Durch den Monat mit Gerhard Schwarz (Teil 2): Im Jenseits?
WOZ: Herr Schwarz, die Idee des Nachtwächterstaats ist am Ende ...
Gerhard Schwarz: Nachtwächterstaat? Was ist das? Das ist doch ein Schlagwort. Wer fordert schon so ein System – ich jedenfalls nicht. Künftig wird es politisch wohl ohnehin nicht in diese Richtung gehen. Das gehört zu meinem Bild der Welt: Es gibt Pendelschläge. Möglicherweise, ich würde sagen, bedauerlicherweise, schlägt das Pendel jetzt wieder mehr in Richtung Staatsintervention, bis man dann irgendwann draufkommt, dass das noch schlechter funktioniert.
Noch schlechter? Wo gibt es denn das Gute?
Im Jenseits.
Im Jenseits?
Ich bin kein Anhänger von Nirvanatheorien. Wenn ich für liberale Lösungen eintrete, dann nie in der Auffassung, dass das eine Lösung ist, die keine Nachteile hat, sondern immer nur Second oder Third Best. Das ist wie mit der Demokratie: Die anderen Formen sind noch schlechter. Ich habe auch kein aszendentes Weltbild, in dem sich die Menschheit immer weiter nach oben bewegt, bis dann das Paradies auf Erden stattfindet.
In Ihrem Jahreskommentar zu 2007 schrieben Sie in der NZZ, Krisen seien so gewiss wie das Amen in der Kirche. Auch vergangene Woche wirkten Sie – trotz Krise – sehr selbstsicher.
Krisen gehören zu einem offenen System. Daran hat sich nichts geändert. Ich würde die Aussage ähnlich wiederholen wie vor einem Jahr. Ob ich in anderen Punkten genauso sicher wäre, ist eine andere Frage.
Wo weniger?
Good Question. Die Dimension der Krise habe ich mir vor einem Jahr nicht so drastisch ausgemalt. Ich hatte lange das Gefühl, dass es eine unter vielen Krisen ist. Und jetzt glaube ich, dass es eine zweite Weltwirtschaftskrise ist.
Sassen Sie vor dem Christbaum und dachten: Mein Gott, was kommt als Nächstes? Auch was Ihre persönlichen Finanzen betrifft?
Nein. Natürlich beschäftigt einen die Zukunft, aber ich neige nicht zu Zukunftsangst. Und was die persönliche Situation angeht: Ich habe neben festverzinslichen diverse Fonds-Papiere; die sind jetzt weniger wert. Aber ich habe nicht auf Risiko gesetzt. Da hält sich der Schaden in Grenzen. In der Wirtschaftsredaktion hatten wir natürlich viel zu tun. Und die NZZ ist selbst in eine schwierige Situation geraten. Mir ist das in meiner Rolle als Mitglied der Chefredaktion sehr nahe gegangen.
Die NZZ plant ihr Korrespondentennetz abzubauen, ihr Herzstück ...
Ich finde den Schritt nicht gut, aber ich befürchte, dass er unvermeidlich ist.
Denken Sie die Krise eigentlich auch von der Theorie weg, ganz konkret runter bis zu den Arbeitslosen? Berühren Sie die Folgen der Krise direkt?
Ich glaube, dass ich bis dorthin denke. Das ist aber keine Erfahrungswirklichkeit, die mir sehr nahe ist. Alles andere wäre gelogen. Aber natürlich berührt einen das indirekt, über die Nachbarn, über die Kinder, irgendwo kommt man an diese Wirklichkeit, man erlebt sie allerdings nur begrenzt. Aber daran denken: bestimmt. Letztlich geht es um gar nichts anderes: Arbeitslosigkeit ist das zentrale Problem.
Jetzt springt der Staat ein. Konsequent wäre etwas anderes ...
Der Fall UBS zeigt eines der Dilemmata auf. In der Tat wäre das «Scheiternlassen» die letzte Konsequenz. Aber die Folgewirkung, das Risiko für die ganze Volkswirtschaft, wäre so gross, dass es unverantwortlich gewesen wäre. Das sagt mir mein Gefühl. Die Welt geht nie unter. Aber ein Konkurs der UBS wäre nicht verantwortbar gewesen. Ich hatte Streit mit radikaler liberalen Freunden, die sagten, es sei nicht konsequent, die UBS zu retten.
Die NZZ kann nicht auf Staatshilfe hoffen.
Sie wird uns trotzdem erhalten bleiben. Der Abbau des Korrespondentennetzes ist nicht gut, aber wir wollen nicht in Schönheit sterben. Also müssen wir etwas weniger schön sein und überleben.
FDP-Fraktionschefin Gabi Huber fordert angesichts der Krise Einsicht.
Ich bin nicht Mitglied der FDP, wenn Sie darauf abzielen.
Muss man als NZZ-Redaktor denn nicht FDP-Mitglied sein?
Das ist ein Gerücht. Und wie so viele ein falsches. Ich bin jetzt langsam ein alter Hase, seit 28 Jahren bei dieser Zeitung, und ich war noch nie Mitglied. Ich wäre ungeeignet als Parteimitglied. In jeder Partei.
Sind Sie einsichtig, Herr Schwarz, so wie es Frau Huber fordert?
Einsicht – das ist ein politisches Schlagwort. Wir verstehen heute manches besser als vor drei Jahren, wir haben womöglich Bücher über die grosse Depression gelesen, aber selbst erlebt haben wir sie nicht. Und wir ziehen unterschiedliche Schlüsse aus dieser Krise. Aber klar: Wer durch die Krise nicht gelernt hat, ja, der kann einem leidtun.
Gerhard Schwarz, 57, arbeitet seit 1981 bei der «Neuen Zürcher Zeitung». Er leitet das Ressort Wirtschaft und ist stellvertretender Chefredaktor.