Durch den Monat mit Gerhard Schwarz (Teil 4): Wef mit Zielkonflikt?
WOZ: Vertrauen ist für eine Marktwirtschaft zentral – heute ist es weg. Deprimiert Sie das als Liberalen?
Gerhard Schwarz: Ohne Vertrauen wird alles teurer. Eine Gesellschaft mit Vertrauen ist effizienter. Ohne Vertrauen brauchen Sie Regeln, Verträge, Sanktionen, zusätzlichen Aufwand. Vertrauen erspart unglaublich viel, auch unglaublich viele Juristen.
Liegt nicht im Wettkampf ums immer Billigere ein grundsätzliches Problem? Wir sind konfrontiert mit Gleichschaltung, Anonymität. Die Innenstädte werden leerer, am Stadtrand stehen Konsumtempel, und wenn wir ein Problem haben, telefonieren wir mit einem Callcenter.
Diese Entwicklung kommt meinem eigenen Lebensgefühl nicht entgegen. Ich kaufe lieber in der Innenstadt ein als im Shoppingcenter. Es gibt aber auch in der Grossgesellschaft Ersatz für das Vertrauen in ein Gegenüber. Dieser Ersatz sind Institutionen, Marken, Bewertungen – bei Restaurants etwa Gault Millau. Da verlassen Sie sich in einer fremden Stadt auf die Bewerter. Marken sind zwar anonym, aber ein funktionstüchtiger Ersatz für das Vertrauen in Menschen.
Aber viele dieser Marken brechen zusammen.
Dass etwa das Vertrauen in eine UBS, in eine CS erschüttert ist, verloren gegangen ist, ist ein grosses Problem.
Man wird das Gefühl nicht los, dass alles immer flacher, gleicher wird. Beispiel Medien: Wo gibt es noch unabhängige Lokalzeitungen? Stört Sie das eigentlich, dass die Konkurrentin in Zürich, die Tamedia, viel härter, aggressiver, erfolgreicher geschäftet als die NZZ?
Das stört mich natürlich als Angehörigen der NZZ, aber Wettbewerb ist Wettbewerb. Wenn die einen erfolgreicher sind, müssen wir uns mehr anstrengen.
Die NZZ wird immer dünner.
Wie alle anderen Zeitungen auch. Es wird immer weniger inseriert, das redaktionelle Angebot auch.
Wie plant die NZZ, im Spiel zu bleiben?
Wir versuchen, uns an gewisse Trends anzupassen, aber uns nicht zu fest anzupassen, denn wenn wir uns nicht unterscheiden, sind wir verloren. Es ist eine Gratwanderung.
So wie «NZZ kompakt»?
Das haben wir ja jetzt aufgegeben. Es gibt viele Leute, die das sehr bedauern. Ich zählte es nicht zu unseren besten Innovationen.
Was zählen Sie zu den besten?
Jetzt muss ich aufpassen, dass ich nicht jene erwähne, die ich selbst umgesetzt habe.
Was setzten Sie denn um?
Etwa die «Reflexe» im Wirtschaftsteil, diese kurzen, kommentierenden, reflektierenden Texte. Die kommen sehr gut an. Wir haben auch eine bessere Ordnung im Wirtschaftsteil eingeführt, Aktualität und Hintergrund etwa sind klarer getrennt.
Wie sieht die NZZ in einem
Jahr aus?
Das weiss ich nicht.
Eine Einbundzeitung, wie
man hört?
Wir sind noch nicht so weit, konkret zu werden. Nicht, dass ich es Ihnen sagen würde, wenn ich es wüsste. Aber ich weiss es wirklich nicht.
Die «Alte Tante» ist in Bewegung.
Sie war immer mehr in Bewegung, als man von aussen meinte. Bewegung ist ja nicht bloss das, was man mit einem Redesign-Paukenschlag präsentiert, wir passten uns laufend an. Allein der Wirtschaftsteil ist ein Sammelsurium schleichender Erneuerung. Wir wollen mit der Zeit gehen, aber die Leser nicht verunsichern.
Jetzt haben wir ganz vergessen, über das World Economic Forum zu reden. Sie sind seit langem einer der Hauptberichterstatter aus Davos. Hat das Wef, das sozialer Anlass und hartes Businessmeeting zugleich sein soll, eigentlich keinen Zielkonflikt?
Ich bin seit je der Meinung, dass 95 Prozent der Leute, die teilnehmen, sich und das Wef überschätzen. Diese Leute haben offenbar das Gefühl, sie könnten hier wahnsinnig viel verändern. Vieles ist sicher gut gemeint. Klaus Schwab hat eine sehr idealistische Seite, die ihn an das Motto «Improving the state of the world» glauben lässt. Aber letztlich ist das Wef ein grosses Welttheater. Trotzdem finde ich es gut, dass es in der Schweiz stattfindet: tolles Networking zu einem günstigen Preis, Werbung, Belebung. Für den Standort Schweiz ist das Wef ein Superevent.
Ein Event der schönen Worte ...
... und der nicht so grossartigen Taten. Es schaut nicht so viel heraus, weder wirtschaftlich noch politisch, wie Befürworter und Gegner des Wef meinen.
Gerhard Schwarz (57) arbeitet seit 1981 bei der «Neuen Zürcher Zeitung». Er leitet das Ressort Wirtschaft und ist stellvertretender Chefredaktor.