Nahost: Ein Feind weniger?

Nr. 26 –

Aufruhr in Teheran, eine sture Regierung in Jerusalem und ein Präsident mit arabischem Vornamen im Weissen Haus - im Nahen Osten werden die Karten neu gemischt.

Das dürfte Benjamin Netanjahu gar nicht gefallen haben. Statt eines wahnsinnig gewordenen iranischen Präsidenten, der Israel mit atomarer Vernichtung droht, flimmerten in den vergangenen Tagen für einmal ganz andere Bilder aus Teheran über die israelischen Fernsehschirme. Bilder von jungen Menschen, die zu Hunderttausenden auf Teherans Strassen den Respekt vor Demokratie und Menschenrechten forderten.

Israels Ministerpräsident weiss: Einem wild gewordenen Diktator mit der Bombardierung seines Landes zu drohen, ist zu Hause populär. Doch junge aufgeklärte Menschen, die ihr Leben riskieren, um sich ihre Rechte zu erkämpfen, taugen als Feindbild nicht. Und genau das braucht Israels Regierungschef, um sich weiterhin den Rückhalt des Westens zu sichern und ihn zu noch schärferen politischen Sanktionen gegen Teheran zu bewegen.

Obama zeigt Wirkung

Immerhin, es hätte für Netanjahu schlimmer kommen können – dann nämlich, wenn Mahmud Ahmadinedschads Herausforderer Mir Hussein Mussavi der Wahlsieg zugesprochen worden wäre. Denn ihn hat die Welt in den letzten Wochen kurzerhand zu Irans Galionsfigur der Menschenrechte und des Friedens erkoren, obwohl er seit Jahrzehnten im Machtgefüge der Islamischen Republik verankert ist. Eine ganze Reihe von hochrangigen israelischen Geheimdienstlern gab denn auch in den letzten Tagen unverblümt zu Protokoll: Das Feindbild Ahmadinedschad diene Israels Sicherheitsinteressen weit besser.

Doch Israels aussenpolitisches Umfeld hat sich nicht erst in den letzten Tagen verändert. Seit Barack Obama Anfang Jahr das Oval Office betrat, werden die Karten im Nahen Osten neu gemischt. Israel wird von der neuen US-Regierung mit zunehmend raueren Tönen unter Druck gesetzt. Und gleichzeitig müssen die Israelis mit anschauen, wie Obama versucht, den einstigen Schurkenstaaten und den Menschen auf Kairos, Damaskus’ und Teherans Strassen die Hand zur Versöhnung zu reichen – und damit gleichzeitig Israels Feinde langsam zum Einlenken bringen könnte: Seine Kairoer Rede, in der er Anfang Juni «die Muslime dieser Erde» zu einem Neuanfang in ihrer Beziehung zu den USA aufrief, hat bereits Wirkung gezeigt: Im Libanon verlor die antiwestliche Hisbollah kürzlich überraschend die Wahl; und auch die Proteste der iranischen Opposition gegen den vermuteten Wahlbetrug wurden durch die versöhnlichen Töne des US-Präsidenten genährt: Schwindet der US-Feind, öffnen sich die politischen Reihen.

Wird der neue US-Präsident mit dem arabischen Vornamen nun also den Nahen Osten befrieden? Kaum – doch vielleicht wird es ihm gelingen, die Lage zu beruhigen. Wie heikel die Gratwanderung ist, die Obama begonnen hat, zeigt sich am Beispiel Iran. Die demokratische Frühlingsbrise, die in den letzten Tagen durch Teherans Strassen wehte, hat gleichzeitig Revolutionsführer Ali Chameneis Machtfundament arg geschwächt. Und mit einem iranischen Regime, das mit dem Rücken zur Wand steht, wird es kaum Verhandlungen geben – weder über ein Atomprogramm noch über eine aussenpolitische Öffnung des Landes. So hat der Revolutionsführer bereits in seiner Freitagsrede den Schwund seiner Legitimation durch die Heraufbeschwörung des westlichen Feindes zu übertünchen versucht. Dieselbe Gratwanderung steht Obama auch mit Syrien bevor.

Auf Widerstand stösst Obama auch im israelisch-palästinensischen Konflikt. Sein Plan, Syrien und dessen islamistischen Verbündeten, die palästinensische Hamas, in die Friedensbemühungen einzubinden, könnte Früchte tragen. Doch was will Obama mit der neuen Regierung in Jerusalem tun, die sich gegenüber den PalästinenserInnen noch kompromissloser verhält als diejenige zuvor?

Zeit für den Siedlungsstopp

Die rechtsextreme Israel Beitenu, die in Israels Regierungskoalition sitzt, ist nicht das eigentliche Problem. Ihre WählerInnen wären für einen palästinensischen Staat noch am ehesten zu haben. Als säkulare ZionistInnen ist ihnen das heilige Westjordanland weitgehend egal. Ihr Wunsch ist ein anderer: ein israelischer Staat ohne AraberInnen. Das Hindernis sind die religiösen ZionistInnen, die unter anderem in Netanjahus Reihen sitzen. Ein Siedlungsstopp im Westjordanland, in dem mittlerweile fast eine halbe Million Israelis leben, ist für sie tabu.

Obama weiss: Will er die Gründung eines palästinensischen Staates erreichen, muss er das tun, was kein US-Präsident vor ihm getan hat - Israel zu einem Siedlungsstopp zwingen. Die Druckmittel haben die USA in der Hand: Ohne den Schutzgarant USA könnte Israel kaum überleben. Wie weit Obama den Machtkampf auf die Spitze treiben wird, ist noch nicht entschieden. Die Israellobbyisten werden gemeinsam mit den Republikanerinnen alles daran setzen, ihn daran zu hindern.