Sojaanbau in Argentinien: «Welches Land wollen wir?»
Auf riesigen Flächen wird in Argentinien Soja angebaut – ein Grossteil besteht aus gentechnisch veränderten Pflanzen. Doch der nationale Widerstand gegen den Anbau kommt nicht vom Fleck. Ein Aktivist der ersten Stunde erklärt, wieso.
«In Argentinien ist der Kampf gegen Soja verloren», sagt Jorge Rulli. «Das Sojamodell ist heute Teil der staatlichen Politik. Die ganze Opposition steht dahinter, die Agrarverbände sowieso. Ich kenne kein Staatsoberhaupt, das so gut vom US-Gentechkonzern Monsanto spricht wie Präsidentin Cristina Kirchner.»
Der 73-jährige Jorge Rulli ist einer der ersten Kritiker des Sojaanbaus in Argentinien. Als er 1996 zusammen mit anderen anfing, sich mit Soja auseinanderzusetzen, waren sie noch auf grosses Interesse in der Bevölkerung gestossen. Aber da sich die ländliche Bevölkerung in jener Zeit stark verstädtert hatte, wandelten sich auch ihre Interessen und Anliegen. Die Stadtbevölkerung kümmern der Sojaanbau und seine Folgen nicht. Soja ist weit weg. Und dort, wo sie ist, leben nur noch wenige Menschen. «Das machte den Kampf gegen Soja immer schwerer», sagt Rulli.
Rulli lebt mit seiner Familie in Marcos Paz, einer ländlichen Kleinstadt rund fünfzig Kilometer von Buenos Aires entfernt. Sein Haus ist Mittelpunkt eines ökologisch angelegten Gartens. Rulli ist Mitgründer des Grupo de Reflexión Rural (GRR), der als Erster in den neunziger Jahren mit dem Kampf gegen den Einsatz von gentechnisch verändertem Saatgut (GVO) in Argentinien begann. Zu Beginn bestand die Gruppe vor allem aus AgronomInnen. Doch mit der Zeit traten auch Medizinerinnen und politische Aktivisten bei. «Wir sind polemisch und ein wenig fundamentalistisch», sagt Rulli über den GRR. «Aber wir sind auch ehrlich und aufrichtig und vertreten seit Jahren die gleiche Position. Deswegen wird der GRR respektiert.»
Schmuggel in die Nachbarstaaten
Die ersten Säcke mit Sojasaatgut waren in den frühen siebziger Jahren nach Argentinien gekommen. Damals sollte Soja, wie die Luzerne oder Hülsenfrüchte im Allgemeinen, den Stickstoff in den Boden zurückbringen. Aber mit Soja kam auch ein ganzes Paket von Agrarchemikalien – und in den neunziger Jahren dann GVO-Saatgut von Monsanto. Zwar streiten sich heute mehrere Saatgutanbieter um die Marktanteile, aber GVO-Saatgut dominiert fast vollständig den Anbau. Monsantos Saatgut mit dem Namen Roundup Ready ist perfekt abgestimmt auf die Behandlung mit dem Herbizid Roundup – ebenfalls von Monsanto. Der Hauptbestandteil von Roundup ist das Herbizid Glyphosat, bei dem in einer Studie von 2009 erbgutschädigende Wirkung auf Embryonen von Amphibien nachgewiesen wurde (siehe WOZ Nr. 8/12 ). Dort, wo Roundup angewendet wird, sterben auch die Bakterien, die den Boden mit Stickstoff anreichern könnten. Und die behandelte Soja entzieht dem Boden viele Nährstoffe.
Vor diesem Hintergrund entstand 1997 der GRR. Seine Mitglieder stellten sich die Frage: Was für eine Landwirtschaft wollen wir? Fast alle waren damals Staatsangestellte. Auch Rulli war zeitweilig als Vorsitzender einer Kommission für Biodiversität beim Sekretariat für Landwirtschaft beschäftigt. Dieses hatte 1996 den Einsatz von Monsantos GVO-Sojasaatgut genehmigt.
Argentinien wurde Monsantos Testlabor und Brückenkopf. Eine widerspenstige Ökologiebewegung gab es hier nicht. Anders als in Europa hatte die Linke am Río de la Plata kein grünes Gedankengut aufgenommen. «Die Linke in Argentinien ist urban», sagt Rulli. «Und sie hat den unerschütterlichen Glauben an die befreiende Wirkung der Technik.» Die Idee einer industrialisierten Landwirtschaft ist bei den meisten tief verwurzelt. Ein grosser Teil der argentinischen BiotechnologInnen kommt aus den linken Bewegungen. Und so gab es nur wenige, die wegen gentechnisch manipulierten Saatguts Gewissensbisse hatten.
Soja kommt, Menschen gehen
Das grosse Geschäft für den US-Konzern war jedoch weniger das Sojasaatgut als vielmehr der Absatz von Roundup. Das Saatgut war nur die Rechtfertigung dafür, den Verkauf voranzutreiben. «Für Monsanto war Argentinien ein grosses Experimentierfeld», erzählt Rulli. Deshalb habe der Konzern, anders als etwa in den USA oder Kanada, auch nie viel Aufhebens um die Weigerung der argentinischen ProduzentInnen gemacht, für die Patente auf das Saatgut zu bezahlen. «Das Geschäft für Monsanto war der Verkauf ihres Herbizids. Und das Kalkül, die Ausbreitung des GVO-Saatguts zu forcieren, indem es von Argentinien aus in die Nachbarstaaten Brasilien, Paraguay und Bolivien geschmuggelt wurde.» Dort war der Anbau noch verboten.
Mit dem Einzug von Soja auf den Feldern begann der Auszug der ländlichen Bevölkerung. «Das Sojamodell hat ganze Regionen entvölkert und die Menschen in die Peripherien der grossen Städte getrieben und damit in Hunger und Armut.» Für Rulli liegt darin die Ursache für das heutige System des staatlichen Assistenzialismus, der die Menschen zwar finanziell unterstützt, aber letztlich in Armut und Abhängigkeit belässt. Den Grundstein dafür legten die Piqueteros – die Arbeitslosen und EmpfängerInnen von Sozialplänen (die argentinische Variante von Sozialhilfe), die durch Strassenblockaden auf ihre Situation aufmerksam machten. Sie forderten die finanzielle Unterstützung der Armen in den Städten – statt deren Rückkehr aufs Land.
Auf dem Höhepunkt der grossen Wirtschaftskrise nach dem Staatsbankrott von 2001 verteilte die Regierung ab 2002 solche Sozialpläne vor allem an linke Basis- und Piqueterosorganisationen. Diese behielten einen Teil für sich und ihre Klientel. Den Rest verteilten sie an Leute, die zu ihren Veranstaltungen kommen mussten. Erstmals seit langem hatte die Linke so wieder genügend Leute, um sichtbar in Erscheinung zu treten und um mit eigenen Demonstrationen auf die Plaza de Mayo zu marschieren.
Vergleich mit Genozid
Regierung und Basisorganisationen sahen in der Soja bald ein Allheilmittel. Mit dem Geld aus den Sojaexporten unterhielten sie die durch Soja arbeitslos gewordenen Menschen – und machten zugleich Politik mit ihnen. «Für die Linke war und ist das grossartig. Die Armen sind Geiseln der Comedores, der argentinischen Variante der kostenlosen Volksküchen, und der Sozialpläne, die die Linke mit dem Einverständnis der Regierung verwaltet», so Rulli.
Mittlerweile mobilisiert die Linke in Argentinien ähnlich viele Leute wie der Peronismus, die landesweit dominante Parteibewegung, in der sich alle, wenn auch in verschiedenen Untergruppierungen, auf den 1974 verstorbenen Militär und früheren Präsidenten Juan Domingo Perón berufen. «Wir haben schon Anfang 2000 die Anführer der Piqueteros dafür kritisiert, dass sie mit ihren Forderungen nach Geld und Essen für die Arbeitslosen nur die Konsequenzen des Agrarmodells verschleiern und es nicht als Ursache von Landflucht und Armut begreifen wollen», sagt Rulli.
Bis vor einigen Jahren leitete Rulli die Kampagne Paren de Fumigar (Stoppt das Sprühen), an der sich neben dem GRR verschiedene andere Organisationen beteiligen. Mit ihr wird versucht, Öffentlichkeit herzustellen und zu verhindern, dass Agrochemikalien in der Umgebung von Siedlungen versprüht werden. Vor etwa sechs Jahren hatten die Mitglieder der Kampagne einen persönlichen Brief an Präsidentin Kirchner geschrieben und ihr einen 400 Seiten langen Bericht über die Folgen des Sojaanbaus beigelegt. Im Brief hatte Rulli geschrieben: «Die Verbrechen des Sojaagrarmodells kommen einem Genozid gleich. Ich bin mir sicher, dass diese in spätestens zwanzig Jahren Anlass für einen Prozess wegen Menschenrechtsverbrechen sein werden – so wie gegenwärtig Prozesse gegen die Repressoren der letzten Militärdiktatur stattfinden.»
Als einzige Reaktion habe sich danach eine Anzahl von Leuten aus der Regierung in die Kampagne eingemischt, erinnert sich Rulli. Er habe sich daraufhin mit den anderen ausgetauscht und gesagt: «Wenn wir schon bei der Präsidentin waren und von einem drohenden Genozid gesprochen haben, dann bleibt uns nicht mehr viel übrig.» Jetzt müssten Sabotageaktionen kommen, also Sachschaden angerichtet werden, so wie es in Europa passiere. «Sie sagten aber, dazu seien sie nicht bereit. Deshalb bin ich von der Leitung der Kampagne zurückgetreten.» In der Folge hätten sich die Mitglieder der Kampagne nur noch der Verteidigung von sprühfreien Zonen um die Städte gewidmet. «Für mich war das ein schwerer Rückschritt.»
Die Zukunft heisst Mais
Als sich vor einem Jahrzehnt das Sojamodell noch im Aufbau befand und in Argentinien auf etwa fünf Millionen Hektaren Soja wuchs, sei noch etwas zu machen gewesen, sagt Jorge Rulli. «Heute steht die Soja auf rund zwanzig Millionen Hektaren.» Aktionen, die vor Jahren noch subversiv waren und dem Sojamodell Einhalt gebieten sollten, dienen heute der Verfeinerung des Modells. So könnten die sprühfreien Zonen zwar tatsächlich bald in einigen Provinzen durchgesetzt werden – doch am Sojaanbaumodell ändert sich gar nichts. Es sei auch immer schwerer geworden, eine Debatte über Agrarfragen anzuschieben.
Dabei gäbe es durchaus Alternativen. So müsse mit den SojaproduzentInnen gesprochen und jene gewonnen werden, die wieder zu einem natürlicheren Anbau ohne Glyphosat zurückwollen. Das kann laut Rulli allerdings eine ganze Generation dauern. Dringender sei, den Sojaanbau in denjenigen Provinzen zu stoppen und zu verbieten, deren Ökosysteme durch das Sojamodell am verwundbarsten sind. Bei den anderen könnte der Sojaanbau gestaffelt beendet werden und würde am besten zusammen mit Programmen zur Wiederaufforstung und zur lokalen Nahrungsmittelproduktion einhergehen. Zudem brauche es die Unterstützung nationaler Samenbanken, die andere Typen von Saatgut zur Verfügung stellen können.
Davon ist Argentinien weit entfernt. Rulli sieht gar eine ganz andere Entwicklung: «Heute geht es um den Mais.» Soja lauge die Böden zu sehr aus. Bei Mais ist das weniger der Fall. Entsprechend hat Monsanto bereits mit den Vorbereitungen für den Bau einer grossen Saatgutfabrik für Mais in der Provinz Córdoba begonnen. Es muss eine weitreichende politische Übereinkunft zwischen der Regierung und Monsanto geben, glaubt Rulli. «Es ist sehr wahrscheinlich, dass Monsanto irgendwann auf Mais wechselt – und so statt auf die Produktion von Agrodiesel auf die von Ethanol setzt.»
Denn Autos können mit reinem Ethanol fahren, während Agrodiesel immer beigemischt werden muss. Und: Da das Land seit einigen Jahren Treibstoff importieren muss, um den nationalen Bedarf zu decken, wäre eine zukünftige Ethanolproduktion weniger für den Export bestimmt als vielmehr für den heimischen Verbrauch.
Die entscheidende Frage, so Rulli: «Wollen wir ein Land der Soja oder des Agrodiesels? Oder wollen wir ein Land, das wieder gesunde Lebensmittel produziert?»
Fakten und Zahlen zur Soja : 30 Millionen Liter Chemikalien
Argentinien ist im vergangenen Jahrzehnt zum weltweit drittgrössten Sojabohnenproduzenten und -exporteur aufgestiegen. In der Saison 2010/11 erzielten die argentinischen FarmerInnen eine Rekordernte von 54 Millionen Tonnen Sojabohnen. Nach dem gegenwärtigen Preis an der Chicagoer Börse von rund 525 US-Dollar für eine Tonne Soja stellt die Ernte einen Wert von 28,35 Milliarden US-Dollar dar, wovon knapp 10 Milliarden als Exportsteuer in den Staatshaushalt fliessen würden. Die Sojaanbaufläche stieg von 6,7 Millionen im Jahr 1996 auf 19 Millionen Hektaren in der Saison 2009/10 und damit auf 57 Prozent der für Getreide- und Ölsaaten genutzten Fläche Argentiniens.
Von den 2011 weltweit hergestellten 21,4 Milliarden Litern «Bio»-Diesel entfielen 2,8 Milliarden Liter auf Argentinien. Das bedeutet Platz drei hinter den USA und Deutschland. Gegenwärtig sind in Argentinien zwölf Raffinerien in Betrieb. Sie stehen fast ausschliesslich im Grossraum der Stadt Rosario am Río Paraná. Bereits heute wird dort die Hälfte des argentinischen Sojaöls zu Treibstoff weiterverarbeitet. Die Herstellung von Ethanol spielt in Argentinien keine Rolle.
Der Erfolg der argentinischen Agrarwirtschaft beruht auf der Direktaussaat, bei der genetisch verändertes (GVO) Saatgut unmittelbar eingepflanzt wird, ohne zuvor die Ackerfläche umzugraben. Das spart Wasser und vor allem Arbeitskräfte. Die Anbaufläche muss jedoch bis zu dreimal pro Wachstumszyklus von Unkraut befreit werden. Dafür wird das Herbizid Glyphosat eingesetzt, das alles vernichtet, gegen das aber das GVO-Saatgut für Soja, Mais und Weizen resistent ist.
Nach Aussage des Mediziners Medardo Avila von der Gruppe «Mediziner aus besprühten Orten» leben rund zwölf Millionen Menschen in Orten, die von riesigen Soja- und Maisfeldern umgeben sind. Der gesamte Einsatz von Agrarchemikalien sei in Argentinien von 30 Millionen Litern im Jahr 1990 auf 370 Millionen Liter im Jahr 2011 gestiegen. Davon sind knapp 70 Prozent Glyphosat.
Im August 2012 wurden in Argentinien zum ersten Mal ein Sojaproduzent sowie der Eigentümer eines Kleinflugzeugs zu jeweils drei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Sie hatten bei der Besprühung der Felder aus der Luft in der Nähe eines Wohngebiets vorsätzlich gegen gesetzliche Bestimmungen verstossen. Bei den Sprüheinsätzen in der Nähe von Ituzaingó, einem Ortsteil der zentralargentinischen Stadt Córdoba, wurden nachweislich das Herbizid Glyphosat und das Insektizid Endosulfan ausgebracht. Untersuchungen zufolge liegt die Krebsrate in Ituzaingó, das von Sojafeldern umgeben ist, deutlich über dem Landesdurchschnitt.
Jürgen Vogt