Film «Straight Outta Compton»: Ein endloses Schulterklopfen
N.W.A trugen Ende der Achtziger den brutalen Alltag im Schwarzenviertel von Los Angeles in die Öffentlichkeit. Der Film «Straight Outta Compton» zeigt: Dr. Dre und Co. haben daraus vor allem für sich selbst Kapital geschlagen.
Bereits am Eröffnungswochenende spielte «Straight Outta Compton», ein Film über den Aufstieg der schwarzen Rapformation N.W.A (Niggaz wit’ Attitude), in den USA über sechzig Millionen Dollar ein – und die KritikerInnen sind voll des Lobes. Das ist nicht ohne Ironie: Wo N.W.A in den achtziger Jahren mit Reimen wie Pistolenschüssen ZensorInnen bis hin zum FBI aufscheuchten, applaudiert man heute also «Fuck tha Police». Und das ausgerechnet während hitziger Diskussionen um Polizeigewalt gegen Schwarze in Ferguson und anderswo.
Vielleicht liegt es ja daran, dass «Straight Outta Compton» inmitten dieser Debatten das erniedrigende und brutale Vorgehen der Polizei im schwarzen Ghetto von Los Angeles zwar immer wieder zeigt, es aber kaum in einen gesellschaftlichen Kontext einbettet. Vielmehr trägt der zweieinhalbstündige Film von F. Gary Gray über weite Strecken die Züge eines Musikclips, in dem alles um die Freundschaft zwischen den fünf jungen Rappern Ice Cube (gespielt von seinem Sohn O’Shea Jackson Jr.), Dr. Dre (Corey Hawkins), Eazy-E (Jason Mitchell), MC Ren (Aldis Hodge) und DJ Yella (Neil Brown Jr.) kreist: wie sie gemeinsam den Durchbruch schaffen, wie sie im Streit auseinanderbrechen, als Ice Cube und Dr. Dre Solokarrieren starten, und wie sie schliesslich über Eazy-Es frühen Aidstod wieder zusammenfinden.
Unbedingt authentisch
Alles in allem ist das die uramerikanische Erfolgsgeschichte, die vom Underdog zum Millionär führt. Oder eben zum Multimilliardär: Als Dr. Dre seine Kopfhörerfirma Beats an Apple verkaufte, wurde er auf einen Schlag um drei Milliarden Dollar reicher – mehr, als je ein Musiker vor ihm in einem einzigen Jahr verdient hat. Wer wollte da länger bestreiten, dass der amerikanische Traum auch armen Schwarzen aus dem Ghetto offensteht?
«Straight Outta Compton» jedenfalls will das nicht – ganz im Gegenteil: Die vier verbleibenden N.W.A-Mitglieder waren bis ins kleinste Detail an der Produktion des Films beteiligt, um sicherzustellen, dass die Geschichte ganz in ihrem Sinn gestaltet wird. «Authentisch» also, was für sie bedeutet: genau so rüberkommen wie damals, vor allem, was Äusserlichkeiten wie Auftreten und Stil betrifft. Von den schwarzen Bomberjacken und Mützen der Los Angeles Raiders über die gegelten Lockenfrisuren (den Vokuhila gabs auch in Afrovariante) bis hin zum Rappen vor Publikum. Ice Cube erzählt, er habe mitunter die Dreharbeiten am Set unterbrochen, um sicherzustellen, dass die Körperhaltung beim Rappen stimmte. Der Wille zur ethnografischen Dokumentation zeigt sich darüber hinaus in komplizierten Handshakes, endlosem Schulterklopfen und weiteren Ritualen zur gegenseitigen Versicherung der eigenen Männlichkeit, bis hin zu Einschüchterung und Gewalt.
Ähnlich gingen bereits die Black Panthers Ende der sechziger Jahre vor, um dem Anspruch auf Black Power ein Gesicht zu geben: Den Cops im Ghetto traten sie mit Beret, schwarzer Lederjacke und offen getragener Waffe gegenüber und forderten die Polizei in verbalen Showdowns heraus. Anders als N.W.A aber taten sie dies aus politischem Kalkül und mit dem Gesetzbuch in der Hand. Sie wollten damit auf die Polizei als Teil einer Besatzungsmacht aufmerksam machen, deren Rolle es ist, den institutionellen Rassismus des Systems aufrechtzuerhalten und die schwarze Ghettobevölkerung so in einem Teufelskreis aus schlechter Schulbildung, Arbeitslosigkeit und Wohlfahrtsabhängigkeit gefangen zu halten. Und sie suchten diesen Rassismus mit eigenen Schulen, einem Frühstücksprogramm für Kinder, kostenlosen Spitälern und weiteren Programmen für die schwarze Ghettobevölkerung zu brechen.
Die Wiederholung der Gewalt
Dieser basispolitische Impetus geht N.W.A vollkommen ab. Lieber zelebrieren sich Ice Cube und Dr. Dre in «Straight Outta Compton» an ausschweifenden Poolpartys in Luxusvillen und mit Goldketten, aufgepumpten Sportwagen und einer endlosen Zahl an Frauen als Accessoires. Das mag ihrem Verständnis von Authentizität entsprechen, wie auch der Umstand, dass es keine Minute dauert, bis die erste Frau im Film als «bitch», Schlampe, bezeichnet wird.
Dass dieses Verständnis von Authentizität nicht immer deckungsgleich ist mit den realen Vorkommnissen in jener Zeit, darauf haben in den vergangenen Wochen gleich mehrere Frauen aus dem damaligen Umfeld von N.W.A hingewiesen. Ihnen geht es nicht nur um verbale Erniedrigungen, sondern um physische Misshandlungen und Gewalt, die sie von N.W.A-Mitgliedern erfahren mussten. Und darum, dass nichts davon Eingang in den Film gefunden hat.
«Zwischen der Unterdrückung schwarzer Männer und der Gewalt, die schwarze Männer an schwarzen Frauen verüben, besteht ein direkter Zusammenhang», schreibt etwa Dee Barnes, die damals eine Hip-Hop-Show am Fernsehen moderierte und von Dr. Dre im Januar 1991 brutal attackiert wurde, weil ihm ihre Berichterstattung über N.W.A missfallen hatte. «Es ist ein Teufelskreis aus Viktimisierung und Wiederholung von Gewalt, der seine Wurzeln im Rassismus hat und durch das Patriarchat fortgeschrieben wird.»
Leider bleiben auch «Straight Outta Compton» und seine Protagonisten in dieser Logik gefangen, statt sie zum Thema zu machen. Sie entlassen so das weisse Mainstreampublikum aus dem Kino, ohne dass es sich mit seiner eigenen Verstrickung in Rassismus und Gewalt gegen Schwarze auseinandersetzen müsste.
Ab 27. August 2015 im Kino.
Straight Outta Compton. Regie: F. Gary Gray. USA 2015