Italien: Alles schaut nur auf Silvio

Nr. 34 –

Der grossspurige Regierungschef Silvio Berlusconi schanzt sich - unter dem Protest der Opposition - ständig neue Privilegien zu. Doch die eigentlichen Probleme liegen anderswo.


Die Bilder der bewaffneten Soldaten in den Zentren der italienischen Grossstädte gingen um die Welt. Die Regierung hat Ende Juli den Notstand ausgerufen - das Ausmass der illegalen Einwanderung bedrohe das Land. Das ist mehr als nur Symbolpolitik.

Dass Silvio Berlusconi ganz der Alte geblieben ist, wurde schon in den ersten Wochen seiner dritten Amtszeit als italienischer Regierungschef deutlich, die er Anfang Mai antrat. Grossspurige Versprechungen - etwa die Lösung der Müllkrise in Neapel - verband er mit Drohungen, rigoros gegen all jene vorzugehen, die sich ihm in den Weg stellen würden. Der Müll ist zwar aus der Innenstadt verschwunden, ein Entsorgungskonzept existiert aber immer noch nicht. Den grössten Ehrgeiz legen Berlusconis Getreue dann an den Tag, wenn es darum geht, die persönlichen Interessen ihres Chefs durchzusetzen. Mit dem Immunitätsgesetz ist das in Rekordzeit gelungen: Gegen die vier höchsten Amtsträger des Staates dürfen nun keine Prozesse mehr geführt werden. Eine Anklage gegen Berlusconi wegen versuchter Zeugenbestechung wurde damit auf Eis gelegt - und wird nun verjähren.

Opposition in der Falle

Natürlich gibt es dagegen Proteste, auch auf der Strasse. Und einmal mehr rümpft die internationale Presse die Nase über den hemdsärmeligen Regierungsstil des kleinen Italieners mit der grossen Klappe. Selbst die EU-Staaten sahen sich gezwungen, die italienische Regierung um Mässigung zu bitten. Dass die Roma kollektiv als FeindInnen der braven Leute behandelt werden und ihre Fingerabdrücke genommen werden sollen, ging vielen zu weit. Darauf ergriff Rom die Flucht nach vorn: Ab 2010 sollen die Fingerabdrücke der gesamten Bevölkerung registriert werden.

Berlusconis Vorgehen ist nicht nur dreist, sondern auch geschickt. Das Immunitätsgesetz schnürte er in ein «Sicherheitspaket»: Die illegale Einwanderung wird zur Straftat, die Zahl der Abschiebungen wird erhöht, und das Militär patrouilliert auf den Strassen - all das soll den von diffusen Ängsten geplagten BürgerInnen ein Gefühl von Sicherheit vermitteln. Berlusconis Politik folge dem Prinzip: «Ich garantiere euch sichere Strassen, und ihr gesteht mir persönliche Immunität zu», kommentiert Gabriele Polo von der Tageszeitung «Il Manifesto». Der Protest der DemokratInnen gegen das Immunitätsgesetz sei zwar berechtigt, berge aber auch eine Gefahr: Dem Premier sei es gelungen, die mediale Aufmerksamkeit auf die Gesetzesvorhaben zu lenken, die ihn direkt beträfen - während die anderen, ebenso schwerwiegenden Massnahmen keine Beachtung fänden. Die parlamentarische Opposition sei einmal mehr Opfer ihres eigenen «oberflächlichen Anti-Berlusconismus».

Eco meldet sich

In der ausserparlamentarischen Linken und unter Intellektuellen werden die Gefahren von Berlusconis Politik sehr viel ernster genommen. An vorderster Front steht der Professor für Semiotik und Schriftsteller Umberto Eco. In einem offenen Brief an die InitiatorInnen einer Demonstration gegen die Regierung von Anfang Juli unterstrich er die Pflicht der Minderheit, gegen die Mehrheit zu demonstrieren, wenn diese «gegen das Gesetz, die Moral oder die Prinzipien der Demokratie verstösst». Diese Aussage war auch ein Seitenhieb an die Demokratische Partei, die der Demonstration fernblieb.

Wie ernst Eco die Gefahr nimmt, die von der jetzigen Regierung ausgeht, machte er kürzlich in seiner Kolumne für das Magazin «L’Espresso» deutlich. Um die gegenwärtige Hetze gegen Roma in einen historischen Kontext zu stellen, zitiert er faschistische Schriften über «Zigeuner» - unter anderem solche aus der Zeitschrift «La difesa della razza» (Die Verteidigung der Rasse), die zwischen 1938 und 1942 erschien. Der neue, neofaschistische Bürgermeister von Rom, Gianni Alemanno, will nun in der italienischen Hauptstadt eine Strasse nach Giorgio Almirante, einem Redaktor der Zeitschrift und dem späteren Führer des neofaschistischen MSI, benennen. Mit diesem Hinweis endet Ecos Artikel. Hinzuzufügen wäre, dass Almirante auch der politische Ziehvater von Gianfranco Fini von der Alleanza Nationale war, der im Mai zum Parlamentspräsidenten gewählt wurde.

Faschistische Schatten

Erinnerungen an den historischen Faschismus finden sich zurzeit in vielen Kommentaren. Siebzig Jahre nach dem 5. September 1938, als in Italien die ersten Bestimmungen der antisemitischen «Rassengesetze» in Kraft traten, ist auch die Kontinuität des Rassismus ein Thema. Alberto Burgio, Professor für Philosophiegeschichte und ehemaliger Parlamentsabgeordneter der Rifondazione Comunista, verweist auf die erfolgreichen Bemühungen der GeschichtsrevisionistInnen, den Mussolini-Faschismus als eher gemütliche Diktatur erscheinen zu lassen. Heute würden bis zu siebzig Prozent der ItalienerInnen diskriminierende Massnahmen gegen MigrantInnen befürworten - den Vorwurf des Rassismus aber weisen sie dennoch weit von sich.

Die Zustimmung der Mehrheit war auch ein Kernpunkt in einer Analyse des einstigen Sekretärs der Rifondazione Comunista, Fausto Bertinotti, die er kürzlich an einem Parteikongress präsentierte (siehe WOZ Nr. 32/08): Das Parlament falle als demokratisches Korrektiv weitgehend aus, da es zu einem verlängerten Arm der Exekutive verkommen sei. Bertinotti hat für die sich in Italien etablierende Staatsform einen neuen Begriff vorgeschlagen: un regime leggero - ein «Light-Regime». Andere, wie der Schriftsteller Predrag Matvejevic, sprechen von «Demokratur».