Michael Jackson (1958–2009): Bloss nicht so ein Mann

Nr. 27 –

Doch schwarz? Nicht weiss genug? Kaum hat sich der «King of Pop» endgültig zu Tode geschrumpft, glaubt schon jeder, alte Rechnungen begleichen zu können.

Arnold Schwarzenegger hat es getan. Auch Sophia Loren, Udo Jürgens und Uri Geller haben es getan. Terminator, Diva, Schlagersänger oder Löffelverbieger – zum Tod von Michael Jackson haben sie alle was zu sagen. Kaum ist der Zombiekörper kalt, da möchte man den armen Kerl verteidigen gegen die Flut der Krokodilstränen. Notdürftig verpackt in vergiftete Komplimente wird in vielen Nachrufen die Authentizität und «street credibility» der Kunstfigur Jackson infrage gestellt. Den Vogel schiesst die «Frankfurter Rundschau» ab: «Die Könnerschaft liess an der Glaubwürdigkeit des Künstlers zweifeln: Wer so souverän über seine musikalischen Mittel verfügt, kann es mit den Inhalten nicht so ernst meinen.»

Da ist er wieder, der hart mit sich und dem Material ringende Künstler, der dringend den Inhalt (seines Hirns? Seiner Seele? Seines Magens?) loswerden muss, dass er keine Zeit hat für musikalische Raffinessen. Auch andere nutzen Jacksons Tod, um alte Rechnungen zu begleichen. Der King of Pop ist tot, ab sofort wird wieder gerockt: authentisch, erdverbunden, strassenkredibel. Bei vielen Nachrufen spürt man die Erleichterung, dass man den Extremisten der Massenkultur endlich los ist. Den Exzentriker, der trotz seiner Macken von den Massen geliebt wird wie von Kindern. Geliebt, wie Kinder geliebt werden. Endlich sind wir die Zumutung des Hybriden los, müssen nicht mehr die Polyvalenzen ertragen, das ohne anständigen Begründungsüberbau performte Surfen, Switchen und Morphen zwischen den Polen von Geschlecht, Alter und Rasse.

«Nach dem Tod ist Jackson plötzlich wieder schwarz», titelt leicht indigniert der «Tages-Anzeiger» im Netz. «Die Schwarzen» würden ihn wieder für sich beanspruchen, wo sie ihm doch vorgeworfen hatten «seine Wurzeln zu verleugnen». Auch weissen Linken war Michael Jackson nicht mehr schwarz genug. Dass ein Schwarzer seine Haut zu Markte trägt, ist ja schon schlimm, aber dass ein Schwarzer seine Haut bleicht und auf den weissen Markt trägt, das ist vielen negrophilen AntirassistInnen ein Dorn im Auge. Die sehen im globalen Superstar weniger Peter Pan als Onkel Tom. Der verleugnet seine «Wurzeln», dem fehlt der «authentische» Stallgeruch, der predigt hedonistische Verausgabung und Weltheilungskitsch, anstatt die Diskriminierung der Schwarzen vollinhaltlich anzugreifen. Diese Kritik bedient uralte rassistische Stereotype des unverbildeten, sexuell potenten Negers und begegnet Barack Obamas Postulat einer postrassistischen Gesellschaft fassungslos.

«Es ist egal ob du schwarz bist oder weiss», singt Jackson 1991 in «Black or White», einer seiner letzten Universalhits. Da hat er längst angefangen, von Black nach White zu morphen. Die Veränderungen werden zunächst ohne Argwohn quittiert. Schliesslich gehören das Verschlanken von Nasen, der pharmazeutisch gestützte Aufbau von Muskeln und das Bleichen der Haut zur alltäglichen Aussehensarbeit vieler AfroamerikanerInnen. Und die Haare! «Bei der Menge von Schwarzen, die sich die Haare entkrausen lassen, ist es ein Wunder, dass wir statt für Martin Luther King nicht einen Nationalfeiertag für Madame C. J. Walker haben, die Erfinderin der Entkrausmethode», meint der schwarze Literaturwissenschaftler Henry Louis Gates.

Wann aber schlägt die Arbeit am Aussehen um ins Anormale? Schon bei Pamela Anderson, die ihren Busen zur Trademark ausbaut? Oder erst bei Lolo Ferrari, Oberweite 213 cm, Medizinbälle, in Grösse und Inhalt. Von Ferrari, die an ihren Markenzeichen starb, ist ein Satz überliefert, den auch Jackson gesagt haben könnte: «Ich hasse die Realität, ich möchte ganz und gar künstlich sein.»

Die Realität: Getrieben von einem despotischen Vater wird Michael im Kindergarten zum Popstar und singt Liebeslieder. «I Want You Back» wird die erste Nummer eins der Family-Band Jackson Five, da ist Michael elf. Sexuelle Aufklärung erlebt er auf Tour, wenn die älteren Brüder sich mit Groupies vergnügen, angeblich auch Vater Joe. Die Aussicht, ein Mitglied der Männerwelt zu werden, mit seinem Körper und seiner Stimme dieselben Dinge zu tun wie seine älteren Brüder, ist beängstigend. Schon früh kämpft Michael dagegen an, so ein schwarzer Mann zu werden. Seine Weigerung, den Stimmbruch als Eintritt in einen neuen Aggregatszustand des Körpers zu akzeptieren, trägt zum universalen Appeal seiner Musik bei. Die übergeschlechtliche Stimme bietet sich Kindern zur Identifikation an.

Künstlerisch korrespondiert Jacksons Weigerung, ein Mann zu werden, mit seiner Unfähigkeit, das seit den frühen Neunzigern dominante Zeichensystem Hip-Hop in seine Musik zu integrieren. Nicht das einzige Dilemma, das er mit seinem ewigen Antipoden Prince teilt. Beide waren Repräsentanten einer androgynen Pop-Ära, in der, so das Versprechen, auch die Hautfarbe kein Problem sein sollte. Als diese Versprechen nicht eingehalten werden, setzt eine massive Remaskulinisierung ein. Hip-Hop wird der Soundtrack zum alltäglichen Überlebenskampf, der muskulös aufgerüstete Ego-Fighter zum Rollenmodell. Gegen den Körperpanzer von Rappern wie 50 Cent wirkt der entblösste Oberkörper von Prince wie eine Hühnerbrust. Und Michael Jackson schrumpft sich zu Tode. Dass jetzt Hip-Hop-Granden wie Sean «P. Diddy» Combs und Def-Jam-Gründer Russell Simmons besonders laut «Er war einer von uns» rufen, ist eine weitere Ironie der Geschichte.

Michael Jackson hat – auf seine Art – versucht, die Grenzen der Natur, aber auch die Barrieren seiner Gesellschaft zu überschreiten. Dass er daran gescheitert ist, das feiern Konservative als Triumph der gottgegebenen Ordnung.