100 Wörter: Hochnebel

Nr. 46 –

Als der neue Präsident gegen Mittag endlich aus den Federn kam, wurde ihm bewusst, auf was er sich da eingelassen hatte. Er war Chef von einem Land, das breiter war als lang, zu überproportionaler Selbstwahrnehmung neigte und von ganz vielen Menschen bewohnt wurde, die dick waren und einen Hang zu karierten Hemden hatten. Ausserdem war man unbeliebt und pleite. «Siehst du», sagte seine Frau, die schöner und gescheiter war als er, «das hast du jetzt von deinem grenzenlosen Optimismus.» Der Präsident aber griff zur Kaffeetasse, freute sich, dass der Hochnebel im Gegensatz zur Zuversicht in seinem Land gänzlich unbekannt war.


Stephan Pörtner ist Krimiautor («Köbi der Held») und lebt in Zürich. Für die WOZ schreibt er Geschichten, die aus exakt 100 Wörtern bestehen.