Sojaanbau in der Schweiz: Noch rechnet sich die Bohne nicht

Nr. 44 –

Soja macht oft negative Schlagzeilen, weil immer mehr Regenwald riesigen Gentech-Sojamonokulturen zum Opfer fällt. Dabei wäre Soja eigentlich eine ökologisch wertvolle Kulturpflanze.

Da ist jemand wütend am andern Ende der Leitung. Dabei war die Frage eigentlich recht unverfänglich: Wieso kann sich der Sojaanbau in der Schweiz nicht so recht durchsetzen? Der Landwirt am Telefon, nennen wir ihn Ackermann, will anonym bleiben, weil er Repressalien fürchtet. Seine kritischen Äusserungen hätten ihn schon manche Aufträge für Lohnarbeiten auf den Höfen anders denkender Kollegen gekostet. Ackermanns Wut richtet sich gegen den Schweizer Bauernverband, von dem er sich überhaupt nicht mehr vertreten fühle. Und der Sojaanbau sei da nur ein Beispiel.

Grundsätzlich lässt sich Soja in der Schweiz sogar relativ gut anbauen. Aber die vertraglich festgelegte jährliche Anbaumenge, die der Schweizerische Getreideproduzentenverband (SGPV) mit den Öl- und Futtermühlen aushandelt, liegt bei lediglich 3000 Tonnen. Das ist wenig, verglichen mit den 250 000 Tonnen Sojaschrot, die die Schweiz laut Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) jedes Jahr zu Futterzwecken einführt. Der Importbedarf der Schweiz ist stark angewachsen, nicht zuletzt seit Fleischnebenprodukte wie Tiermehl nicht mehr verwendet werden dürfen.

Nur wenig Dünger

Die Sojaimporte stammen praktisch ausschliesslich aus Brasilien – garantiert gentechfrei und «regenwaldfreundlich», wie der wichtigste Importeur Fenaco versichert. Der Ruf von brasilianischer Soja ist schliesslich nicht der beste (siehe WOZ Nr. 15/08). Würde die importierte Menge in der Schweiz angebaut, wäre dazu, bei einem Hektarertrag von drei Tonnen, eine Fläche von gut 100 000 Hektaren nötig. Das entspricht mehr als der ganzen Fläche des Kantons Thurgau oder gut einem Drittel der offenen Ackerfläche der Schweiz.

Ackermann baut auf seinem Betrieb im nördlichen Mittelland seit 25 Jahren Soja an, gehört also zu den Sojapionieren in der Schweiz. Denn erst seit 1988 sind überhaupt Sojasorten verfügbar, die mit den Schweizer Klimabedingungen zurechtkommen. «Ich kenne die Kulturpflanze in- und auswendig.» Seine Wut macht Begeisterung Platz, als er von deren agronomischen Vorzügen zu erzählen beginnt. «Die Soja ist eine sehr wertvolle Pflanze für meine Fruchtfolge, besonders seit ich keine Tiere mehr auf dem Betrieb halte, die mir Dünger liefern würden.»

Die Sojapflanze kann ihren Bedarf an Stickstoff, dem Hauptnährstoff, zu rund zwei Dritteln selbst decken. Als Leguminose hat sie nämlich die Fähigkeit, mit gewissen Bakterien eine Symbiose einzugehen: Die Bakterien fixieren Stickstoff aus der Luft und machen ihn für die Pflanze verfügbar. Im Gegenzug beziehen die Bakterien von der Pflanze Energie in Form von Zucker, die diese mittels Fotosynthese gewinnt. Ackermann düngt deshalb meist lediglich mit etwas Kalium und Phosphor aus dem Sack.

Anders als etwa Mais, dessen Anbau dem Boden Humus entzieht, trägt Soja zur Humusanreicherung bei. Der Ackerboden bleibt fruchtbar, wird besser durchlüftet und ist leichter zu bearbeiten. So reiche es, den Boden jeweils vor der Sojasaat Anfang Mai und nach der Ernte im September leicht zu bearbeiten, um im Anschluss beispielsweise Winterweizen zu säen, schwärmt Ackermann.

Ans Schweizer Klima angepasst

Als relativ neue Kultur hat Soja in der Schweiz wenige natürliche Feinde. Der Distelfalter oder die Pilzkrankheit Sclerotinia treten dann und wann auf, und dem Unkraut kommt man auch mechanisch mit einem Hackgerät einigermassen bei. Soja ist im Schweizer Kontext also eine äusserst ökologische Kultur, die sich auch für den Bioanbau eignet. Für Landwirt Ackermann ist klar: «Ein Bauer, der rechnet, baut Soja an.» Mit anderen Kulturen wie etwa Raps lasse sich zwar ein höherer Erlös erzielen, weil der Preis besser ist. Dafür habe man bei Soja wegen des technisch einfachen Anbaus deutlich tiefere Kosten. Er habe etliche Kollegen, die gerne in den Sojaanbau einsteigen würden, aber keine Anbauverträge erhielten.

Ansprüche stellt die Soja lediglich an das Klima. In der Schweiz gelten nur Lagen bis 500 Meter über Meer als ertragssicher. Kritisch sind kühles Wetter während der Blüte Ende Juni bis Anfang Juli sowie die eher kurze Vegetationsdauer, innerhalb der sich nur frühreife Sorten vollständig entwickeln können.

Dies war denn auch von Anfang an die grösste Herausforderung für die Forscher, die vor vierzig Jahren damit begonnen haben, die ursprünglich aus den subtropischen Gebieten Ostasiens stammende Pflanze an die hiesigen Umstände anzupassen. Seit Anfang der achtziger Jahre hat die Eidgenössische Forschungsanstalt Agroscope (ACW) in Nyon die Grundlagenforschungen der ETH Zürich in ein angewandtes Zuchtprogramm umgewandelt. Arnold Schori, Sojazüchter an der ACW bis 2006, erinnert sich: «Die nötigen Kälteresistenzeigenschaften waren in gewissen japanischen und schwedischen Sorten und in solchen von der russischen Insel Sachalin zu finden. Wir haben diese dann mit nordamerikanischem Material gekreuzt, das uns die gewünschte Ertragsfähigkeit lieferte.»

Die Sorten, die das Schweizer Züchtungsteam heute auf den Markt bringt, werden immer ertragssicherer und sind deshalb auch im Ausland sehr gefragt. Ein Paradebeispiel von erfolgreicher Pflanzenzüchtung ohne gentechnische Veränderung. Neueste Errungenschaft sind zum Beispiel Sorten, die besser auf die Herstellung von Sojamilch oder Tofu zugeschnitten sind. Die Sorte Aveline etwa enthält mehr Protein als die Sorten für die Ölherstellung und ist geschmacklich den Vorlieben des mitteleuropäischen Gaumens angepasst. Landwirt André Bidaux aus Veyrier bei Genf baut Aveline bereits seit vier Jahren an und ist sehr zufrieden. Eigentlich hätte er dieses Jahr selbst in die Tofuproduktion einsteigen wollen. Die Infrastruktur auf seinem Betrieb und die Absatzmöglichkeiten in seinem Hofladen wären vorhanden. Doch dann hat ihm die Trockenheit Ende Sommer einen Strich durch die Rechnung gemacht. Viele Schoten sind geplatzt und die Bohnen zu Boden gefallen, bevor er ernten konnte. Nächstes Jahr soll es aber losgehen.

Schweizer Tofu aus Schweizer Soja ist andernorts bereits erhältlich. Verschiedene kleingewerbliche Tofureien, wie etwa die Tofurei Noppa AG in Rüti im Kanton Zürich oder die Genossenschaft Tofurei Engel in Zwillikon, bieten entsprechende Produkte an. Die ACW passt die Schweizer Sorten aber nicht nur für die menschliche Ernährung an, sie versucht auch, sie für die Tierfütterung zu verbessern. Während bei Wiederkäuern theoretisch unverarbeitete Soja eingesetzt werden könnte, kommt für Schweine und Geflügel nur verarbeitete Soja infrage. Die ACW-ForscherInnen zielen darauf ab, unverarbeitete Sojaproteine auch für diese Nutztiere besser verdaubar zu machen.

Der «Kassensturz» kritisierte die Schweizer BäuerInnen kürzlich dafür, dass sie zu viel Futtermittel für ihre Tiere importierten. Vor allem eben Soja. Das sei unökologisch und ein «Bschiss», hiess es, wenn das Fleisch danach als «Schweizer» Fleisch verkauft würde. Manfred Bötsch, Direktor des Bundesamtes für Landwirtschaft, hielt dem entgegen, man importiere besser die Futtermittel als das Fleisch, denn so habe man immerhin die Fleischproduktion im eigenen Land und zudem die Kontrolle über die Produktionsbedingungen.

Zu billige Importsoja

Umso mehr stellt sich also die Frage: Wieso baut die Schweiz nicht selbst mehr Soja an? «Zu teuer», heisst es bei der Getreidesammelstelle Thalheim im Kanton Zürich schlicht. Die Futtermühlen müssten hundert Kilo Schweizer Soja für fünfzig Franken bekommen, damit sie für die Mäster, Legehennenhalter und Milchproduzentinnen preislich interessante Futtermittel herstellen könnten. Im Moment bekommt man für wenig mehr bereits Importsojaschrot, das die ersten Verarbeitungsschritte für die Futterverwendung bereits hinter sich hat. Damit können die Schweizer ProduzentInnen nicht konkurrenzieren. Und solange der Preis für Sojaschrot nicht unter den Schwellenpreis von 45 Franken fällt, erhebt der Bund keinen Zollschutz. Landwirte erhalten beim Anbau von Soja bereits einiges an staatlicher Unterstützung (vgl. «Die Soja und das Geld» weiter unten). Zudem hat der SGPV auf die Ernte 2009 hin ein Konzept zur Stützung des Sojapreises durch andere Ölsaaten wie Raps erarbeitet.

Trotz aller Bemühungen, trotz innovativer Ideen und agronomischer Attraktivität: Soja ist in der Schweiz nach wie vor eine Nischenkultur. Das wird sich kaum ändern, solange die «externen Kosten», die Importsoja verursacht, nicht im Preis integriert sind. Gemeint sind die Kosten der Umweltschäden, die bei Anbau und Transport entstehen, etwa der CO2-Austoss oder die Biodiversitätsverluste. Ganz zu schweigen von den sozioökonomischen Auswirkungen.

Zum Glück ist Soja in der Tierfütterung nicht unersetzlich. Viele BäuerInnen verwenden bereits Rapsschrot oder versuchen, den Proteingehalt im Wiesenfutter zu steigern, indem sie proteinreiche Leguminosen wie Klee oder Luzerne säen oder das Gras in jüngerem und somit proteinreichem Stadium mähen. Dies würde der natürlichen Ernährungsweise von Wiederkäuern sowieso besser gerecht.

Ersetzbar ist aber das Fleisch in der Humanernährung – durch Sojaprodukte beispielsweise. Ackermann jedenfalls hält am Sojaanbau fest. Er würde die Fläche sogar noch ausdehnen, wenn er Abnahmeverträge dafür erhielte. «Der geringe Arbeitsaufwand und die positiven Auswirkungen auf die Folgekulturen machen für mich den tiefen Erlös wett.»

Die Soja und das Geld

Bis zur Ernte 2008 hatte der Bund den Sojapreis im Rahmen eines Leistungsauftrags mit Verarbeitungsbeiträgen von 18 Franken pro 100 Kilo gestützt. Dieses Jahr müssen die SojabäuerInnen zum ersten Mal ohne diesen Zustupf auskommen. Weiterhin erhalten sie jedoch 1660 Franken allgemeine Direktzahlung pro Hektar Ackerland sowie 1000 Franken Anbaubeitrag pro Hektar Soja. Als «Ersatz» für den staatlichen Leistungsauftrag hat der Getreideproduzentenverband SGPV den «Ölsaatenpool» ins Leben gerufen: Er wird von der Verarbeitungsindustrie sowie indirekt über Preisabzüge von den ProduzentInnen gespiesen. Der Sojapreis für die mit der Ölindustrie ausgehandelte Vertragsmenge wird mit 10 Franken pro 100 Kilo «quersubventioniert». ProduzentInnen des lukrativeren Rapses unterstützen so also ihre Kollegen, die Soja anbauen.