Ölpest im Golf von Mexiko: Tiefer und riskanter

Nr. 20 –

Seit einem Monat läuft Rohöl aus einem Bohrloch des Ölkonzerns BP in den Golf von Mexiko. Doch BP wird wohl mit einem blauen Auge davonkommen.

Tony Hayward, der oberste Chef des britischen Ölkonzerns BP, gibt sich locker: Der von seiner Firma verursachte Ölteppich im Golf von Mexiko sei «relativ winzig» im Vergleich zum «sehr grossen Ozean».

Seit einem Monat sprudeln aus einem Bohrloch auf 1500 Meter Meerestiefe unkontrolliert täglich mehrere Hunderttausend Liter Rohöl. Dies nachdem auf der Ölplattform Deepwater Horizon eine Gasexplosion elf Arbeiter tötete und die 580 Millionen Dollar teure Bohrinsel rund siebzig Kilometer vor der US-Küste schliesslich ins Meer versank. «Die ökologischen Auswirkungen werden wahrscheinlich nur sehr, sehr bescheiden sein», sagte Hayward vergangene Woche dem britischen Fernsehsender Sky News.

Neuste Satellitenbilder zeigen allerdings einen immer grösseren Ölteppich im Golf von Mexiko. Zudem nähert sich ein Ölstreifen immer mehr der US-Küste. Diese besteht dort nicht nur aus Sandstränden, die relativ leicht zu reinigen sind, sondern im Mündungsdelta des Mississippi auch aus einer von Inseln durchsetzten Sumpflandschaft. Die ökologischen Folgen von deren Verschmutzung lassen sich nicht abschätzen. Am Dienstag haben die Behörden ein Fischereiverbot auf über 115 000 Quadratkilometer ausgeweitet – eine Fläche fast dreimal so gross wie die Schweiz. Inzwischen steigt die Befürchtung, dass der Ölstreifen in den Sog einer Meeresströmung gelangt und so auch die Florida Keys – eine 290 Kilometer lange Inselkette zwischen dem Golf von Mexiko und dem Atlantik – verschmutzen könnte. Ausserdem haben WissenschaftlerInnen tief unter Wasser grosse Ansammlungen von Öl entdeckt, das offenbar nicht an die Oberfläche aufsteigt. Es könnte langfristig für den Fischbestand verheerende Auswirkungen haben. Zudem ist unklar, wie schädlich die Lösungsmittel sind, die zur Bekämpfung des Öls eingesetzt werden.

Unfall einkalkuliert

BP hatte bereits kurz nach der Katastrophe verlauten lassen, der Konzern werde für die entstandenen Schäden aufkommen. Inzwischen rechnet die Firma mit einer Schadensumme von 625 Millionen Dollar. Allerdings scheint dieser Betrag angesichts all der Unwägbarkeiten und den vielen von Fischern und Anwohnerinnen angekündigten Klagen gegen die Firma ziemlich spekulativ. Doch BP kann leicht auch ein Mehrfaches davon verkraften. Die Firma hat allein im ersten Quartal dieses Jahres einen Reingewinn von 5,5 Milliarden Dollar ausgewiesen.

Das bisherige Vorgehen von BP lässt zudem darauf schliessen, dass der Konzern solche Unfälle einkalkuliert. Die Firma ist beim Einsatz der Deepwater Horizon ein hohes Risiko eingegangen. So stieg bereits wenige Wochen vor dem grossen Knall unkontrolliert Gas an die Oberfläche. Die Arbeiten wurden damals aber nur kurz eingestellt. Zudem liess die Firma Sicherheitsvorkehrungen, die im Unglücksfall das Bohrloch hätten schliessen sollen, nur ungenügend überprüfen und warten.

Umso gekonnter wusste BP, wie man sich nach dem Unfall zu verhalten hatte. Die Firma gab sich in ihren Medienverlautbarungen professionell, stritt ihre Verantwortung gar nicht erst ab und nahm zusammen mit dem Besitzer der Ölplattform – dem in der Schweiz domizilierten Transocean-Konzern – Einsitz in den Krisenstab.

Von dort aus wurde den Medien vermittelt, man habe die Situation unter Kontrolle und es sei nur eine Frage von Tagen, bis das Ölleck gestopft sei. Doch alle Anstrengungen sind bisher gescheitert. Inzwischen verkündet BP, dass 300 000 von den 800 000 täglich auslaufenden Litern Rohöl abgesaugt werden.

Die Zeit läuft gegen BP. Spätestens seit die Anhörungen im US-Kongress angelaufen sind, ist der Informationsfluss für BP nicht mehr kontrollierbar. Und dann haben die ManagerInnen von BP, Transocean und der ebenfalls beteiligten Halliburton (durch deren Zementierarbeit am Bohrloch der Unfall möglicherweise mitverursacht wurde) auch noch den Fehler gemacht, sich gegenseitig den Schwarzen Peter zuzuschieben. Inzwischen sind acht Untersuchungskommissionen einberufen worden, zumal auch staatliche Behörden bei der Überwachung von BP kläglich versagt haben.

Bohren in der Arktis

Tony Hayward weiss, wieso er ­dennoch unbeeindruckt bleiben kann. Die USA sind auf Gedeih und Verderb auf das Öl aus dem Golf von Mexiko ­angewiesen. So sind BP wie auch die Konkurrenten Shell und Chevron in den letzten zwanzig Jahren in immer tiefer liegende Meeresgebiete vorgestossen. BP verfügt mit der Ölplattform Atlantis derzeit über eine Anlage, die in über 2000 Meter Meerestiefe bohren kann.

Und bereits blicken die Konzerne auf ein neues Eldorado. Shell plant im Sommer die ersten Probebohrungen in der Arktis vor der Küste Alaskas. Inzwischen beeilt sich der niederländisch-britische Konzern zu versichern, man werde die Sicherheitsvorkehrungen noch verstärken. So sollen mehrere Schutzsysteme bereitstehen, falls unkontrolliert Öl austreten sollte. Diese Systeme würden alle sieben Tage kontrolliert.

Allerdings ist inzwischen klar geworden: Tiefseebohrungen sind mit erhöhten Risiken verbunden. Selbst das «Wall Street Journal» weist darauf hin, dass die Technik für den Vorstoss in Tiefen von 1500 und mehr Metern noch nicht ausgereift ist. Die extremen Druckverhältnisse erfordern Material, das bislang zu wenig getestet worden ist. Der Aufwand für Tiefseebohrungen lässt sich mit jenem von Weltraummissionen vergleichen.

Es ist anzunehmen, dass die US-Regierung ankündigen wird, die Ölkonzerne jetzt etwas schärfer zu kontrollieren. Doch der Vergleich mit der Finanzindustrie drängt sich auf: Auch diese sollte nach dem grossen Crash vor zwei Jahren stärker reguliert werden -–geschehen ist bisher wenig. Ölkonzerne wie BP, Shell, Exxon und Chevron wissen, dass sie sich in einer mächtigen Position befinden. Sie liefern die Energie für den westlichen Lebensstil und zählen allesamt zu den weltgrössten privaten Unternehmen. An ihnen hängen Zehntausende von Arbeitsplätzen und unzählige andere Unternehmen – macht sie das auch «too big to fail»?