Bilaterale: Die Europa-Guillotine

Nr. 3 –

Am 8. Februar stimmen wir ab, ob die Personenfreizügigkeit auf Rumänien und Bulgarien ausgedehnt werden soll. Ein Nein wäre schrecklich - aber nicht nur.


Was wäre, wenn . . .? Wenn die Vorlage am 8. Februar abstürzte, die Personenfreizügigkeit nicht auf Rumänien und Bulgarien ausgeweitet und die SVP vor Stolz überschnappen würde? Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände sich gegenseitig trösten müssten? Es ist schon hart, einer Meinung zu sein, aber miteinander unterzugehen, wäre geradezu brutal . . . Was wäre dann?

Die Schweiz stünde da, wie die SVP sie haben wollte. Frei, so frei im Sinne von Janis Joplins «freedom is just another word for nothing left to lose». Ausser unserer Freiheit hätten wir nicht mehr viel zu verlieren, das zumindest lässt EU-Botschafter Michael Reiter uns wissen. Nicht, dass er drohen würde, er stellt nur fest: Sage die Schweiz Nein, tue sie das bewusst. Und dann, sagt er, träten automatisch nach sechs Monaten die anderen bilateralen Verträge ausser Kraft. Die EU muss gar nichts machen. Das passiert einfach, knallt runter wie das Messer einer Guillotine, darum heisst das auch Guillotine-Klausel.

Kein Mensch legt sich freiwillig unter die Guillotine. Auch nicht die SP, die Grünen, der Schweizerische Gewerkschaftsbund, nicht die Economiesuisse, nicht die FDP oder die CVP. Einmütig rechnen sie vor, was der gemeinsame Weg mit der EU gebracht hat: Zwei Drittel unserer Exporte gehen in die EU, das bringt uns 130 Milliarden Franken im Jahr, was fast einem Viertel des Schweizer Bruttoinlandsproduktes entspricht. Fielen die bilateralen Verträge, sänken die Löhne, Arbeitsplätze würden in die EU verlagert, es ginge uns definitiv und garantiert schlechter. Deshalb sind sie alle für ein Ja, sogar der liebe Gott, zumindest jener der katholischen Kirche.

Imitierte Demokratie

Dennoch geht die Angst um, dass es zum Ja nicht reicht. Dass da zu viele sind, die der SVP folgen und ein Nein in die Urne legen werden. Ihretwegen muss man darüber reden, wie kriminell Rumänen oder Bulgarinnen sind oder eben nicht sind. Ihretwegen muss man sich fragen: Was wäre, wenn . . .? Es wäre Zeit zum Auswandern. Aber vielleicht wäre es auch Zeit zu fragen, was eigentlich in den letzten sechzehn Jahren passiert ist, seit jenem 6. Dezember 1992, als der Beitritt zum EWR abgelehnt wurde.

Offiziell nennt sich diese Epoche «Der bilaterale Weg». Ritualisiert lässt ihn die Regierung an der Urne absegnen, präsentiert riesige Abstimmungspakete mit Titeln wie Bilaterale I, Bilaterale II, Schengen/Dublin, Personenfreizügigkeit, Erweiterte Personenfreizügigkeit und so weiter. Gewöhnliche Leute haben die Verträge weder gelesen noch verstanden. Trotzdem haben wir eine Meinung, gehen an die Urne und imitieren klaglos Demokratie. Das Spiel nennt sich «autonomer Nachvollzug», derweil es darin nicht viel Autonomie gibt. Dieses Land tut nur so - als ob es das Verhältnis mit der EU souverän gestalten könnte, als ob die Regierung von einem Land mit sieben Millionen Menschen mit einem Gebilde von 500 Millionen Menschen auf derselben Augenhöhe verhandeln könnte.

Am Ende des lähmenden Wegs

Unzählige EU-Rechtsvorschriften werden einfach übernommen, weil wir isoliert nicht wirtschaften können. Selbst die Häute der Cervelat müssen EU-Normen entsprechen, sonst stirbt die Wurst aus. Das ist kein Elend, das ist Realität. Ein Elend ist nur, dass als Autonomie verkauft wird, wo keine Souveränität mehr drin ist.

Die ritualisierten Abstimmungen darüber machen es nicht besser. Sie bringen uns höchstens in Teufels Küche, weil die Scharade vor Abstimmungen offensichtlich wird. Oder wie es Economiesuisse-Ökonom Rudolf Minsch ausdrückte: «Nach einem Nein auf den Knien als Bittstellerin in Brüssel um Neuverhandlungen zu betteln, ist sicher nicht im Interesse der Schweiz.»

Wir stimmen also über etwas ab, über das wir lieber nicht abstimmen würden, weil uns die Folgen demütigen könnten. Trotzdem tun wir es, um direkte Demokratie zu spielen. Das lässt sich erdulden. Fast nicht zu erdulden ist die Folge: Jede dieser Abstimmungen gerät zum Rummelplatz der SVP. Sie inszeniert übermütig ihre rassistischen Spektakel, denn dem rechten Populismus sind alle bilateralen Vorlagen willkommen.

Deshalb sei nochmals die Frage gestellt: Was wäre, wenn . . .?

Wenn tatsächlich am 9. August die Guillotine fiele, sähe sofort alles anders aus in diesem Land. Endlich müssten alle darüber reden, worum es wirklich geht: Wir und die EU - wollen wir weiterhin aus der Ferne zuschauen und so tun, als ob wir Regeln bestimmten, die andere schon lange festgelegt haben? Oder wollen wir endlich mitmachen in diesem Gebilde, in dem wir ohnehin mittendrin sitzen?

Das ist kein Aufruf, am 8. Februar ein Nein einzulegen. Eine falsche Antwort auf eine falsche Frage rückt nichts zurecht.

Aber vielleicht sind die andern, die einen an den Rand des Auswanderns bringen, vielleicht sind sie am 8. Februar tatsächlich in der Mehrheit. Das wäre unerfreulich - aber vielleicht auch der Anfang vom Ende des lähmenden bilateralen Weges, der uns zu Gefangenen der SVP macht. Zwangsläufig käme Bewegung in die EU-Beitritts-Debatte. Nach sechzehn Jahren Wachkoma begänne sich dieses Land wieder zu regen. Man könnte und müsste über Europa reden. Endlich.