine Initiative der Linken angenommen, welche die Schweizer Moore und Moorlandschaften retten wollte - das Moor hier oben gab der Initiative den Namen. Das ist ein sympathischer Aspekt des Kantons: Die BäuerInnen der Korporation Oberägeri wehrten sich dagegen, dass ihre Höfe in einen Waffenplatz verwandelt wurden, und wehrten sich zu Zeiten, als die Armee noch unantastbar war, gegen deren rücksichtsloses Vorgehen. Erfolgreich. Seither hat der Bund ein Inventar der schützenswerten Schweizer Moore erstellt.

Frauenwinkel und Himmel

Hier gibt es also Linke. Doch selbst auf dem SP-Sekretariat findet man vieles frustrierend, und es wird lange nach linken ExponentInnen gesucht - vielleicht seien die eher bei den Grünen? Doch dann wird Kantonsrätin Karin Schwiter gefunden, eine der jüngsten Frauen im Kantonsrat, wohnhaft in Lachen. «Doch, es bewegt sich etwas. Nur vielleicht langsamer als anderswo», sagt sie. Rothenthurm sei genau so ein Beispiel. Da werde der ganze Moorschutz nach einem Dorf in Schwyz benannt, aber genau dort habe es dann zwanzig Jahre gedauert, um die Vorschriften durchzusetzen. Aber dank des vielen Geldes, das mit der Steuerpolitik in den Kanton gespült wird, geht es heute manchmal auch schneller: «Bei der Aufwertung des Naturschutzgebietes Frauenwinkel habe ich nur noch gestaunt, dass das einfach so möglich war. Früher wäre das nicht gegangen», sagt Karin Schwiter. Oder die neue ÖV-Rhetorik, die nun selbst die Bürgerlichen verlauten liessen. Der öffentliche Verkehr sei wichtig, müsse unterstützt werden. Das sei natürlich auch aus Angst, dass der Zürcher Verkehrsverbund den Nachbarn vom Netz abhänge. Aber eben: etwas Gutes.

«Oft bin ich sehr zufrieden, wenn wir ein eher linkes Anliegen durchgebracht haben. Und dann schaue ich mich in anderen Regionen der Schweiz um und merke, dass diese Neuerungen dort schon selbstverständlich sind, dass wir auch hier drei Schritte hinterherlaufen.» Die Sitzverteilung im Parlament verunmögliche schliesslich auch die Durchsetzung der meisten linken Anliegen, und seien sie noch so moderat formuliert. «Und moderat formulieren müssen wir ohnehin. Bei nur neun Vertretern im Kantonsrat reicht es nicht, wenn wir die CVP auf unserer Seite haben. Wir müssen, um eine Abstimmung zu gewinnen, auch noch die FDP überzeugen», sagt Schwiter. Manchmal klappt es, vielleicht schon beim nächsten Mal, wenn die Verfassungsänderung zu den Wahlkreisen tatsächlich durchkommt. Die wäre eine der fortschrittlichsten in der Schweiz und würde den kleinen Parteien endlich eine bessere Vertretung bescheren.

Und der Urner, der meint ohnehin: «Doch, Nettes gibt es schon in Schwyz.» Der «Himmel», ein Veranstaltungsort im Kantonshauptort, der sei wirklich prächtig. Und in Einsiedeln gibt es gutes Bier.