Basler Stadtentwicklung: Wo ist die Ballettschule?

Nr. 27 –

Wohin steuert Basel? Wer diktiert die Wohnbaupolitik? Und wo bleibt die Lebensqualität für jene, die nicht zum internationalen Kader der Pharmaindustrie gehören?

Seit Jahrzehnten beklagt man in Basel die Abwanderung. Von ungefähr 235 000 EinwohnerInnen in der bevölkerungsreichsten Zeit um 1970 schwand die Zahl auf heute knapp 190 000. Von der schrumpfenden Bevölkerungszahl sind die Kernstädte überall betroffen. Doch in Basel akzentuiert sich das Bild, weil die Kantonsgrenzen eng sind und die Stadt an zwei Seiten an die Landesgrenzen stösst. Der Bevölkerungsschwund des Kantons Basel-Stadt hat erhebliche Konsequenzen: Es fehlen Steuereinnahmen.

Aus diesem Grund gab es bereits in den achtziger Jahren Überlegungen, wie die Bevölkerungszahl wieder zu vergrössern wäre. Man suchte die Gründe für die Abwanderung und fand sie in der steigenden Überalterung, vor allem aber im damaligen Modetrend, «im Grünen» zu wohnen. Die weit gewichtigeren Gründe wurden eher heruntergespielt: der steigende Wohnraumbedarf für Familien und Einzelhaushalte etwa oder die niedrigen Steuern und Abgaben in benachbarten Gemeinden im In- und Ausland. Dem Bevölkerungsschwund versuchte man mit Wohnstrassen und andern Massnahmen zur Steigerung der Lebensqualität zu begegnen. Gleichzeitig aber nahm die Spekulation zu. Viel Wohnraum wurde zweckentfremdet und in Büros und Geschäfte umgewandelt. Ein wohnungspolitischer Widerspruch, der schliesslich zu gesetzlichen Regelungen gegen Zweckentfremdung von Wohnraum führte.

Mit dem Vormarsch des Neoliberalismus allerdings hat sich der Fokus von Stadtplanung und Wohnbaupolitik verändert: Es galt nun, für in Basel tätige Konzerne die besten Rahmenbedingungen zu schaffen. Im kulturellen Bereich buhlte man um internationales Ansehen; Stadtmarketing wurde plötzlich wichtig. Wohnlichkeit war nicht länger ein Thema – Urbanität war gefragt. «Stadtentwicklung» lautete das Zauberwort der offiziellen Stadtplanung und der gut funktionierenden Lobby aus Bauwirtschaft und Architektur, die sich darum gruppierte. Mit neuen Grossüberbauungen sollte neuer Wohnraum geschaffen werden. Und da der Platz fehlte, redete man von Verdichtung.

Plätze für den Plebs

Natürlich sollte sich Basel im Dialog mit der Bevölkerung entwickeln – das zumindest versprachen die politisch Verantwortlichen um die Jahrtausendwende. In der Werkstatt Basel suchten sie den Dialog mit den QuartierbewohnerInnen und nahmen deren Wünsche entgegen. Daraufhin wurden einige öffentliche Plätze saniert und ordentlicher gestaltet – über den ästhetischen Wert kann man sich streiten. Gleichzeitig konnte die Planung für einen Teil des frei werdenden Areals der Deutschen Bahn in Angriff genommen werden. Entstehen soll dort ein neues Wohnquartier, die Erlenmatt. Sie hat die Hürde der Volksabstimmung nur genommen, weil die Behörden eine gemischte Wohnzone und eine grosszügige neue Grünanlage in Aussicht gestellt haben.

Im Hintergrund allerdings mischten die Pharmaindustrie und – in ihrem Gefolge – die selbst ernannten Stararchitekten, Baufirmen und Investoren bereits kräftig mit. Die Basler Regierung – mittlerweile mehrheitlich rot-grün – spielte gehorsam mit. Zum Beispiel, als Novartis quasi aus dem Nichts heraus Anspruch auf das Hafenareal St. Johann erhob, das kurz zuvor durch einen politischen Entscheid stillgelegt worden war, um darauf einen eigenen «Campus» zu errichten. Der Pharmariese versprach im gleichen Atemzug, 10 000 neue Arbeitsplätze in Forschung und Management zu schaffen – und den nötigen Wohnraum für all die neuen, gut verdienenden Angestellten gleich dazu. Die Stadt hatte nur noch das fehlende Land herzugeben und die Baulinien zu ändern.

Macht Platz für die Anspruchsvollen

Und so geschah es: rasch und ohne grossen Widerstand. Zum Schluss schenkte der Kanton Basel-Stadt der Novartis noch eine Strasse dazu – die Zollfreistrasse Hüningen. Vormals als Verbindungsstrecke entlang dem Rhein von Autos und vor allem von Fussgängern und Velofahrerinnen benutzt, ist die Strasse nun für sie alle gesperrt. Und das Quartier Basel Nord harrt noch weiterer städteplanerischer Neuigkeiten: Grosse Wohnblöcke sollen entstehen und ein paar Anlagen und Plätzchen für die Öffentlichkeit aufgemöbelt werden. All das präsentiert der Kanton in schönen Broschüren mit verlockenden Bildern – die neu geplanten Grossbauten sind nur als Schemen sichtbar.

Es braucht Vorstellungskraft, um auch zu registrieren, dass viel Bestehendes verschwinden muss – vor allem Wohnraum von sogenannt niedriger Qualität, in dem heute ärmere Schichten leben. Es sei übrigens kein Schaden, wenn Basel-Stadt einen Teil der Sozialfälle verliere. Nur sagt man das lieber hinter vorgehaltener Hand. Mit einer Ausnahme: Basels neu ernannter «Stadtentwickler» Thomas Kessler wirbt zur Zeit als Wanderprediger in den Medien um Verständnis für die lebenswichtigen Interessen der Chemie und ihrer internationalen Managerinnen- und Forschergilde. Er scheut dabei nicht davor zurück, die kritischen Stimmen als kleinkarierte Kleinbürger zu beschimpfen.

Schliesslich sind die grossen Konzerne der chemischen Industrie auf hoch qualifizierte Leute aus aller Welt angewiesen. Man müsse ihnen die bestmögliche Wohnsituation bieten, sagt etwa Bettina Marcinkowski, Leiterin Rekrutierung von Hoffmann-La Roche. Die Forscher sind jung, haben oft eine Familie und Ehefrauen mit ebenfalls guter Ausbildung. Auch für sie müssen passende Anstellungen gefunden werden. Und die Kinder haben ebenso Ansprüche. Da sagt zum Beispiel eine Forschergattin, dass sie nur nach Basel ziehen werde, wenn es in dieser Stadt auch eine erstklassige Ballettschule für ihre Teenagertöchter gebe. Diese Leute wollten zudem möglichst zu Fuss zur Arbeit gehen können, sagt Marcinkowski. Und sie seien es gewohnt, im eigenen Haus mit viel Umschwung zu leben.

Die nächsten Auseinandersetzungen um den städtischen Raum sind also programmiert: Im Visier sind die Gegend rund um den Chemieriesen Hoffmann-La Roche und das Kinderspital. Letztlich geht es um den obersten Teil des Kleinbasler Rheinufers, dort, wo gegen den Friedhof Hörnli die vielen Schrebergärten sind. Aber mittlerweile läuft eine Initiative, die verhindern will, dass auch sie der Stadtentwicklung zum Opfer fallen. Die Basler Bevölkerung beginnt sich gegen den organisierten Grössenwahn vermehrt zur Wehr zu setzen – für eine wohnliche, vielfältige Stadt.
Linda Stibler lebt und arbeitet in Basel und verfolgt seit langem die städtebaulichen Veränderungen.

ETH STUDIO BASEL: «MetroBasel. Ein Modell einer europäischen Metropolitan-Region». Basel 2009. 12 Franken. Erhältlich am Kiosk oder bei www.biderundtanner.ch.

«MetroBasel»: Lifestyle und Herrscherblick



Städteplanerisches Wissen und Visionen für die Grossregion Basel, aufbereitet für ein breites Publikum: Das verspricht die im Mai erschienene Broschüre «MetroBasel», ein comicartig gestalteter Forschungsbericht der Studierenden des ETH-Studios Basel. Idee und Konzept stammen vom Stararchitektenduo Herzog und de Meuron. Auf Hochglanzpapier gedruckt, wiegt die Broschüre schwer in der Hand wie eine «Vogue» – ein städtischer Masterplan im Lifestyleformat.

Zwei Figuren, die Jean-Luc Godards Film «A Bout de Souffle» entnommen sind, führen durch die Fantasiewelten des ETH-Studios Basel: Die Städteplanerin Patricia und der ausgesprochen begeisterungsfähige Michel, der all ihre Ausführungen mit einem «Wow!» kommentiert. Trotz des anbiedernd jugendlichen Slangs entpuppt sich die Darstellungsform als blosse Simulation eines Dialogs. Bestaunen lässt sich in der Broschüre vor allem die Wiederkehr der Renaissancebaumeister im popkulturellen Gewand. Der Blick von oben als historische Perspektive aristokratischer Macht feiert Urständ: Wohl zwei Drittel aller Abbildungen sind dieser Blickweise verpflichtet.

In «MetroBasel» entspricht dem Blick von oben eine sozialwissenschaftliche Methodik, welche die EinwohnerInnen als blosse Chiffren wahrnimmt. Das städtische Alltagsleben entzieht sich den in visionären Höhen schwebenden urbanistischen Drohnen. Die können zwar vorgeben, nicht primär an abstrakten stadtplanerischen Theorien interessiert zu sein. Tatsache aber ist: Ihre Behauptung, die Region zu untersuchen, «indem wir schauen, was die Menschen in ihr machen», bleibt leeres Wort. Statistiken, Diagramme und Typologien ersetzen Beobachtungen und Gespräche auf dem Boden städtischer Realität, die den alltäglichen Wünschen und Sorgen den EinwohnerInnen eine Stimme verleihen könnten. Dieses Manko an ethnografischer Bodenhaftung zeitigt problematische Schnellschüsse – beispielsweise wenn die PlanerInnen festzustellen glauben, dass Schrebergärten heute nicht mehr genutzt würden, und nonchalant vorschlagen, an deren Stelle attraktive Eigentumswohnungen zu errichten.

Entsprechend gross ist auch die soziale Distanz zwischen StadtplanerInnen und EinwohnerInnen in «MetroBasel». Gleich auf der ersten Seite bekennt sich die Urbanistin Patricia als dem internationalen Jetset angehörig: Im Flugzeug kehrt sie von einem Wochenendtrip aus Paris zurück. Globale Metropolen sind denn auch die Vorgaben, an denen das imaginierte neue Basel Mass nehmen soll – die Stadt am Rheinknie wirkt ohne Central Park und Upper East Side schlicht zu provinziell. Urbanistische AkteurInnen scheinen im «dörflichen» Basel eine Strafe absitzen zu müssen. Einzig während der «Art Basel» dürfen sie ein bisschen den Duft der weiten Welt schnuppern.

Da überrascht kaum, was Patricia als drückendes Alltagsproblem umtreibt: das mangelhafte Shoppingangebot Basels. Die weltläufige Stadtplanerin vermisst Highend-Shops à la Barneys New York ebenso wie kleine Designerläden. Ihr urbanes Heilsempfinden erlebt sie folgerichtig in einem sogenannten Guerillashop - einem nur temporär bestehenden Laden: «Da hatte sie nicht nur die schönsten Kleider gesehen, sondern auch interessante Leute und Designer getroffen. Basel erschien ihr da viel offener und spannender. Wenn es solche Läden und Events nur häufiger geben würde ...»

Klarer kann man die Funktion des Kreativmilieus als Motor von Gentrifizierung wohl kaum benennen. Was waren schon wieder Michels letzte Worte in der dramatischen Schlussszene von «A Bout de Souffle»? «C’est vraiment dégueulasse» – «Das ist wirklich zum Kotzen».

Tobias Scheidegger