Durch den Monat mit Gerhard Schwarz (Teil 1): Kapitalismus am Ende?

Nr. 1 –

Gerhard Schwarz: «Es besteht kein Grund, von einer fundamentalen Krise des Systems zu reden.»

WOZ: Das Jahr 2008 stand im Zeichen der Krise. Was kommt als Nächstes?
Gerhard Schwarz: «What goes up must come down» – und umgekehrt.

Was meinen Sie?
Ich bin nicht prognosegläubig. Das gehört zu meiner Philosophie. Ich bin skeptisch gegenüber grossen interventionistischen Würfen, weil man nie weiss, was die Zukunft bringt. Wir sind letztlich alle Gefangene der Entwicklungen, wir können nur reagieren: «What goes up must come down.» Ich glaube, 2009 wird realwirtschaftlich schlecht, 2010 wird besser.

Mussten Sie 2008 ein paarmal leer schlucken?
Ja, bei der UBS zum Beispiel. Ich hätte nie gedacht, dass es so weit kommt. Noch mehr verunsichert hat mich die Spirale in den USA. Ich war zuerst der Meinung, dass es richtig war, die Investmentbank Lehman Brothers nicht zu retten und damit zu zeigen, dass nicht einfach blind gerettet wird. Dann stellte ich fest, dass sich ab jenem Moment, als das Haus Lehman unterging, die Krise unglaublich verschärfte. Lehman war «too interconnected to fail, too big to fail».

Willkommen in der grossen Krise des Kapitalismus.
Es besteht überhaupt kein Grund, von einer fundamentalen Krise des Systems zu reden. Die jetzige Krise zeigt, dass das System dank seiner Offenheit und seiner Innovationsträchtigkeit mit vielen Risiken verbunden ist. Totale Stabilität bedeutet totalen Stillstand. Fortschritt bedeutet Risiko.

Der Crash wird die Risikofreudigkeit schmälern.
Es ist wohl so, dass die Akzeptanz für dieses System, und das ist in einer Demokratie zentral, schwächer wird. Und zwar, weil viele Leute den aus meiner Sicht falschen Schluss ziehen, dass zu viel Markt zu dieser Krise geführt hat und dass weniger Markt diese Krise hätte verhindern können.

Sie sehen das anders?
Diese Kritik ist undifferenziert und populistisch. Die Finanzmärkte sind ein besonders stark staatlich regulierter Teil der Wirtschaft, die Aufsichtsbehörden sahen die Entwicklungen nicht kommen. Am Anfang stand eine staatliche Geldpolitik, die zu Übertreibungen und Unvernunft eingeladen hat.

Halten Sie auch die Kritik an den Managerlöhnen für populistisch?
Teilweise ja – und eben auch für zu wenig analytisch. Tatsächlich gibt es einen Verteilkampf zwischen Kapital und Management. Wo das Management zu hohe Löhne bezieht, geschieht dies zulasten des Kapitals. Deshalb muss man fragen: Wo bleibt der Aufstand der Aktionäre? Das ist doch kein gesellschaftliches Problem, sondern hauptsächlich ein firmeninternes Problem. Das gesellschaftliche Problem der Verteilung wird meiner Meinung nach auf der Steuerebene gelöst. Dass im Management viel schiefgelaufen ist, hilft nicht unbedingt der Akzeptanz 
des Systems.

Sie haben einen exklusiven Freundeskreis, zu dem auch Topmanager Joe Ackermann, Chef der Deutschen Bank, gehört.
Enge Freunde habe ich nur wenige. Ich bin zurückhaltend mit der Bezeichnung «Freund». Aber wer in St. Gallen studiert hat, hat in einem gewissen Alter natürlich einige gute Bekannte in Managementkreisen. Joe Ackermann ist sicher einer jener Bekannten, die ich etwas besser kenne. Ich war aber noch nie bei ihm daheim.

Wie geht es ihm?
Ich habe eine hohe Meinung von ihm. Ich halte ihn für jemanden, der ernsthaft über Dinge nachdenkt. Ich halte ihn auch für jemanden, der auf dem Boden geblieben ist. Sie sagen jetzt womöglich, diese Manager sind doch alle ... Aber ich glaube, dass es auch hier Unterschiede gibt.

Manager sind alle was?
Abgehoben? Realitätsfremd? Was Sie als WOZ-Journalisten denken mögen. Aber ich sage Ihnen: Nicht alle sind so. Wenn Sie als Arzt ständig um Kranke herum sind, stumpft einen das ja auch irgendwie ab. Jeder ist geprägt von seiner Stellung und seiner Funktion. Aber insgesamt halte ich Joe Ackermann für einen sehr sensiblen Menschen.

Der «Spiegel» hat geschrieben, keiner habe sich 2008 in seinen Prognosen derart geirrt wie Ackermann.
Ihm ist wohl das passiert, was vielen passiert, und ich hoffe, es passiert mir nun nicht mit Ihnen: dass man falsch zitiert wird.

Ackermanns berühmtes Zitat «Ich würde mich schämen, Staatshilfe anzunehmen» war ein Falschzitat?
Es ist nicht die Frage, ob er es gesagt hat, sondern in welchem Kontext. Es wurde womöglich aus dem Kontext gerissen. Fehlurteile machen wir alle. Die Schweiz ist manchmal zu perfektionistisch, zu wenig offen gegenüber Fehlern.

Fehlern wie jenen, die zur Finanzkrise führten?
Fehler gehören zum Menschsein.

Gerhard Schwarz, 57, arbeitet seit 1981 bei der «Neuen Zürcher Zeitung». Er leitet das Ressort Wirtschaft und ist stellvertretender Chefredaktor.