Argentinien: Hausgemachte Dürre

Nr. 10 –

Zu geringe Ernte, noch immer kein Regen in Sicht und Kühe ohne Kälber: Ein neues Bewusstsein für die Zusammenhänge zwischen Dürre, Abholzung und Monokulturen ist dringend nötig.

Ausgemergelte Rinderkadaver vertrocknen in der flirrenden Hitze der Pampa und werden von Staub bedeckt. Seit Monaten herrscht in Argentinien eine extreme Trockenheit. Fachleute sprechen von der schlimmsten Dürre seit siebzig Jahren. Vor allem die landwirtschaftlich wichtigen Provinzen Buenos Aires, La Pampa, Córdoba, Santa Fe und Entre Ríos sind davon betroffen. So regnete es in der Provinz Buenos Aires nur die Hälfte der sonst üblichen Menge, im Süden derselben Provinz gingen die Niederschläge gar auf ein Drittel zurück.
Der finanzielle Verlust wegen der Dürre wird gegenwärtig auf rund acht Milliarden Franken geschätzt. Und er steigt täglich weiter. Ende Januar hatte Präsidentin Cristina Kirchner den landwirtschaftlichen Notstand verhängt und damit die LandwirtInnen in den am schwersten betroffenen Provinzen von der Steuer befreit. Kurz zuvor hatte die Regierung bereits für sechs Monate das Mindestgewicht von Schlachtvieh heruntergesetzt, um die strapazierten Weiden zu entlasten.
Über eine Millionen Rinder sind bisher auf den öden Weiden verhungert oder verdurstet. Rund vier Millionen mussten wegen Futtermangel notgeschlachtet werden. Die Mais- und Weizenernte ist eingebrochen. Mit acht Millionen Tonnen Weizen bei der Ernte 2009 wurde nur die Hälfte der Menge des Vorjahres eingefahren. Für die Maisernte sagen die LandwirtInnen lediglich 15,5 Millionen Tonnen voraus. In der Saison zuvor waren es noch 22 Millionen Tonnen. Auch die Prognosen für Soja stehen schlecht. Statt der erwarteten fünfzig Millionen Tonnen Soja­bohnen werden rund zehn Millionen Tonnen weniger geerntet werden.

Noch keine Hungersnot

Alfredo Rodes führt einen 600 Hektar grossen Betrieb im Norden der Provinz Buenos Aires. In dieser Region wird viel Soja angebaut. Normalerweise liegt der Ertrag bei rund 4000 Kilo pro Hektar. «Doch diesmal werden wir nicht über 2500 Kilo pro Hektar bekommen», schätzt er. «Mais hatten wir zum Glück wenig angebaut. Was davon bleibt, geht alles ins Viehfutter.»
Alberto Frola bewirtschaftet 500 Hektar im Norden der Provinz La Pampa. «Im Dezember hatte es in unserer Gegend noch viel geregnet. Im Januar dann gar nicht mehr. Den Mais haben wir ganz verloren, die Sonnenblumenernte bringt nur ein Drittel der üblichen Menge, und auch die Sojapflanzen leiden unter der Trockenheit.» Noch kommt Frola mit den Verlusten klar, von seinen Rindern hat er bisher nur wenige verloren. Doch wenn es in den kommenden Monaten nicht kräftig regnet, wird sich seine Situation verschlechtern. «Erst verliert man die Ernte und dann das Vieh.»
Die beiden Landwirte gehören dem mächtigen Dachverband der landwirtschaftlichen Vereinigungen in den Provinzen Buenos Aires und La Pampa (Carbap) an. In den beiden Provinzen grast die Hälfte der 52 Millionen argentinischen Rinder. Alfredo Rodes ist Exekutivdirektor, Alberto Frola erster Vizepräsident des Carbap.
Die heutige Situation sei jedoch besser zu meistern als die Jahrhundertdürre vor fünfzig Jahren, so Rodes. «Es gibt Verluste, aber wir haben keine Hungersnot.» Von den acht Millionen Tonnen Weizen braucht das Land nur fünf Millionen für den Eigenbedarf, der Rest wird exportiert. Auch der Verlust der über fünf Millionen Rinder wegen der Dürre ist nicht das Problem.

Gentech-Soja verdrängt alles

Sorgen machen den LandwirtInnen die Langzeitfolgen, die in die bisherigen Verluste gar nicht eingerechnet werden können. So die fehlenden Kälber, weil die Kühe heute an Untergewicht leiden und nicht trächtig werden können. Hier reisst eine Kette, die nicht mit ein bisschen mehr Regen wieder geschlossen werden kann. ExpertInnen schätzen, dass Argentinien mit seinem hohen Eigenkonsum an Fleisch schon im Jahr 2011 Fleisch importieren muss.
Die Pampa Húmeda erstreckt sich auf rund 600 000 Quadratkilometern (rund fünfzehnmal die Fläche der Schweiz) über die Provinzen Buenos Aires, Santa Fe, Córdoba und La Pampa. Vor zwanzig Jahren gab es hier fast nur Viehzucht. Die wurde jedoch zum Grossteil in andere Gebiete verdrängt. Wo früher Weidewirtschaft war, wachsen heute Sojabohnen. «Mit der Gentech-Soja hat dies eine immense Beschleunigung erfahren, denn plötzlich war der Anbau in Gegenden möglich, in denen er zuvor undenkbar war», sagt Juan Luis Díaz. In Argentinien wird fast ausschliesslich genveränderte Soja angebaut.
Díaz amtet als Exekutivdirektor bei Fundapaz, der Stiftung für Entwicklung in Frieden und Gerechtigkeit. Er wirft einen ganz anderen Blick auf die Dürre. Fundapaz kümmert sich vor allem um die kleinbäuerlichen Betriebe und kritisiert seit Jahren die Ausbreitung der Weiden und Sojafelder. In Argentinien ist die Anbaufläche für Sojabohnen 2008 auf die Rekordhöhe von 169 000 Quadratkilometern (rund viermal die Fläche der Schweiz) gestiegen. Der Anteil der Sojafelder macht damit knapp über fünfzig Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche des Landes aus. 1996 waren es noch 67 000 Quadratkilometer.

Siebzig Prozent der Wälder

Vor allem die Waldflächen leiden unter dem Sojaanbau. Zunächst wird für die Viehzucht gerodet, später wird das Land mitunter auch für den Ackerbau verwendet. Vergleicht man die Satellitenbilder der letzten zwei Jahrzehnte, lässt sich das Verschwinden der Wälder eindeutig feststellen, vor allem im Norden des Landes. So hat Argentinien in den vergangenen siebzig Jahren rund siebzig Prozent seines Waldbestandes eingebüsst.
Allein in der Provinz Santa Fe sind in den letzten fünfzehn Jahren eine Million Hektar Wald abgeholzt und in Weide- und Ackerland verwandelt worden. Gleichzeitig sind die Niederschläge in den vergangenen Jahren auf ein Drittel gesunken. Das Verschwinden der Bäume hat zu einer Änderung des Mikroklimas geführt. Ohne eine schützende Vegetationsdecke ist der Boden zudem der Erosion durch Regen und Wind ausgesetzt, er verhärtet sich, wodurch die Niederschläge nicht mehr versickern können – grosse Überschwemmungen sind die Folge.
Doch das Verschwinden der Wälder scheint für die LandwirtInnen vom Carbap weniger ein Problem zu sein: «Die Trockenheit ist ein natürliches Risiko der Landwirte», sagt Alberto Frola. Die Dürre sei vor allem eine Folge des Wetterphänomens La Niña.

Kuschen vor dem Bauernverband

Stärker als die Folgen der Dürre erregt die LandwirtInnen die Folgen der Politik der Regierung von Präsidentin Cristina Kirchner. Diese hatte im vergangenen Jahr zu einer harten Ausein­andersetzung zwischen den Agrarverbänden und der Regierung geführt. Auf die Erhöhung der Exportsteuer für Agrarprodukte im März 2008 reagierten die LandwirtInnen mit Streiks, Blockaden und Protesten. Im Juli musste die Regierung die Massnahme wieder zurücknehmen.
Nun gärt es wieder auf dem Land. Einmal mehr geht es um die Exportsteuer, aber auch die von der Regierung niedrig gehaltenen Getreide- und Fleischpreise und die Exportbeschränkungen machen den LandwirtInnen stark zu schaffen.
Am 24. Februar haben sich RegierungsvertreterInnen und die Spitzen der Bauernverbände erstmals seit Juli 2008 wieder zu direkten Gesprächen getroffen. Zuvor hatten die Landwirt­Innen einen fünftägigen Liefer- und Transportstopp für verschiedene Agrarprodukte und Vieh beendet und so der Regierung ihre Stärke demonstriert.
Landesweit hatten sich rund 250 000 BäuerInnen am Ausstand beteiligt. Unter anderem forderten sie eine weitere Absenkung der Exportsteuer bei Getreide und Ölsaaten wie Sojabohnen und Sonnenblumenkernen. Im Bundesstaat Entre Ríos hatten aufgebrachte LandwirtInnen eine Bankfiliale besetzt, um die von der Regierung zugesagten zinsgünstigen Kredite einzufordern.
Nach dem ersten Treffen ­kündigte die Regierung ein ­Massnahmenpaket in ­Höhe von knapp 440 Millionen Franken für die von der Dürre betroffenen Betriebe an. Auch eine Exportsteuersenkung ist nicht ausgeschlossen. «Wir sind bereit, die Steuern zu senken, aber man muss sagen, welcher gesellschaftliche Bereich dafür geradestehen soll. Zurzeit sind wir nicht mal in der Lage, den Lehrern eine Lohn­erhöhung zu zahlen oder die Renten anzuheben», so Innenminister Florencio Randazzo. Tatsächlich sind die BäuerInnen wie auch der Staatshaushalt von sinkenden Weltmarktpreisen, vor allem für Soja, betroffen.
Die LandwirtInnen sind jedoch dieses Jahr im Vorteil. Eine erneute Auseinandersetzung käme der Regierung von Präsidentin Cristina Kirchner höchst ungelegen. Im Oktober stehen Kongresswahlen an und der Regierungspartei drohen heftige Stimmenverluste. Bis dahin wird die Regierung alles versuchen, die Lage im Land ruhig und stabil zu halten. Die Gesprächsrunde von Regierung und den Vorsitzenden der Bauernverbände soll in den kommenden Wochen fortgesetzt werden.
Die LandwirtInnen selbst glauben nicht, dass die Regierung eine substanzielle Änderung ihrer Agrarpolitik vornimmt. Die Basis der Agrarverbände und die sogenannten autonomen Landwirte (Autoconvocados) drängen darauf, die Protestmassnahmen weiterzuführen, um die Regierung damit zum Einlenken zu zwingen.

El Niño und La Niña: Die Schuldigen?

Bei den Wetterphänomenen El Niño und La Niña handelt es sich um Temperaturschwankungen des Oberflächenwassers im Ostpazifik. Beide haben grossen Einfluss auf die Wetterentwicklung der nord- und südamerikanischen Küste. La Niña folgt meist als Gegenbewegung zur Klimaanomalie El Niño und tritt – üblicherweise – wie diese etwa alle vier Jahre auf. Durch eine Abkühlung des Oberflächenwassers sorgt das La-Niña-Ereignis in einigen Gegenden für anhaltende Niederschläge und begünstigt das Auftreten von Hurrikanen, in anderen Regionen verursacht es eine extreme Trockenheit. Laut Drew Lerner, Präsident der US-Firma World Weather Inc., baut sich seit Mitte letzten Jahres bereits das zweite La-Niña-Ereignis auf. Es wird sich in den nächsten Monaten noch verstärken und länger als normal anhalten. Dies könne die Getreide- und Ölsaatenernte in ganz Nord- und Südamerika gefährden.