Ölkatastrophe: Es bleiben nur Friedhöfe

Nr. 25 –

Während aus der BP-Tiefseequelle weiter Öl in den Golf von Mexiko läuft, sind die wirtschaftlichen und gesundheitlichen Folgen für die AnwohnerInnen der Küste von Louisiana längst sichtbar.


Von den BewohnerInnen der Bayous, den Sumpflandschaften im Süden Louisianas, bis zu jenen der Grossstadt New Orleans fürchten viele, dass die durch den Untergang der Tiefseebohrinsel Deepwater Horizon ausgelöste Ölkatastrophe nicht nur die Zerstörung der Umwelt zur Folge haben wird, sondern auch das Ende der kulturellen Gemeinschaften, die hier seit Generationen leben.

Es ist nicht das erste Mal, dass Menschen in dieser Gegend ihr Leben oder ihre Heimat wegen der Aktivitäten grosser Konzerne verlieren. Der von Ölfirmen verursachte Landverlust hat bereits viele KüstenbewohnerInnen vertrieben, und die von den vielen Ölraffinerien und Chemieanlagen verursachten Verschmutzungen haben ganze Dörfer vergiftet – besonders im «Krebs-Allee» genannten Industriekorridor entlang des Mississippi südlich von Baton Rouge.

Alte Muster

«Die kulturellen Verluste aus der BP-Katastrophe werden unvorstellbar sein», sagt Nathalie Walker, Ko-Leiterin der Organisation Anwälte für Umweltschutz und Menschenrechte (AEHR). «Die Kultur der Küste Louisianas ist unvergleichlich, und wir können nur hoffen, dass sie nicht vollständig ausgelöscht wird.» Walker und ihre Kollegin Monique Harden haben sich zum Ziel gesetzt, gegen die von den in Louisiana angesiedelten Konzernen ausgelöste Umweltverschmutzung und ihre Folgen zu kämpfen. Sie bezeichnen die Katastrophe als bisher nicht gekanntes Unglück für die Menschen der Region. Walker wie Harden erkennen darin aber auch die Fortsetzung altbekannter Muster. Die Öl- und Chemiekonzerne vertreiben seit langem Nichtweisse von ihrem Land und aus ihren Häusern.

Die Anwältinnen weisen darauf hin, dass in den vergangenen Jahrzehnten mindestens fünf hauptsächlich von AfroamerikanerInnen bewohnte Orte von der Verschmutzung der Konzerne praktisch ausradiert wurden. Das jüngste Beispiel ist die Gemeinde Mossville in der Nähe des Charles-Sees, die Ende des 18. Jahrhunderts von AfroamerikanerInnen gegründet wurde. Die Fläche von Mossville beträgt dreizehn Quadratkilometer, 375 Haushalte sind hier angesiedelt. Anfang der dreissiger Jahre bewilligte der Staat Louisiana, dass die Industrie in Mossville giftige und schädliche Substanzen herstellen, verarbeiten, lagern und entsorgen darf. Heute befinden sich vierzehn Fabrikanlagen in der kleinen Stadt. Und 91 Prozent der EinwohnerInnen geben an, an mindestens einem gesundheitlichen Problem zu leiden, das darauf zurückzuführen ist, dass sie jahrelang den lokal produzierten Chemikalien ausgesetzt waren.

Städte wie Diamond, Morrisonville, Sunrise und Revilletown – alle wurden im 18. und 19. Jahrhundert von ehemaligen afroamerikanischen Sklaven gegründet – erlitten ein ähnliches Schicksal. Nachdem sie die Bevölkerung mit ihren Chemieabfällen vergiftet hatten, siedelten die Konzerne die Überlebenden um und übernahmen das Land. In vielen Fällen blieb von den Gemeinschaften nur ein Friedhof übrig, und die ehemaligen AnwohnerInnen müssen heute an den Sicherheitsschranken der Konzerne vorbei, wenn sie die Gräber ihrer Angehörigen besuchen wollen.

So wurde die Bevölkerung von Diamond 2002 von Shell umgesiedelt, nachdem sie jahrzehntelang giftigen Substanzen ausgesetzt gewesen war. Morrisonville wurde bereits 1989 von Dow Chemical aufgekauft. Die BewohnerInnen von Sunrise verliessen ihr Land, nachdem sie erfolgreich gegen die Firma Placid Refining Company geklagt hatten und eine Entschädigung erhielten. Und der Chemiekonzern Georgia Gulf Corporation vergiftete Mitte der neunziger Jahre erst die EinwohnerInnen von Revilletown, bevor er die Stadt aufkaufte.

«Es ist ein Fehler zu glauben, dass diese Praxis etwas Neues wäre», sagt Harden. Sie bezweifelt, dass die Regierung die notwendigen Schritte unternehmen wird, damit sich die Umwelt im Golf von Mexiko regenerieren kann. Zu bitter sind die früheren Erfahrungen damit, wie Behörden und Konzerne mit der von Katastrophen betroffenen Bevölkerung umgehen. Bis heute gibt es kaum Fortschritte, was den Wiederaufbau nach dem Hurrikan Katrina von 2005 angeht. «Und seit Präsident Barack Obama im Amt ist, habe ich auch noch nichts gesehen, das die Verhältnisse ändern würde.»

Laut Harden muss nicht nur der Bundesstaat Louisiana, sondern auch die US-amerikanische Regierung grundsätzlich die Beziehungen zu den Konzernen neu gestalten. «Wir erlauben den Unternehmen, über unsere Gesundheit und Sicherheit zu bestimmen», sagt Harden. «Das muss sich ändern.» Als Beispiel nennt sie die strengeren Vorschriften in Ländern wie Norwegen, wo Ölkonzerne dazu verpflichtet sind, neben jeder Tiefseebohrung gleichzeitig eine Entlastungsbohrung zu machen.

Zerstörerisches Salzwasser

Der Stamm der Pointe-au-Chien ist eine kleine Gemeinschaft Französisch sprechender IndianerInnen. Sie leben entlang dem Bayou Pointe-au-Chien an Louisianas Golfküste, wo sich ihre Vorfahren vor 300 Jahren niedergelassen hatten. Die AnwohnerInnen beschreiben das seit April ins Meer sprudelnde Öl nur als das neueste Kapitel in der langen Geschichte ihrer Entrechtung und Vertreibung. «Die Ölkonzerne haben unsere Ältesten nie respektiert», sagt das Gemeinderatsmitglied Theresa Dardar. «Und sie haben auch noch nie unser Land anerkannt.»

Anfang des 20. Jahrhunderts beanspruchten Ölkonzerne dieses Land. Sie nutzten die Tatsache aus, dass viele der KüstenbewohnerInnen aufgrund ihrer Sprache und der Weite des Landes isoliert lebten. In den folgenden Jahrzehnten haben die Konzerne das idyllische Land zerstört und dabei über 15000 Kilometer Kanäle durch Wälder, Sümpfe und Wohngebiete gelegt. «Sie kommen her, graben rücksichtslos irgendwo einen kleinen Kanal, der dann mit der Zeit immer breiter wird», sagt Theresa Dardars Ehemann Donald.

Durch die Kanäle dringt Salzwasser in das Gebiet. Pflanzen und Bäume sterben ab, was wiederum die Erosion beschleunigt. Laut der Umweltschutzorganisation Gulf Restoration Network verliert Louisiana täglich über dreissig Hektaren Land – die Hälfte davon aufgrund der Erosion durch die Kanäle. Derweil musste der Pointe-au-Chien-Stamm erfahren, dass ihm kaum juristische Möglichkeiten zur Verfügung stehen – auch weil sich die Regierung aufgrund des Einflusses der Öllobby standhaft weigert, sie als Indianerstamm anzuerkennen und so ihre rechtliche Lage zu stärken.

Als das Öl aus dem Golf von Mexiko Ende Mai dann an den Ufern des Chien-Sees rund sechzig Kilometer südlich von New Orleans ankam, war die Fischereisaison beendet, noch bevor sie begonnen hatte. Es ist wenig verwunderlich, dass die Pointe-au-Chien dies als weiteren Angriff auf ihre Lebensweise sehen, die sie seit Generationen pflegen.

Kürzlich versammelten sich in Pointe-au-Chien einige der Gemeindemitglieder sonntags in der Baptistenkirche Live Oak. Sie fühlen sich von der Regierung und den Konzernen verlassen und missbraucht. Sie fürchten, dass sie nicht nur ihre Häuser, sondern auch ihre Sprache und ihre Traditionen verlieren werden. Und Theresa Dardar erzählt vom Austausch der Pointe-au-Chien mit den indigenen EinwohnerInnen Alaskas, die von ihren Erfahrungen mit den Folgen der Exxon-Valdez-Katastrophe von 1989 erzählten. «Wir wissen nicht, wann wir wieder fischen können», sagt Dardar. «In Alaska hat es siebzehn Jahre gedauert.» Und die Katastrophe sei schon heute viel grösser als beim Untergang der Exxon Valdez.

Zwar hat der für die Katastrophe verantwortliche BP-Konzern inzwischen Entschädigungszahlungen für jene versprochen, die wegen des Öls ihre Arbeit verloren haben. Doch nur wenige glauben, dass BP tatsächlich ihre Versprechen halten wird – und selbst wenn, bezweifeln die meisten, dass damit der angerichtete Schaden wieder gutgemacht werden kann. «Es spielt keine Rolle, wie viel Geld sie uns geben, wenn wir keine Garnelen haben, keine Fische, Krabben und Austern», sagt Dardar. «Es geht hier nicht nur um unsere Lebensweise, es geht um unser Essen.»

Nicht nur die Dardars haben Angst um ihre Lebensgrundlage. Auch in New Orleans, dessen Kultur untrennbar mit dem Golf verbunden ist, teilt man diese Befürchtungen. «Wie sollen wir mit dieser unstillbaren Blutung auf dem Meeresgrund umgehen?», fragt Monique Harden von der AEHR. «Es ist ein Albtraum.»

Nicht nur Harden fühlt sich wütend und hilflos angesichts der verheerenden Katastrophe. Mit wachsendem Grauen beobachten die EinwohnerInnen, die nach dem Hurrikan Katrina gerade ihre Häuser wiederaufgebaut haben, wie sich das Öl an der Küste sammelt. «Ich hätte nie gedacht, dass ich das eines Tages sagen würde: Aber mir wäre ein zweites Katrina lieber als das, was hier passiert», sagt die Anwältin.

Versunkene Strassen

Gleich neben der Kirche in Pointe-au-Chien liegt ein Bayou, wo entmutigte FischerInnen entgegen besseren Wissens auf ihren Booten darauf warten, dass sie in dieser Saison doch noch etwas fangen können. Hinter der Kirche befindet sich noch mehr Wasser, und einige Kilometer weiter endet die Hauptstrasse in einem Sumpfgebiet. Tote Eichenbäume, die im Salzwasser verrotten, erheben sich aus den Kanälen. Telefonmasten ragen aus dem Wasser und zeigen, wo die Strasse einst entlangführte, bevor sie vom Wasser verschluckt wurde.

Einst schützten kilometerweite Sümpfe und Düneninseln die Gemeinden in diesem Gebiet vor den Hurrikans, indem sie ihnen die Wucht nahmen. Doch inzwischen ist die ganze Region den Naturgewalten immer stärker ausgesetzt. Brenda Billiot, eine Einwohnerin von Pointe-au-Chien, zeigt auf ein schmales Stück Grasland hinter ihrem Haus, das sich im Moor und Wasser verliert. «Das war einmal Land, so weit man blicken konnte», sagt sie. Ein Kaninchen hoppelt über den Hinterhof, während Billiot die Delfine und Schweinswale beschreibt, die sie in der Nähe beobachtet hat. Billiots Familie arbeitet auch fünf Jahre später noch daran, die Flutschäden von Katrina an ihrem Haus zu reparieren – indem sie unter anderem das Gebäude auf über fünf Meter hohe Pfeiler stellen. Billiot fragt sich allerdings inzwischen, ob das ausreicht.

Pointe-au-Chien-Gemeinderatsmitglied Theresa Dardar ist der Überzeugung, dass die Regierung und die Ölkonzerne nur nach einem Grund suchen, ihren Stamm von hier zu verdrängen. Und sie glaubt auch, dass die nun begonnene Hurrikan-Saison ihrer Kultur den Todesstoss versetzen wird. «Ich sage meinen Leuten, sie sollen beim nächsten Hurrikan alles mitnehmen, was ihnen etwas bedeutet. Denn ich glaube nicht, dass sie uns wieder zurückgehen lassen.»

Jordan Flaherty ist Journalist und Redakteur des «Left Turn Magazin». Er lebt in New Orleans.