Nutzpflanzen: Die Vielfältigen fallen durch

Nr. 12 –

Alte Saatgutsorten verkaufen und neue Biosorten züchten ist in der Schweiz, anders als in der EU, problemlos möglich. An der Saatguttauschbörse im Zürcher Weinland geht es um die Kämpfe hinter dem scheinbar harmlosen Thema.

Fein und ungenormt: In der Schweiz ist das Erhalten alter Nutzpflanzensorten ungleich einfacher als in der Europäischen Union. Foto: Pro Specie Rara

Was Pro Specie Rara macht, finden alle super. Der Stiftung mit Sitz in Basel ist es zu verdanken, dass blaue Kartoffeln, rote Krautstiele und Küttiger Rüebli heute wieder viele Menüs bereichern. Da kann doch niemand etwas dagegen haben!

Das täuscht. In der EU tobt ein Kampf um die Erhaltung alter Nutzpflanzensorten, die in der Schweiz meist als Hobby engagierter LiebhaberInnen betrachtet wird. Wer welche Sorten anbauen oder verkaufen darf, ist ein hochpolitisches Thema geworden.

«Was wir in der Schweiz machen, wäre in der EU viel aufwendiger, zum Teil gar nicht möglich», sagt Eva Gelinsky, Mitarbeiterin von Pro Specie Rara (PSR). In der Schweiz könnten Organisationen oder Privatpersonen unbürokratisch und günstig, für weniger als hundert Franken, «Nischensorten» für die Zulassung anmelden, sagt sie. «Das kann man zwar auch in den EU-Ländern mit sogenannten Erhaltungssorten machen. Aber es ist aufwendiger und teurer. Und die Zulassungskriterien orientieren sich an den modernen Industriesorten.»

Nicht homogen genug?

Hier liegt für SortenerhalterInnen ein grosses Problem. Damit eine Sorte als solche gilt, muss sie das Kriterium der «Homogenität» erfüllen: Die Pflanzen müssen einheitlich gross sein, die gleiche Farbe haben, die gleiche Blattform und so weiter. Für heutige Hochleistungssorten kein Problem: Moderner Hybridmais sieht aus wie geklont. «Erhaltungs- oder Nischensorten sind weit weniger homogen», erklärt Eva Gelinsky. «Die Pflanzen werden zum Beispiel unterschiedlich gross. Manche Sorten, die wir in der Schweiz vertreiben, würden in der EU durch die Prüfung fallen.» Das EU-Prozedere sei eine bürokratische Schikane im Dienst der Saatgutindustrie. Entsprechend seien in den EU-Ländern nur ganz wenige Erhaltungssorten zum Verkauf zugelassen. «Organisationen, die ähnlich arbeiten wie PSR, geben nicht zum Verkauf zugelassenes Saatgut zum Teil gegen Spende ab. Rechtlich ist das allerdings eine Grauzone.»

Fast hätte die Schweiz die Richtlinie der EU zu den Erhaltungssorten ohne Änderungen übernommen. Doch PSR wehrte sich im Frühling 2009 mit der Kampagne «Vielfalt für alle» – und konnte erreichen, dass die Schweizer Saat- und Pflanzgutverordnung angepasst wurde: Saatgut, das in Kleinportionen verkauft wird, ist heute von der Verordnung ausgenommen. Und für professionelle Bauern und Gärtnerinnen wurde der Bereich der Nischensorten geschaffen. Darunter fallen nicht nur PSR-Sorten, sondern auch alte und neue Züchtungen, die nicht für den Massenmarkt bestimmt sind. Damit hat die Schweiz in ganz Europa den liberalsten Umgang mit Nischen im Saatgutmarkt.

In vielen Ländern setzen sich Bäuerinnen und Hobbygärtner für das Recht ein, alte Nutzpflanzen kaufen, anbauen und weitergeben zu dürfen. Ein Instrument dafür sind Saatguttauschbörsen, die zudem der Vernetzung dienen. Am Sonntag, 24. März, findet erstmals ein Schweizer Treffen in den Thurauen im Zürcher Weinland statt, mitorganisiert von PSR und der Europäischen Kooperative Longo Maï.

Biozüchtung wird behindert

«Solche Anlässe präsentieren ein trauriges Thema so, dass es zu einem positiven Erlebnis wird», sagt Udo Schilling von Longo Maï. «Wir wollen zeigen, wie absurd die Regelungen in Europa sind.» An der Saatguttauschbörse erzählen zum Beispiel AktivistInnen aus Osteuropa von den Auswirkungen der EU-Gesetze.

Sortenvielfalt sei elementar für die Ernährungssicherheit, sagt Schilling: «Genetische Vielfalt erlaubt es den Pflanzen, auf Umweltbedingungen oder Klimaveränderungen zu reagieren – aber gerade deshalb sind sie oft weniger homogen. Und viele dieser Sorten bringen auch ohne Kunstdünger, Spritzmittel und mit wenig Wasser recht gute Erträge. Wir brauchen sie, wenn die Ressourcen knapp werden.»

Alte Sorten erhalten ist das eine – aber die Biolandwirtschaft braucht auch neue Züchtungen. Sogar sie sind bedroht. Das sagt Amadeus Zschunke von der Sativa Rheinau, der einzigen Firma, die in der Schweiz neue Gemüsesorten für den Bioanbau züchtet. «Es gibt in der EU neben den Erhaltungssorten und den kommerziellen Sorten die sogenannten Amateursorten. Bisher war es relativ einfach, Neuzüchtungen als Amateursorten anzumelden. Das soll mit den Neuerungen im Saatgutrecht, die dieses Jahr im EU-Parlament diskutiert werden, schwieriger werden.» In der EU als kommerzielle Sorte bewilligt zu werden, sei wegen der fehlenden Homogenität für neue Biogemüsesorten fast unmöglich. Auch Eva Gelinsky macht sich Sorgen über die Neuerungen: «Die European Seed Association, in der auch die Saatgutmultis organisiert sind, lobbyiert sehr aggressiv in Brüssel.»

Züchter Amadeus Zschunke steht der Saatguttauschbörse skeptisch gegenüber: «Was dort getauscht wird, sind grösstenteils Sorten, die von Firmen gezüchtet und einfach in einem Privatgarten weitervermehrt wurden.» Solche Anlässe würden zur Alternative zu den Saatgutmultis hochstilisiert. «Aber das sind sie nicht. Es braucht die systematische Biozüchtung, und sie muss entschädigt werden.»

«Ich denke, alle Ebenen sind nötig», erwidert Udo Schilling. «Basisaktivismus wie die Saatguttreffen, Lobbying in Brüssel und die Biozucht wie bei Sativa.» Je informierter und engagierter die Bevölkerung sei, desto weniger könnten unsinnige Gesetze durchgesetzt werden: «In Lettland wurde tatsächlich schon Saatgut beschlagnahmt, das gegen Spende verschenkt werden sollte. In Deutschland oder Österreich noch nie. Der Aufschrei wäre zu gross.»

Zum Programm der Saatguttauschbörse: 
www.naturzentrumthurauen.ch.