Ölkatastrophen: Noch ist nichts gut

Nr. 12 –

Zwanzig Jahre nach der «Exxon Valdez»-Katastrophe verpestet noch immer ein Teil 
des damals ausgelaufenen Öls die Natur.

Das Dorf Valdez im Bundesstaat Alaska hat 4000 EinwohnerInnen, eine Pipeline und ein Schreckgespenst. Im fahlen arktischen Winterlicht schaufelt ein Bagger Schneeberge von der Strasse. Es schneit noch immer, und der Hafen ist vereist. Das Terminal der Trans-Alaska-Pipeline (TAP) liegt auf der anderen Seite des Fjords und ist Tag und Nacht beleuchtet. Das Erdöl, das hier gelagert wird, stammt aus den Förderstätten der Prudhoe Bay, über 1200 Kilometer von Valdez entfernt.

Ohne das Terminal gäbe es Valdez nicht. Das Schreckgespenst hingegen liegt an der Einfahrt des Prince William Sound und heisst Blight-Riff. Am 24. März 1989 lief der Öltanker Exxon Valdez auf dessen Klippen auf und verursachte damit die grösste Erdölkatastrophe in der Geschichte der USA. Innert zwanzig Tagen liefen 41 Millionen Liter Rohöl aus und verseuchten 2000 Kilometer der Küste. Mindestens 250 000 Seevögel, Tausende von Fischottern, 300 Robben, 250 Seeadler überlebten die Ölpest nicht. Betroffen waren auch jene 33 000 Personen, die von den Erträgen des Meeres lebten. In der Mehrzahl waren dies FischerInnen oder Angestellte aus der lokalen Industrie und dem Tourismus, die ihren Job verloren.

Keinen Teelöffel voll

Einen solchen Unfall soll es hier nie wieder geben. Dies garantiert Alyeska, die Betreibergesellschaft der TAP. Das Leitmotiv der Firma, deren Hauptbesitzerinnen BP, ConocoPhillips und Exxon sind, lautet: Es gibt «nicht einmal einen Teelöffel Rohöl, der nicht aufgefangen würde». Die Firma hat ein Vermögen in Personal und Technik zur Unfallprävention investiert.

Bereits kurz nach der Katastrophe von 1989 erkundigten sich die FischerInnen bei Exxon, ob der Konzern bereit sei, sie für die kommenden Verluste zu entschädigen. Der Fischfang wurde für ein ganzes Jahr eingestellt, viele mussten sich verschulden, um ihre Schiffe oder Lizenzen behalten zu können. Dan Cornett, damaliger Sprecher von Exxon, versicherte: «Exxon wird alles tun, euch zu unterstützen, darauf gebe ich mein Wort.»

Weder Alyeska noch Exxon waren wirklich in der Lage, auf eine Katastrophe dieser Grössenordnung zu reagieren. So lagen die Bergungsflösse für ausgelaufenes Öl unter meterdickem Schnee. Und selbst wenn sie zur Verfügung gestanden wären, hätten sie nur ein Zehntel dessen fassen können, was ausgelaufen war. Zudem hatte sich der Ölteppich nach drei Tagen bereits über 120 Kilometer Küstenlinie verteilt.

Die in gelbe oder orangefarbene Ölanzüge gehüllten HelferInnen, die geteerte Vogelkadaver verbrannten, wurden zum Symbol der Katastrophe. Doch die monatelange Arbeit von Tausenden Freiwilligen reichte nicht aus, die verseuchten Strände zu säubern. Exxon selbst wandte über zwei Milliarden US-Dollar für die Reinigung auf – eine Summe, die dem Konzern teilweise von den Versicherungen zurückerstattet wurde.

Schmerzloser Strafzettel

Ein Bundesgericht verurteilte Exxon ursprünglich auf eine Schadenersatzzahlung von 5 Milliarden Dollar. Die Strafe wurde später auf 2,5 Milliarden Dollar reduziert – eine Summe, die dem Profit des Erdölkonzerns von drei Wochen entsprach. Dennoch akzeptierte Exxon das Urteil nicht. Erst letztes Jahr legte der Oberste Gerichtshof die Entschädigungssumme schliesslich auf 507,5 Millionen Dollar fest. Dieser Betrag wird derzeit unter den Opfern der Katastrophe verteilt

Betrachtet man den Rekordgewinn von Exxon für 2008 von 47 Milliarden Dollar, handelt es sich beim jetzigen Betrag um kaum mehr als einen Strafzettel. Die Reinigungsausgaben, Gerichtskosten und die gerichtlich angeordneten Entschädigungszahlungen zusammengerechnet, kostete Exxon das Tankerunglück von 1989 rund 3,5 Milliarden Dollar. Eine Summe, die laut dem Exxon-Anwalt Walter Dellinger für den Konzern eine «ausreichende Strafe» darstellt. Der Fischer Steven Smith sieht das anders: «Wenn ein Erdölkonzern keine gesalzene Strafe befürchten muss, hat er auch kein Interesse daran, in die Prävention zu investieren.» Dieser Ansicht sind auch die meisten AnwohnerInnen des Prince William Sound. «Ich frage  mich, wieso  Exxon  der einzige US-Konzern ist, der noch immer zwei Öltanker mit nur einer Hülle besitzt», sagt Smith. Tatsächlich bestimmte die Internationale Seeschifffahrtsorganisation nach dem «Exxon Valdez»-Unglück, dass alle seit 1996 gebauten Tanker mit einer Doppelhülle ausgestattet sein müssen, die einen grösseren Schutz gegen das Auslaufen von Öl bietet. Und ab 2010 dürfen nur noch Doppelhüllentanker US-amerikanische Häfen  anlaufen.

Auch andere technische Verbesserungen machen den Erdöltransport heute sicherer, die Risiken berechenbarer. Die US-Küstenwache hat zwei Millionen Dollar in ein neues Radarsystem investiert, mit dem der Tankerverkehr besser überwacht werden kann. Dennoch bleibt die Natur selbst unberechenbar, genauso wie der Faktor Mensch. Gerade im Fall von ‹Exxon Valdez› kam es zu einer fatalen Verknüpfung mehrerer Faktoren. So hatte sich ein Offizier der Küstenwache von seiner Radarstation entfernt, um im Nebenraum einen Kaffee zu trinken. Auf der «Exxon Valdez» hatte Kapitän Joseph Hazelwood das Kommando seinem dritten Offizier überlassen, der über keine Erfahrungen mit der Navigation in schwierigen Gewässern verfügte. Hazelwood selbst befand sich aus unbekannten Gründen in seiner Kabine und hörte auch den Matrosen nicht, der ihn auf die Gefahr in Küstennähe aufmerksam machen wollte. Doch den grössten Fehler hatte der Exxon-Konzern selbst begangen, als er Hazelwood das Kommando der Tankers überliess – einem Seemann mit viel Erfahrung, aber einem schweren Alkoholproblem, dem deshalb bereits vor dem Unglück einmal das Kapitänspatent entzogen worden war.

Unterschätzt

Glaubt man Exxon und den örtlichen Tourismusinstitutionen, hat der Prince William Sound die Umweltkatastrophe überlebt und ist wieder das Naturparadies von einst. Doch nicht alle sind davon überzeugt. So bekennen WissenschaftlerInnen heute, das Ausmass der Katastrophe unterschätzt zu haben. «Wir dachten, dass die Natur in zwei, drei Jahren wieder sauber wäre. Nie hätte ich erwartet, zwanzig Jahre später immer noch hier zu sein», sagt Stanley Rice von der US-Wetter-und-Ozeanografie-Behörde. «Zwar hat sich die Natur etwas erholt: Die Populationen der Fischotter, Seeadler, Lachse und Enten sind stabil», sagt Rice. «Dass aber alles wieder wie vor dem Unglück sei, ist nicht wahr. Einige der Vogelarten sind nicht zurückgekehrt. Es gibt weniger Schwertwale. Und die für die lokale Wirtschaft wichtige Heringfischerei musste 1990 eingestellt werden.»

Jene ForscherInnen, die seit dem Unglück die Bucht untersucht haben, müssen sich immer wieder gegen Klagen der Exxon-AnwältInnen verteidigen. Auch gibt es WissenschaftlerInnen, die sich vom Konzern mit dem Ziel anwerben lassen, die erzielten Forschungsergebnisse zu widerlegen. «Jedes Mal, wenn wir eine neue Studie präsentieren, werden wir von den Anwälten bombardiert. Da ich für eine Behörde arbeite, muss ich jeweils alle meine Forschungsdetails offenlegen», sagt Rice. Exxon hingegen müsse als Privatkonzern gar nichts vorweisen. Anfänglich habe Exxon gar geleugnet, dass es noch immer verschmutze Zonen gebe. «Das Erdöl ist immer noch da. Fragen Sie David Janka, der weiss, wo es zu finden ist.»

Kapitän David Janka gehört zu jenen, die die Geschichte des Öltankers besonders gut kennen. Er ist einer der besten Führer, um den Prince William Sound zu erforschen, ein Labyrinth aus vereisten Inseln und Fjorden. Bereits kurz nach dem Unglück war Janka am Blight-Riff. Seit damals hat er mit seinem Boot Auklet Hunderte ForscherInnen in jeden Winkel des Golfs geführt.

Auch uns bringt Janka zum Blight-Riff. Ein Leuchtfeuer durchbricht das Schneetreiben und den Nebel über dem Wasser, wo sich der Fjord von Valdez in den Prince William Sound öffnet und den Ort des Unglücks anzeigt. Als Zweites treffen wir auf einige Schwertwale. «1989 zählte eine dieser Familien noch 22 Wale, heute sind es nur noch 7», sagt Janka. «Man hat sie damals oft neben der ‹Exxon Valdez› schwimmen sehen.»

Zehn Zentimeter

Doch das Eindrücklichste zeigt er uns an einem kleinen Strand von Eleanor Island, rund dreissig Kilometer von der Unglücksstelle entfernt. Janka dreht zwei grosse Steine um, gräbt darunter ein zehn Zentimeter tiefes Loch und zeigt auf eine Pfütze mit irisierender schwarzer Flüssigkeit. «Erkennen Sie den Geruch?» Auch nach zwanzig Jahren Wellen, Schnee und Regen ist das zähflüssige Erbe der Katastrophe noch immer da. «Es dauert mindestens dreissig Jahre, bis sich dieses Zeug zersetzt», sagt Janka und kehrt mit uns auf die «Auklet» zurück. «Ich bin es müde, hierherzukommen. Aber es ist wichtig, dass die Menschen wissen: Im Prince William Sound ist es nicht so wie früher.» Und Rice fügt an, dass sich laut einem Forschungsbericht noch mindestens 60 000 Liter des ausgelaufenen Öls in den Strandsedimenten der Bucht befinden.

Auch die EinwohnerInnen von Cordova, einem Fischerdorf rund fünfzig Kilometer vom Blight-Riff entfernt, glauben Exxon längst nicht mehr. «Zwar stimmt es, dass die Konzerne heute auf solche Unglücksfälle besser vorbereitet sind, doch deswegen lassen sie sich nicht verhindern», sagt der Fischer John Renner. «Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es wieder passiert.» Zwar war Cordova damals nicht direkt vom Ölteppich betroffen, doch die lokale Wirtschaft war zur Hälfte vom Heringfang abhängig.

Geht es nach Smith, Janka, Rice und Renner, wird der Fall gegen Exxon noch einmal eröffnet. «Zum Zeitpunkt des Prozesses wussten wir noch nichts von der langfristigen Verschmutzung der Strände und dem Verschwinden der Heringschwärme», sagt Steven Smith. Sollte der Fall wieder aufgenommen werden, was laut einer Urteilsklausel möglich ist, müsste Exxon noch einmal mehrere Hundert Millionen Dollar für die weitere Forschung zur Verfügung stellen.

Doch auch das wiegt die sozialen  Kosten nicht auf. Laut Patience Faulkner, einer dem Stamm der Eyak -zugehörigen Ureinwohnerin, wird es mehrere Generationen dauern, bis sich die «gebrochene Gesellschaft» der Region von den Folgen des Unglücks erholt haben wird. Faulkner leitet das Fischerkomitee von Cordova. «Die Bevölkerung hat das Vertrauen in das Meer und in die Zukunft verloren.» Besonders die Indigenen betrachteten die Natur als etwas, was es zu beschützen gelte, sagt Faulkner. «Wenn du sie beschützt, gibt sie dir alles. Wenn du sie zerstörst, nimmt sie dir alles.»

Unvermeidliches Übel?

Die Meldungen der australischen Behörden stimmen optimistisch. Nur eine Woche nachdem aus dem Containerschiff Pacific Adventurer vor der Südwestküste von Queensland 200 000 Liter Schweröl ausgelaufen sind, scheint bereits die Hälfte der betroffenen sechzig Kilometer Küste wieder gereinigt zu sein. Aber nicht immer laufen Verschmutzungen dieser -Grössenordnung so glimpflich ab, reagieren die Behörden und Verantwortlichen so schnell oder informieren so transparent wie in diesem Fall.

Unfälle mit Öltankern sind oft exemplarisch für Schlamperei, Inkompetenz und Leichtfertigkeit. So hatte im Fall der Umweltkatastrophe im Jahr 1989, als der Tanker Exxon Valdez weite Teile der Südküste von Alaska verseuchte, der Gouverneur des Staates erst am dritten Tag den Ausnahmezustand ausgerufen. Nur fünf Stunden nach dem Unglück waren bereits über 38 Millionen Liter Erdöl ausgelaufen, aber erst nach fünf Tagen begannen erste Reinigungsarbeiten an den Stränden.

Nicht, dass sich Behörden und Institutionen der möglichen Umweltschäden nicht bewusst gewesen wären. So besteht bereits seit 1973 das Internationale Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe (Marpol 73/78), dessen Vorgaben von der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation IMO umgesetzt werden. Ein Bestandteil der Konvention ist, dass alle Tanker, die seit 1996 in Betrieb genommen wurden, über eine doppelte Hülle verfügen müssen.
www.imo.org, www.msq.qld.gov.au

Sonja Wenger