Orellis Scherz

Nr. 11 –

«Im Stadion (...) brüllten sie, und viele steckten sich reflexartig eine Zigarette in den Mund. Und als der Moment des Elfmeters kam, war es wie mit dem Revolver an der Schläfe. Ist die Kugel drin oder nicht? Doch wenige Stunden nach dem Fussballspiel durften dann, auch 1938 in Paris, die Zigeunergeigen kommen. Auch die Schweizer, auch Walacek, durften sich, als sie Deutschland 4:2 geschlagen hatten, den Luxus eines Nachtclubs gönnen: Bier oder Champagner?»

Giovanni Orelli, heute mit achtzig Jahren der Doyen der Tessiner DichterInnen, hat sich einen Scherz der besonderen Art erlaubt. «Il sogno di Walacek» ist 1991 im renommierten Turiner Verlag Einaudi erschienen, jetzt endlich ist es auf Deutsch zu lesen. «Walaceks Traum» ist ein poetisches Spiel um zwei Namen: einerseits der Fussballer Genia Walacek, eingebürgerter «Halbstürmer» in der schweizerischen Nationalmannschaft von 1938, anderseits der Maler Paul Klee, der im April 1938 auf einer Sportseite der «Nationalzeitung» das Bild «Alphabet 1» gemalt hat, auf dem der Name des Fussballers verstümmelt zu erkennen ist.

Walacek und Klee führen Orelli zu unzähligen Einfällen, Querverbindungen, Einsichten über Gott und die Welt und alle Propheten, über die Hitler- und Mussolini-Zeit und den Zweiten Weltkrieg. Sie führen den Lyriker und Lehrer aus Bedretto zu einem gewaltigen Mosaik der jüngsten Geschichte unseres Landes und Europas, und sie inspirieren den Dichter zu einem Kunstwerk, das an meisterhaften Jazz erinnert.

Unglaublich, was Orelli alles recherchiert, herausgefunden und dazuerfunden hat. Immer wieder stossen wir auf verblüffende Details aus der schweizerischen und tessinerischen Wirklichkeit der dreissiger Jahre und der folgenden Jahrzehnte. Geschichts-, Philosophie- und KunstfreundInnen kommen freilich mehr auf ihre Rechnung als Fussballfans, obwohl der Dichter über eine verblüffende Kenntnis dieser Sportart (bis hin zu kleinen lokalen Klubs) verfügt. Alles in allem ein bravouröser und sehr ernster Scherz.

Giovanni Orelli: Walaceks Traum. Aus dem Italienischen von Maja Pflug. Limmat Verlag. Zürich 2008. 174 Seiten. Fr. 28.90