Marlen Haushofer: Die Wand
Ein bisschen Robinson, ein bisschen Arche Noah, vor allem aber eine Geschichte übers Leben und Überleben in der Allgegenwart von Tod, Verlust und dem ständigen Bewusstsein, dass alle Anstrengung sinnlos ist: Marlen Haushofer publizierte «Die Wand» 1963, unverständlicherweise mit bescheidenem Erfolg. Auch wenn sie posthum entdeckt und gewürdigt wurde, steht ihre Einreihung in die «Galerie der Klassiker», wie es Klaus Antes im Nachwort fordert, noch aus.
Die Erzählung beginnt mit einem surrealen Ereignis, das einen beklemmenden Thriller einzuleiten scheint. Eine Frau findet sich über Nacht in einem abgelegenen Tal in den Alpen eingesperrt, vom Rest der Welt durch eine unsichtbare Wand abgeschnitten. Was als kurzer Erholungsurlaub gedacht war, wird zur existenziellen Bewährungsprobe, deren Ende mit dem Tod der Protagonistin abzusehen ist. Doch obwohl der Wahnsinn «vielleicht die einzig normale Reaktion» auf diese ausweglose Situation wäre, beginnt sich die Städterin in der Natur zurechtzufinden. Eine Handvoll Bohnen, ein paar Kartoffeln, eine Flinte und ein Wald voller Wild, vor allem aber die Sorge um ihre Tiere – Hund, Katze und Kuh, die mit ihr eingesperrt sind – wecken in ihr Fähigkeiten, die das Ende immer weiter hinauszögern. Statt einer Chronik übers Sterben hinterlässt sie mit ihrem minuziösen Bericht ein Zeugnis von der unvernünftigen, aber unbezwingbaren Liebe zum Lebendigen: «Es gibt Stunden, in denen ich mich freue auf eine Zeit, in der es nichts mehr geben wird, woran ich mein Herz hängen könnte. Ich bin müde davon, dass mir doch alles wieder genommen wird. Es gibt keinen Ausweg, denn solange es im Wald ein Geschöpf gibt, das ich lieben könnte, werde ich es tun.»
Die Wand, die zu Beginn als bedrohliches Mysterium im Mittelpunkt steht, tritt immer mehr in den Hintergrund. Sie ist nur Mittel zum Zweck: Mit ihr schafft Haushofer eine ganz und gar künstliche Versuchsanordnung, in der sie die Beziehung des Menschen zum Tier, zur Natur, zu sich selbst und zur Literatur erkunden kann.
Marlen Haushofer: Die Wand. Ullstein Taschenbuchverlag. Berlin 2009. 288 Seiten. Fr. 16.90