Kinderschutz: Gewalt gegen Kinder ist keine Privatsache

Nr. 49 –

Eltern wollen es eigentlich nicht und tun es dann doch: Sie schlagen ihrem Kind auf den Hintern, verpassen ihm eine Ohrfeige, beschimpfen, erniedrigen oder drohen. Fast jedes zweite Kind in der Schweiz erlebt zu Hause körperliche oder psychische Gewalt, wie eine neue Studie der Universität Fribourg zeigt, die das Bestrafungsverhalten von Eltern untersucht hat. Die Zahl ist erschreckend hoch. Doch Kinder hierzulande haben noch immer kein explizites Recht auf eine gewaltfreie Erziehung. Um die bestehende Gesetzeslücke zu schliessen, will Mitte-Nationalrätin Christine Bulliard-Marbach mit einer Motion die gewaltfreie Erziehung im Zivilgesetz festhalten. Der Nationalrat hat der Motion zugestimmt, der Ständerat wird voraussichtlich am 14. Dezember darüber abstimmen.

Der Bundesrat allerdings empfiehlt sie – schwer nachvollziehbar – zur Ablehnung. Die bestehenden Gesetze würden das Kind bereits genügend vor Gewalt in der Familie schützen, argumentiert er; es könne «nicht Aufgabe des Staates sein, den Eltern weitere Erziehungsvorschriften zu machen». Betrachtet man aber die Resultate der Fribourger Studie, wird klar, dass Erziehungsvorschriften nötig sind. So gab fast jede zweite befragte Person an, «Anschreien» und «Anbrüllen» seien gesetzlich erlaubt. Fast 9 Prozent halten es für rechtens, das Kind an den Ohren zu ziehen, und knapp 7,5 Prozent, ihm eine «leichte» Ohrfeige zu verpassen. Würden diese Handlungen in einer Beziehung zwischen Erwachsenen stattfinden: Wir sprächen von häuslicher Gewalt. Tatsächlich mussten 2021 1656 Kinder aufgrund von «Erziehungsmassnahmen» auf Kindernotfallstationen von Spitälern behandelt werden.

Gewalt gegen Kinder wird mit einem neuen Gesetzesartikel nicht verschwinden. Ein solcher hätte jedoch präventiven Charakter: Rund 12 Prozent der von der Uni Fribourg befragten Eltern sagten, dass sie bei einer gesetzlichen Verankerung des Rechts auf eine gewaltfreie Erziehung ihr Erziehungsverhalten ändern würden. Der Ständerat hat jetzt die Möglichkeit, ein deutliches Signal zu setzen: Erziehung ist Privatsache, Gewalt gegen Kinder jedoch nicht.