Kinderrechte: Was ein Kind lernt, das geschlagen wird
Den Hintern versohlen ist in der Schweiz erlaubt. Gewalt an Kindern hat ja nichts mit Jugendgewalt zu tun. Oder doch?
Rumänien hats. Die Ukraine hats. Kroatien ebenfalls. Deutschland seit 2008. Und Schweden, schon seit dreissig Jahren. Die Rede ist von einem Gesetz, das es nicht nur LehrerInnen und externen Betreuungspersonen, sondern auch Eltern verbietet, ihr Kind zu schlagen. Die Schweiz kennt im Gegensatz zu neunzehn europäischen Staaten kein derartiges Gesetz; bei uns verlangt die Bundesverfassung nur grundsätzlich, dass Kinder zu schützen seien. Das Strafgesetzbuch verbietet Erziehungsberechtigten zwar, ihre Kinder mit Massnahmen zu züchtigen, die «das allgemein übliche und gesellschaftlich geduldete Mass überschreiten», ansonsten erlaubt es aber Körperstrafen an Kindern. Und nur an Kindern. Bei Erwachsenen gilt bereits eine einzige Ohrfeige als Tatbestand.
Diese Diskriminierung wollte die inzwischen zurückgetretene Nationalrätin Ruth-Gaby Vermot-Mangold (SP) mithilfe einer parlamentarischen Initiative aufheben. Sie verlangte, dass Gewaltfreiheit klar als Grundsatz für die Erziehung im Zivilgesetzbuch (ZGB) verankert wird. Im Dezember 2008 schickte der Nationalrat den Vorstoss mit dem Argument bachab, es brauche kein weiteres Gesetz zum Schutz der Kinder.
35 000 geschlagene Kleinkinder
Kinder werden in der Schweiz aber nach wie vor häufig geschlagen. Ein Vergleich zweier Studien – eine aus dem Jahr 1990 und die zweite von 2004 – zeigt zwar, dass Körperstrafen leicht zurückgegangen sind, aber immer noch in «bemerkenswertem Umfang» angewendet werden. Am häufigsten werden Kinder zwischen zweieinhalb und vier Jahren geschlagen, aber auch bei den kleinsten, den unter zweieinhalb Jahre alten, sind es hochgerechnet 35000 schweizweit, die «manchmal» bis «sehr häufig» mit Schlägen auf den Hintern bestraft werden. Aus den Erhebungen geht hervor, dass Eltern, die in ihrer Jugend selber körperlich bestraft wurden, später ebenfalls eher zu dieser Erziehungsmethode neigen. Die Befunde lassen ausserdem darauf schliessen, dass Zusammenhänge «zwischen dem Bestrafungsverhalten der Eltern, insbesondere der Anwendung von Körperstrafen, und der Problemauffälligkeit der Kinder» bestehen. Konkret: Wer als Kind Gewalt erlebt hat, wird als Jugendlicher eher negativ auffallen.
Doch die Jugendkriminalität als Argument nutzten nicht die VerfechterInnen eines Gesetzes zum Verbot von Gewalt an Kindern, sondern dessen GegnerInnen. Es sei die «Kuschelpädagogik», die zu Jugendgewalt führe, behaupteten die Rechten auch da. Franz Ziegler, Psychologe und seit vielen Jahren Kinderschutzexperte, befürchtet, dass ein Gesetz zum generellen Gewaltverbot an Kindern im Parlament auch in absehbarer Zukunft keine Chance haben wird: «Sämtliche wissenschaftlichen und anderen Erkenntnisse werden von der Mehrheit der Politiker einfach ignoriert. Etwa, dass achtzig Prozent der Eltern, die schlagen, selber zum Schluss kommen, dass diese Erziehungsmethode nichts bringe, und weitere zehn Prozent glauben, dass es die Beziehung eher noch verschlechtere. Oder dass Schläge körperliche wie psychische Spuren hinterlassen, dass das Vertrauen in andere und auch das Selbstvertrauen grossen Schaden nehmen kann.» Letztlich, so Ziegler – der nicht müde wird, Aufklärungsarbeit zu leisten, die hierzulande so gar nicht zu interessieren scheint –, stelle sich auch die Frage: «Was lernt ein Kind, das geschlagen wird?» Und die Antwort darauf: «Gewalt. Und dass sich damit Stärkere gegen Schwächere durchsetzen können.»
Schwierige Sensibilisierungsarbeit
Die Kinderlobbyorganisationen wollen ihre Aufklärungs- und Kampagnenarbeit trotz des Misserfolgs auf politischer Ebene weiterführen. Zwar beendete Terre des hommes Kinderhilfe (Lausanne) vergangene Woche mit einer Tagung zum Thema Körperstrafen ihr Engagement auf diesem Gebiet (und generell in der Schweiz – siehe WOZ Nr. 33/09). Und noch ist offen, ob eine andere NGO die Arbeit übernehmen wird. Aber laut der Nationalrätin Jacqueline Fehr (SP) gebe es auch beim Verein Kinderschutz Schweiz, den sie präsidiert, Diskussionen, das Thema nach dem Rückzug von Terre des hommes wieder aufzugreifen. Den Kreis der BefürworterInnen des Gewaltverbots werde man allerdings über die Erziehungsdebatte nicht erweitern können, vielmehr müsse man den Fokus ändern und das Thema künftig in einem grösseren Zusammenhang angehen, über Fragen wie «Was heisst Gewalterfahrung für das Kind?». Und da kommt dann auch die Jugendgewalt wieder ins Spiel. Fehr sagt: «Der Zusammenhang ist eindeutig.»