Iran: Auf dem Weg der Klugheit
Die Einsicht im Iran wächst: Die darbende Wirtschaft bedarf der aussen- und innenpolitischen Öffnung. Doch wie ist es um die Einsicht der iranischen Religionsführer bestellt? Und wie willig ist der Westen?
Seit der Wahl von Hassan Rohani zum Präsidenten wagen die IranerInnen wieder zu hoffen: dass die Wirtschaft wieder in Gang kommt, dass das Land sich nach innen und aussen öffnet, dass sie mehr Freiheit bekommen und ihre elementaren Rechte geachtet werden. Doch was kann von Rohani überhaupt erwartet werden? Um die Wirtschaft anzukurbeln, muss er das Joch der Sanktionen des Westens abschütteln. Das verlangt Konzessionen in der Aussenpolitik, insbesondere beim iranischen Atomprogramm – Konzessionen, von denen die Radikalen und Konservativen im Land überzeugt werden müssen.
Rohani ist weder Oppositioneller noch Reformer, sondern ein moderater Konservativer: Er kritisierte beispielsweise die Grüne Bewegung und die Unruhen nach der Wiederwahl Mahmud Ahmadinedschads 2009. Der 64-jährige Geistliche ist ein Mann des Systems. Er war jahrelang Generalsekretär des Nationalen Sicherheitsrats und in dieser Position zwei Jahre lang Chefunterhändler im Atomkonflikt. Er verfügt über beachtliche politische und ökonomische Kenntnisse und ist ein versierter Diplomat. Zudem besteht sein Regierungsteam weitgehend aus erfahrenen und fähigen TechnokratInnen. Doch vor ihm liegen zahlreiche «Baustellen».
Ahmadinedschads Vermächtnis
An erster Stelle steht die stark kriselnde Wirtschaft. «Die Lage ist weit katastrophaler, als ich befürchtet hatte», sagte Rohani nach einer ersten Überprüfung der Wirtschaftsdaten. «Seit zwei Jahren ist das Wachstum negativ.» Dazu kommen eine Inflationsrate von 42 Prozent und eine hohe Arbeitslosigkeit. Diese liegt nach offizieller Darstellung bei 27 Prozent, unter Jugendlichen sogar weit über 30 Prozent.
Hauptgründe für diese Misere sind Misswirtschaft, die weitverbreitete Korruption und nicht zuletzt die harten Sanktionen des Westens, die im Atomkonflikt über den Iran verhängt wurden. Diese haben das Land vom internationalen Finanzmarkt isoliert, ausländische Investitionen stark reduziert, den Ölexport um mehr als vierzig Prozent vermindert und eine starke Abwertung der nationalen Währung verursacht. Der Rückgang der Importwaren, vor allem Ersatzteile und Maschinen, und der drastische Anstieg der Energiepreise führten zur Schliessung vieler Fabriken. Noch beschäftigte ArbeiterInnen organisierten Streiks und Demonstrationen, weil sie monatelang keinen Lohn erhielten. Auch Ärzte und Patientinnen klagen über den Mangel an lebenswichtigen Medikamenten.
Die zweite Baustelle ist die repressive Innenpolitik: die rigorose Zensur der Presse, von Literatur und Kunst, die Blockierung sozialer Netze im Internet, die Missachtung der Rechte der Frauen sowie ethnischer und religiöser Minderheiten, die Willkür der Justiz. Hunderte Oppositionelle sitzen seit den Unruhen von 2009 im Gefängnis, darunter ranghohe PolitikerInnen, JournalistInnen, Kulturschaffende, StudentInnen und MenschenrechtsaktivistInnen. Die OppositionsführerInnen Mir Hussein Mussavi, seine Frau Sahra Rahnaward sowie Mehdi Karrubi stehen seit mehr als zwei Jahren unter Hausarrest.
Nicht minder wichtig ist die Baustelle Aussenpolitik. Die Regierung muss ihren Kurs ändern, wenn sie eine Aufhebung der Sanktionen erreichen und das Land aus der internationalen Isolation führen will. Denn die Sanktionen haben weitreichende Auswirkungen. So ist etwa der Schiffsverkehr stark eingeschränkt. Auch aus Ländern wie China und Indien, die noch iranisches Öl kaufen, kann die iranische Regierung die Einnahmen nicht auf eigenen Konten verbuchen. Das Geld darf nur in den betreffenden Ländern ausgegeben werden. Die Folge ist, dass der iranische Markt mit billigen chinesischen und indischen Waren überschwemmt wird, was zum starken Rückgang der industriellen und landwirtschaftlichen Produktion geführt hat.
Behutsam, aber entschlossen
Eine Lockerung oder Aufhebung der Sanktionen setzt aber ein Einlenken im Atomkonflikt voraus. Das Land kann zwar weiterhin auf sein internationales Recht einer Nutzung der Atomenergie bestehen, muss sich aber mit einer Urananreicherung begnügen, die nicht zur Herstellung von Atomwaffen ausreicht, und sein Atomprogramm vollständig offenlegen. Rohani scheint zu Kompromissen bereit zu sein. Aber kann es ihm gelingen, die seit Jahrzehnten propagierten Feindbilder abzubauen und die Radikalen und Konservativen, allen voran den mächtigsten Mann der Islamischen Republik, Revolutionsführer Ali Chamenei, zu überzeugen?
Es scheint zwar, dass Ajatollah Chamenei und die ihm hörigen Kräfte eingesehen haben, dass ihr radikaler Kurs in eine Katastrophe mündet. Anders wäre die Wahl Rohanis nicht möglich gewesen. Rohani scheint behutsam, aber entschlossen vorzugehen.
Durch erste kleine Schritte im Bereich der Kultur, der Justiz und den Bürgerrechten hat er die innere Stabilität etwas gefestigt. Die Freilassung von rund hundert politischen Gefangenen und die Aussicht auf weitere Freilassungen, die Milderung des Drucks auf die Presse, die Aufnahme einiger Frauen in die Regierung haben die Gemüter beruhigt. Seine aussenpolitischen Positionen und seine Bereitschaft zu Konzessionen in der Atompolitik, sein Vermittlungsangebot im syrischen Konflikt sind nahezu weltweit begrüsst worden. Sollte er bald eine Lockerung der Sanktionen und damit eine Besserung der wirtschaftlichen Lage erreichen, wären ihm die Unterstützung der breiten Massen und die wohl widerwillige Duldung durch konservative Kräfte sicher. Andererseits ist er, um seinen Weg der «Klugheit und Hoffnung» fortsetzen zu können, auf rasche Erfolge angewiesen. Ansonsten wird er wie der Reformer Muhammad Chatami vor ihm scheitern.
Dass Rohani auf einem schmalen Grat wandert, zeigte schon sein angeblich spontanes Telefonat mit US-Präsident Barack Obama. Dieses reichte aus, um die Ultras im Iran auf den Plan zu rufen. Bei seiner Ankunft auf dem Teheraner Flughafen wurde er ausser von seinen jubelnden AnhängerInnen auch von eier- und schuhwerfenden Protestierenden empfangen. Die rechtskonservativen Zeitungen warfen ihm Anbiederung vor und warnten vor Missachtung der Prinzipien der Islamischen Revolution. Rohani habe gebettelt und sei dennoch mit leeren Händen zurückgekehrt, hiess es.
Rohani bietet dem Westen eine Chance, die dieser nicht, wie einst zur Regierungszeit des Reformers Muhammad Chatami (1997–2005), verpassen sollte. Damals war Chatami gemeinsam mit dem Atomverhandlungsführer Rohani zu weitreichenden Kompromissen bereit gewesen. Der Iran akzeptierte die Forderungen des Westens, für die Zeit der Verhandlungen die Urananreicherung auszusetzen. Die Zentrifugen wurden zwei Jahre lang stillgelegt. Auch kam die Regierung ihrerseits der Forderung nach, das Zusatzprotokoll zum Atomwaffensperrvertrag zu unterzeichnen, das unangemeldete Kontrollen der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) zu jeder Zeit und an jedem Ort erlaubt. Teheran leistete den USA im Krieg gegen den Irak und Afghanistan Unterstützung. Schliesslich erklärte Chatami die Bereitschaft seiner Regierung, das Votum des palästinensischen Volks für die Zweistaatenlösung anzuerkennen, was auf eine indirekte Anerkennung des Staates Israel hinausgelaufen wäre.
Lösungen nur mit Teheran
Doch die Reaktion des Westens, speziell der USA, war, die Forderungen hochzuschrauben und dem Iran das Recht zur Urananreicherung gänzlich abzusprechen. Zudem nannte Washington den Iran Teil der «Achse des Bösen» und «Schurkenstaat». Ergebnis waren das Scheitern der Reformer und die Machtübernahme Mahmud Ahmadinedschads.
Heute scheint sich die Einsicht im Westen durchgesetzt zu haben, dass das Regime in Teheran durch Sanktionen nicht zu bezwingen ist. Zudem hat der Iran dank der desaströsen Kriege in Afghanistan und im Irak erheblich an Macht und Einfluss gewonnen und ist zu einer regionalen Grossmacht aufgestiegen. Die Lösung der zahlreichen Probleme in Afghanistan, im Irak und im Libanon, in Syrien und auch in Palästina ist ohne die Zusammenarbeit mit Teheran kaum denkbar. Damit ist nicht nur der Iran auf den Westen, sondern auch der Westen auf den Iran angewiesen.
Rohani scheint es vorerst gelungen zu sein, sich trotz aller Widerstände im eigenen Land auf ein Spiel mit dem Westen einzulassen, das beiden Seiten zugutekäme. Scheitert er aber, wird das Regime in Teheran sehr bald zu den altbekannten Positionen zurückkehren.
Der iranisch-deutsche Publizist und Autor Bahman Nirumand schreibt regelmässig für die WOZ.