«Mein Kampf» in Indien: Ghandis Bücher liegen daneben

Nr. 23 –

Mehr als sechzig Jahre nach Adolf Hitlers Tod ist seine Hassschrift in manchen Teilen Indiens überaus beliebt. Woher kommt das?


Auf dem Kahn-Markt im wohlhabenden Süden Delhis gehen TouristInnen und Angehörige der indischen Mittelschicht einkaufen. Restaurants, Cafés im westlichen Stil, traditionelle und moderne Bekleidungsgeschäfte gibt es hier, Läden mit Unterhaltungselektronik, CDs und Büchern. In den zwei Buchhandlungen am Markt kann man auch Adolf Hitlers «Mein Kampf» erwerben. Das Buch, das im deutschsprachigen Raum verboten ist, liegt direkt neben Büchern des indischen Unabhängigkeitskämpfers Mahatma Gandhi, der sich der Gewaltfreiheit und Toleranz verschrieben hatte. «Es ist eines der Bücher, das sich gut verkaufen lässt», sagt der Buchhändler Anup Bamhi. Kunden seien vor allem indische Männer im mittleren Alter.

Historische Gründe

Kaum eine Buchhandlung oder ein Strassenverkäufer, die oder der «Mein Kampf» nicht im Sortiment hätte. Verschiedene Verlage geben das Buch als Reprint heraus. «Allein in Delhi», so K. C. Maiti, Verleger des Jaico Publishing House, «haben wir zwischen April und Dezember 2008 mehr als 10 000 Exemplare verkauft.»

«Anders als in Deutschland oder Europa wächst man hier nicht automatisch mit einer Aversion gegen Hitler auf», sagt der Historiker Sumit Sarkar: «Hitler wird als jemand gesehen, der gegen die Briten, die ehemalige Kolonialmacht, gekämpft hat.» Mit seiner Frau Tanika Sarkar hat er das Wesen der hindu-nationalistischen Bewegung untersucht, die sich vor allem gegen Minderheiten in Indien richtet. In den dreissiger Jahren hatten die Hindu-NationalistInnen eine starke Neigung zum italienischen Faschismus und deutschen Nationalsozialismus. Als besonders bedenklich erachtet Sarkar den Kult, der um Hitler entstanden sei. Es seien vor allem gebildete InderInnen, die sich von ihm angezogen fühlten.

Das Buch gebe es nicht nur in englischer Übersetzung, sondern auch in vielen der indischen Regionalsprachen, ergänzt Tanika Sarkar: «In Rajasthan wird es von der Dorfjugend gelesen, aber auch am renommierten St. Stephens College von den gebildeteren Schülern. Neunzig Prozent der Bewerber haben in der Aufnahmeprüfung auf die Frage, wer die historische Persönlichkeit sei, die sie am meisten bewundern, geantwortet: Hitler», berichtet Tanika Sarkar, die viele Jahre am College unterrichtet hat.

Nicht nur die Tageszeitung «Times of India» wirft die Frage auf, ob die Popularität des Machwerks mit den fundamentalistischen und nationalistischen Tendenzen in der indischen Gesellschaft in Verbindung steht, die sich vor allem gegen die muslimische Minderheit richten.

Schon in den dreissiger Jahren schrieb Madhav Golwalkar, ein Gründervater der hindu-nationalistischen Bewegung, voller Verehrung über Hitler und darüber, dass er seine mutmasslichen Feinde so effektiv niedermachte. «Die Hindu-Nationalisten sind davon überzeugt, dass sie von den Muslimen und später von den Briten beherrscht worden sind, weil sie sich nicht aggressiv genug zur Wehr gesetzt hätten», sagt Tanika Sarkar.

Deshalb bewunderten sie auch Israel, weil es sich mit militärischen Mitteln selbst zu behaupten wisse. Die Hindu-NationalistInnen sehen keinen Widerspruch in ihrer Bewunderung für Hitler einerseits und Israel andererseits. «Indien den Hindus» lautet ein Leitmotiv der Hindu-NationalistInnen. Heute ist ihnen besonders der Zionismus Vorbild.

Gegen Nehru und Gandhi

Mahatma Gandhi und Jawaharlal Nehru, der erste Premierminister Indiens, zwei herausragende Persönlichkeiten der indischen Unabhängigkeitsbewegung, hatten eine Zusammenarbeit mit Hitler und den Achsenmächten immer abgelehnt. Sie erachteten den Faschismus und Nationalsozialismus als eine mindestens so grosse Bedrohung für die Ziele der indischen Unabhängigkeitsbewegung wie die britische Kolonialherrschaft.

Aus den Reihen der Hindu-NationalistInnen kam Nathuram Godse, der Mörder Gandhis. Bis heute ist Gandhi für Hindu-NationalistInnen eine Unperson. Sie machen ihn für die Teilung des Subkontinents verantwortlich. Er sei zu tolerant gegenüber der muslimischen Minderheit in Indien gewesen und hätte deshalb die Abspaltung Pakistans zugelassen. 1992 sagte Bal Thackeray, Gründer der rechtsradikalen Regionalpartei Shiv Sena, gegenüber der Presse: «Man sollte in ‹Mein Kampf› das Wort Jude durch Muslim ersetzen.» Seine Partei regiert seit fünfzehn Jahren die Wirtschaftsmetropole Bombay.