Argentinien: Scheppernde Kochtöpfe

Nr. 27 –

Seit die Regierung die Abgaben auf Agrarexporte massiv erhöhte, haben die kleinen und grossen AgrarproduzentInnen ein gemeinsames Ziel: «Basta Cristina».

«Hätten sie sie nur um ein paar Prozentpunkte erhöht, wäre nichts passiert», ist sich Manuel Mimbros sicher, als er über die Entscheidung der argentinischen Regierung spricht, die Exportabgaben auf Soja und andere Agrarprodukte weiter anzuheben. «Aber zehn Tage vor der Ernte von 35 Prozent auf 44 Prozent aufzuschlagen, das geht nicht.» Um dagegen zu protestieren, steht der Landwirt vor dem Kongressgebäude in der Hauptstadt Buenos Aires. Unter der Woche arbeitet der 55-Jährige auf einem Grossbetrieb, am Wochenende bestellt er sein eigenes kleines Feld. «Was ich ernte, verkaufe ich an die lokale Kooperative. Da bekommst du keine Weltmarktpreise.»

Seit dreieinhalb Monaten laufen die argentinischen LandwirtInnen Sturm. Die ProduzentInnen stört vor allem, dass die Abgaben automatisch angepasst werden sollen: Je höher der Weltmarktpreis, desto höher die Abgaben. Das hatte die Regierung von Präsidentin Cristina Kirchner im März beschlossen.

Argentiniens Agrarindustrie – und mit ihr der Staat – profitiert seit einigen Jahren von den guten Exporterlösen bei Weizen, Mais und Soja. Das Land mit seinen knapp 40 Millionen Einwohner­Innen produziert nach eigenen Angaben Nahrungsmittel für 300 Millionen Menschen. Dabei boomt vor allem der Anbau von Soja: 95 Prozent der Ernte werden exportiert, in erster Linie nach China, Indien und Europa. Im Mai 2003 lag der Weltmarktpreis für die Tonne Soja noch bei 225 US-Dollar – Anfang 2008 war er auf über 500 US-Dollar geklettert.

Zusammen gegen etwas

Auch dieses Jahr wird eine Rekord­ernte von rund 47 Millionen Tonnen Sojabohnen erwartet. Sechzig Prozent davon werden gerade mal von 2000 ProduzentInnen angebaut. Mit dem Sojaboom hat sich vieles verändert. Während es in Argentinien 1966 noch 600000 landwirtschaftliche ProduzentInnen gab, sind es laut Bauernverbänden im Jahr 2008 noch 250­ 000. Darunter befinden sich teilweise riesige Saatpools, die seit einigen Jahren einen Aufschwung erfahren.

Diese Saatpools funktionieren ähnlich wie Anlagefonds. InteressentInnen stellen einen Plan auf, was mit welcher voraussichtlichen Rendite und wo angebaut werden soll. Das Land dafür wird grösstenteils gepachtet. Dann werden InvestorInnen gesucht und Anteile verkauft. Die Anbaufläche für Soja beträgt heute knapp die Hälfte der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche Argentiniens. Dass dabei ausschliesslich gentechnisch veränderte Sojapflanzen angebaut werden, ist zumindest in Argentinien kein Thema.

Trotz aller Gegensätze haben sich im März nun die kleinen und mittleren landwirtschaftlichen Betriebe mit den Verbänden der GrossproduzentInnen und der Saatpools verbündet. Und zum ersten Mal in der argentinischen Geschichte riefen die grossen Agrarverbände sogar zum Streik gegen die Regierung. Ihre gemeinsame Forderung: keine Erhöhung der Exportsteuer.

Nach der ersten Protestwelle hatte die Regierung Ausgleichszahlungen für die kleinen und mittleren Produzent­Innen zugesagt. Doch niemand vertraut solchen Zusagen. Diese Zahlungen würden allesamt im Sumpf von Korruption und Vetternwirtschaft versickern, so die einhellige Meinung unter den Betroffenen. Die BäuerInnen können dabei auch auf eine breite Unterstützung der übrigen Landbevölkerung zählen. Sämtliche Exportabgaben fliessen in die Kasse der Zentralregierung – Provinzen und Kommunen müssen betteln, dass sie etwas abbekommen.

Für Argentiniens Regierung sind die Proteste einzig eine Kampagne der alten konservativen Agraroligarchie gegen ihre Verteilungspolitik und ein Versuch, der Präsidentin zu schaden. Die Aktionen der BäuerInnen bezeichnete Cristina Kirchner als «Blockaden des Überflusses». Sie hat stets verkündet, an der Erhöhung der Exportsteuer und an ihrer Umverteilungspolitik des Volkseinkommens festhalten zu wollen.

Die Regierung finanziert mit den Steuereinnahmen ein System aus Vereinbarungen und Subventionen für grosse Firmen und hält damit die Preise für die wichtigsten Grundnahrungsmittel niedrig. Das soll auch künftig so bleiben.

Bisher sind alle Verständigungsversuche zwischen den Agrarverbänden und der Regierung gescheitert. Zweimal hat der Konflikt zu erheblichen Versorgungsengpässen geführt. Im April hatten die LandwirtInnen drei Wochen lang die Transporte auf den Strassen kontrolliert. Keine landwirtschaftlichen Erzeugnisse sollten durchs Land rollen, kein Korn und keine Bohne die Exporthäfen erreichen. Das Vieh blieb auf der Weide. In den Supermärkten leerten sich die Regale. Fleisch wurde knapp und Frischmilch zur Mangelware.

Der ursprüngliche Streit zwischen einem Wirtschaftszweig und der Regierung hat inzwischen das ganze Land erfasst, auch wenn sich die Stadtbevölkerung noch in Geduld übt. Nur zweimal war es zu Protesten gekommen: Ende März trommelten Tausende enttäuschter Menschen in Buenos Aires vor dem Präsidentenpalast auf Kochtöpfe, um ihre Unterstützung für die Bäuer­Innen zu zeigen. Beim zweiten Mal Mitte Juni schepperten die Kochtöpfe schon lauter – und in allen grösseren Städten des Landes. Inzwischen haben auch die Mittel- und Oberschichten in den Städten den sturen und autoritären Führungsstil von Cristina Kirchner und ihrem Ehemann und Amtsvorgänger Néstor Kirchner satt. Mit den Losungen «Basta Cristina!» und «Dialog und Frieden» forderten Zehntausende die Präsidentin auf, dem Streit endlich ein Ende zu bereiten.

Kein Korn, keine Bohne

Wie schon nach dem ersten Kochtopfkonzert organisierte die Regierung vor zwei Wochen eine grosse Demonstration zur Unterstützung für die Präsidentin und ihre Politik. Vor rund 100 000 Menschen forderte Kirchner die LandwirtInnen auf, die Strassen frei zu machen. Und die Botschaft an die sozial Schwachen ist ebenfalls einfach: Mit den Exportabgaben ernähren wir unsere Kinder.

Seit Mitte Juni liegt die umstrittene Verordnung nun beim Kongress zur Abstimmung, die Agrarverbände haben ihre Blockaden vorerst eingestellt. Die Verordnung ist aber weiterhin in Kraft. Noch hält Kirchner daran fest, aber die Regierungsmehrheit in beiden Kammern bröckelt. So haben vierzig Delegierte schon verkündet, dass sie sich ohne wesentliche Änderungen der Verordnung in ihren Wahlkreisen nicht mehr sehen lassen könnten. Für den Landarbeiter und Kleinproduzenten Manuel Mimbros ist die Sache klar: «Die Regierung muss wieder runter auf 35 Prozent. Dann können wir in Ruhe über die nächste Ernte verhandeln.»