Nicaragua: Ortegas rosarote Faust
Präsident Daniel Ortega hatte eine Regierung der nationalen Versöhnung versprochen und seine Amtszeit gar nicht so schlecht angefangen. Nun wird er immer autoritärer.
«Nicaragua libre» - ein «freies Nicaragua». Das war das Versprechen der SandinistInnen, nachdem sie den Diktator Anastasio Somoza im Juli 1979 gestürzt hatten. Bis heute stehen die beiden Worte in grossen Buchstaben auf dem Gebäude des internationalen Flughafens Augusto C. Sandino in Managua. Viel grösser als diese einst magische Formel sind die Werbeplakate. Sie zeigen Präsident Daniel Ortega, meist mit gereckter Faust, und Parolen wie «Null Hunger», «Wacht auf, Verdammte dieser Erde» oder «Lasst uns aufbrechen zu weiteren Siegen». Sie hängen nicht nur am Flughafen, sondern überall im ganzen Land. Schwarz und Rot, die traditionellen Farben der Regierungspartei Sandinistische Nationale Befreiungsfront FSLN, sind auf den Postern des Präsidenten längst verschwunden. Der Chef der FSLN bevorzugt seit Jahren einen Hintergrund in zartem Rosa. Aber es ist nicht der Farbton, der viele NicaraguanerInnen an ihrem einstigen Idol zweifeln lässt. Vieles von dem, was er tut und anordnet, erinnert sie an die Zeit vor 1979, als Nicaragua alles andere war als frei.
Zu einem Treffen mit der Parlamentskommission für Infrastruktur kommt Ortega über eine Stunde zu spät. Die Abgeordneten irritiert das nicht. Sie wissen es längst: Der Comandante Presidente nimmt es nicht so genau mit der Zeit. Er nimmt das Mikrofon und spricht, langsam, fast schleppend, mit langen Pausen. Am Anfang steht, wie er es gerne hat, ein Zitat «Seiner Heiligkeit Johannes Paul II.». Schon der habe vor einem «ungezügelten Kapitalismus» gewarnt. Er macht ein paar Witze über die Finanzkrise in den USA und die hilflosen Versuche, «das Imperium zu retten». Dann kommt er endlich zum Thema: Der Markt werde es nicht schaffen, die 500 000 Wohnungen zu bauen, die in Nicaragua heute fehlen. «Der einzige Weg ist die Enteignung von Land.» Der Staat werde gerechte Entschädigungen bezahlen.
Macht des Guten
Seit dieser Rede, die er in der zweiten Oktoberwoche hielt, hat Ortega noch ein paar GegnerInnen mehr. Bislang hatte er das Privateigentum in Ruhe gelassen und seine Angriffe vor allem auf die politische Opposition konzentriert. Vorläufiger Höhepunkt war der Ausschluss zweier Parteien von der Kommunalwahl, die am 9. November abgehalten wird: Im Juni hatte der Oberste Wahlrat überraschend erklärt, die 1995 von FSLN-DissidentInnen gegründete Sandinistische Erneuerungsbewegung (MRS) und die Konservative Partei (PC) dürften aus formalrechtlichen Gründen an dieser Wahl nicht teilnehmen, da sie in einigen wenigen Gemeinden des Landes nicht vertreten seien.
Der Richterspruch löste einen Sturm der Entrüstung aus. Sogar die katholische Kirche, der sich Ortega im Wahlkampf vor zwei Jahren in die Arme geworfen hatte, fand deutliche Worte des Missfallens. Doch den Präsidenten stört das wenig. Seither hofiert er die christliche Konkurrenz der evangelikalen Kirchen. Für sie hat er Ende September in der Hauptstadt einen «Platz der Bibel» eingeweiht und ihnen versprochen, er werde 35 000 Bibeln unter anderem in der indigenen Sprache Miskito drucken lassen.
«Der Präsident verkauft sich als die Macht des Guten, die von der göttlichen Vorsehung dazu bestimmt wurde, Nicaragua zu regieren», sagt Dora María Tellez, im Befreiungskrieg eine der bekanntesten Guerilleras und später Mitgründerin der MRS. «Alle anderen repräsentieren die Macht des Bösen.» Tellez gehört zweifellos zu diesen anderen. Nachdem ihre Partei von den Kommunalwahlen ausgeschlossen worden war, trat sie für dreizehn Tage in einen öffentlichen Hungerstreik. Um Demonstrationen gegen das Parteienverbot zu verhindern, liess Ortega vorsorglich alle wichtigen Strassenkreuzungen Managuas mit eigenen «DemonstrantInnen» besetzen, die dort mit Transparenten «Schluss mit dem Hass» forderten.
Seit einem vor zehn Jahren zwischen dem damaligen Oppositionsführer Ortega und dem rechten Präsidenten Arnoldo Alemán (1997-2008) geschlossenen Pakt wird der Oberste Wahlrat von SandinistInnen kontrolliert. Die FSLN und die Konstitutionalistische Liberale Partei (PLC) von Alemán teilten sich seinerzeit alle wichtigen staatlichen Institutionen untereinander auf: die Staatsanwaltschaft, die staatliche Menschenrechtsbehörde, den Rechnungshof, den Obersten Gerichtshof. Alemán wurde nach seiner Präsidentenzeit wegen Korruption zu zwanzig Jahren Haft verurteilt. Der Pakt aber besteht weiter. «Eben deshalb reden wir von einer institutionellen Diktatur», sagt Tellez. «Niemand in Nicaragua kann sich an eine staatliche Instanz wenden, die nicht von einer dieser beiden Parteien beherrscht wird.»
Klappe halten
Mit dem Sieg der SandinistInnen 1979 sollte das Wort Diktatur eigentlich aus dem politischen Wortschatz Nicaraguas verschwunden sein. Doch heute sieht man es immer wieder auf die rosa Plakate des Präsidenten gesprüht. Nicht nur Ortegas parteipolitische GegnerInnen nehmen es in den Mund. Auch die sozialen Bewegungen verwenden es immer öfter. Besonders die nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) werden von der Regierung drangsaliert.
So wurde am Abend des 10. Oktober das Büro der Stiftung Cinco, das sich in einem besseren Stadtteil von Managua befindet, für eine Hausdurchsuchung von der Polizei abgeriegelt. Die Stiftung veröffentlicht seit dreizehn Jahren Studien zur nicaraguanischen Kultur und über Journalismus. Gleichzeitig wurde auch am anderen Ende der Hauptstadt der Sitz der Autonomen Frauenbewegung (MAM) gefilzt. MAM hatte die FSLN öffentlich kritisiert, als diese im Parlament für ein totales Verbot des Schwangerschaftsabbruchs gestimmt hatte.
Das Innenministerium wirft MAM und Cinco nun vor, Gelder aus einem gemeinsamen Topf zur Unterstützung von NGOs veruntreut zu haben. In diesem von der britischen Hilfsorganisation Oxfam verwalteten Fonds bündeln kleinere Hilfsorganisationen aus acht Ländern (darunter auch die Schweiz) ihre finanziellen Mittel. Laut Oxfam gab es bei der Geldvergabe keinerlei Unregelmässigkeiten. Cinco sei gegenüber dem Fonds schon immer als Rechtsvertreterin von MAM aufgetreten, weil die Frauenbewegung nicht den Status einer juristischen Person habe. Innerhalb der internationalen Zusammenarbeit würden solche Dreiecksfinanzierungen geschätzt, weil so auch kleine Bewegungen unterstützt werden können.
Der Vorsitzende von Cinco ist Carlos Fernando Chamorro, einst Chefredakteur der FSLN-Zeitung «Barricada». Heute moderiert er ein Fernsehmagazin, das sich auch schon mit Korruption in der sandinistischen Regierung auseinandergesetzt hat. «Die angeblichen Ermittlungen wegen Veruntreuung von Geld sind nur ein Vorwand», sagt er. «Man versucht schlicht, uns zu kriminalisieren.» Ortega wolle keine Kritik hören, sondern «ein Volk, das die Klappe hält und kuscht». Nicht nur Chamorro hat Probleme mit der Justiz und der Regierung. Konstruierte Vorwürfe treffen auch ehemalige Revolutionsikonen wie den Dichter Ernesto Cardenal oder die Liedermacher Carlos und Luis Enrique Mejía Godoy, die Ortega die Rechte an ihren Revolutionsliedern verweigerten.
Ende September hat der Staatssekretär für internationale Zusammenarbeit Valdrack Jaentschke angekündigt, die mehr als 4500 NGOs in Nicaragua würden allesamt überprüft. Man werde nicht zulassen, dass sie Geld aus dem Ausland bekommen, «um damit Politik zu machen». Für Ortega kommt solche internationale Hilfe aus den «Fonds des Bösen». Die Staatsanwaltschaft ermittelt bereits gegen siebzehn Organisationen.
Ortega auf ewig?
«Es ist wie in den Kriegszeiten der achtziger Jahre», sagt Mauricio Zúniga, Direktor der NGO IPADE. Es herrsche ein Stimmung von: «Entweder du bist für uns oder du bist unser Feind.» IPADE und die Organisation Ethik und Transparenz stehen auf jener Liste von Organisationen, die laut Regierung «für die CIA arbeiten», weil sie Geld von der Entwicklungsagentur USAid bekommen. Seit 1996 sind beide Organisationen als Wahlbeobachterinnen in Nicaragua aktiv. Eine Akkreditierung für die Kommunalwahl im November wurde von der Wahlbehörde abgelehnt. Genauso unerwünscht sind WahlbeobachterInnen von der Organisation Amerikanischer Staaten und vom Carter Center des ehemaligen US-Präsidenten Jimmy Carter. «Wir haben genügend Erfahrung mit Wahlen», sagt Ortega. «Wir brauchen keine Beobachter.» Nach dem Ausschluss von MRS und PC treten neben der FSLN und der PLC nun nur noch einige Miniparteien an.
In der Hauptstadt Managua - in der die FSLN bereits seit 2000 regiert - könnte es diesmal knapp werden. Trotzdem ist der Wahlkampf eher verhalten. Massenkundgebungen auf dem Platz der Revolution vor der alten Kathedrale gibt es nicht. Das hat das sandinistische Bürgermeisteramt verboten. Der Einzige, der dort an allen vier Ecken von rosa Plakaten herunterblicken darf, ist der Comandante Presidente. Als seinen Kandidaten für die Stadt hat er Alexis Argüello auserkoren. Der ist weder Exguerillero noch Politiker, aber als ehemaliger Boxweltmeister bei der Bevölkerung beliebt.
Spannender als die Wahl wird aber die Zeit nach dem 9. November. Sollte das Ergebnis zugunsten Ortegas ausfallen - und dafür hat er so gut es geht vorgesorgt -, will er eine Verfassungsreform angehen. Die Parlamentsfraktionen von PLC und FSLN beraten seit Monaten über ein Gesetzespaket, das die unmittelbare Wiederwahl eines Präsidenten möglich machen soll. Das war bisher verboten.
Kultur der Abhängigkeit
Die zweite Präsidentschaft des Daniel Ortega hatte ganz harmonisch begonnen. Im Wahlkampf gab er sich lammfromm, und beim Amtsantritt am 10. Januar 2007 versprach er eine Regierung «der Versöhnung und Einheit». Zunächst waren die NicaraguanerInnen ganz glücklich mit ihm. Er schaffte Schulgebühren ab und ordnete eine kostenlose Gesundheitsversorgung für alle an. Venezuelas Präsident Hugo Chávez half ihm, die Energiekrise zu überwinden, die er von seinem Vorgänger Enrique Bolaños geerbt hatte. Kaum war Ortega an der Macht, finanzierte Venezuela ein paar mit Öl betriebene Stromkraftwerke und liefert zusätzlich 150 000 Fass Öl am Tag. Die täglichen Apagones, flächendeckende Stromausfälle von mehreren Stunden, verschwanden.
Mit dem Öl aber kam die Unübersichtlichkeit. Nicaragua muss lediglich die Hälfte der Lieferungen sofort bezahlen, den Rest kann das Land innerhalb von 25 Jahren zu einem Zinssatz von einem Prozent abstottern. Trotzdem wird gleich der gesamte Preis verbucht. «Das Geld, das verrechnet, aber nicht bezahlt wird, ist ausserhalb jeglicher Haushaltskontrolle», sagt der Wirtschaftswissenschaftler Néstor Avedaño. «Es wird für parteipolitische Ziele eingesetzt.»
Zum Beispiel für die Programme «Null Hunger» und «Kein Wucherzins». Beide Projekte werden nicht über den Staat abgewickelt, sondern über die von Ortega geschaffenen sogenannten Räte der Bürgermacht (CPC). Sie verteilen Lebensmittel, Hühner, Schweine und Rinder und vergeben Kleinkredite an Frauen - nach ihrem politischen Gutdünken. Die Wirkung dieser Programme sei gering, sagt Manuel Ortega Hegg, Direktor des Zentrums für soziokulturelle Analyse an der Zentralamerikanischen Universität von Managua. Sie seien kaum geeignet, die Armut zu überwinden. «Aber sie schaffen eine Kultur der Abhängigkeit vom Präsidenten.»