Chuck Palahniuk: Freestyle-Rapper auf Bacardi-Cola

Nr. 45 –

Der US-amerikanische Kultautor legt seinen zehnten Roman vor. Er macht es seinen Fans nicht einfach: «Bonsai» ist unterhaltsam, aber – und dies ist kein Widerspruch – unlesbar.


Wer Chuck Palahniuk nicht kennt, dem kann verziehen werden. Nicht, weil man ihn nicht kennen müsste: Jeder einzelne seiner Romane war ein Bestseller, und die Verfilmung seines Erstlings «Fight Club» findet sich in der DVD-Sammlung (fast) jeder westeuropäischen Phil.-I-StudentInnen-WG. Sondern weil eingeschworene LeserInnen ganz froh darüber sind, wenn sie nicht aus den Tageszeitungen, sondern von finsteren Gestalten in der Schmuddelecke einer Kleinstbuchhandlung erfahren, dass «er» ein neues Buch geschrieben hat.

Wer regelmässig Bücher von Palahniuk liest, ist einiges gewohnt. Zum Beispiel, sich jedes Mal wieder von neuem mit einem Autor anfreunden zu müssen, dessen Stil so einzigartig einfach ist, dass er geradeso gut Fernsehwerbespots schreiben könnte. Oder Promi-Interviews. Jeder Absatz ist ein Stück Prosalyrik, jedes Kapitel eine Kurzgeschichte. Wie kaum ein Prosaist legt er «Punchlines», als ob er ein Freestyle-Rapper auf Bacardi-Cola und Speed wäre. Dabei durchsetzt er die Texte immer wieder mit nichtfiktionalen Aufzählungen und Aneinanderreihungen von Anekdoten, die jedem seiner Werke einen eigenartig traumhaften Fluss verleihen.

Ins dunkle Herz der USA

Der Haken liegt – zumindest in den bisherigen Werken – auch nicht im Stil, sondern in den Geschichten selber. Palahniuk geht immer nach dem gleichen Schema vor: Er konstruiert einen Aussenseiter, der sich vom Rand der Gesellschaft auf eine (innerliche) Reise durch die moderne USA macht – um am Ende festzustellen, dass er eigentlich das Herz dieser Gesellschaft ist. Palahniuks Figuren sind dementsprechend auch ein Sammelsurium der Kuriositäten, die in ihrer Gesamtheit normaler nicht sein könnten: ein Bürolist, der aufgrund von Schlafmangel eine gespaltene Persönlichkeit entwickelt und illegale Boxklubs gründet. Ein Model, das an der Tatsache scheitert, dass es nur über sein Äusseres wahrgenommen wird, und sich deswegen den Kiefer wegschiesst. Ein Pornostarlet, das seinen eigenen Selbstmord in Form eines Gangbang-Rekordversuchs tarnt. Der letzte Überlebende einer Selbstmordsekte, der – ohne dass er viel dazu beiträgt – zum nächsten Messias hochstilisiert wird. Oder der Junge, der sich jedem nur erdenklichen Schlangengift aussetzt, damit zum grössten Auslöser einer epidemischen Krankheit wird, bei einem illegalen Autorennen vermeintlich ums Leben kommt, in Wirklichkeit aber in der Zeit zurückreist, um all seine Vorfahren zu töten und damit unsterblich zu werden. Wirr genug? Von wegen.

In «Bonsai» nimmt sich Palahniuk erstmals einer politisch eingefärbten Story an: Agent 67, eine voll ausgebildete Kampfmaschine, ausgerüstet mit allen Techniken und Taktiken von Tod und Terror, wird als Austauschstudent in eine ungenannte US-amerikanische Kleinstadt eingeschleust. Zusammen mit anderen Agenten des ebenfalls ungenannten, aber offensichtlich kommunistisch-faschistisch regierten Schurkenstaats soll er in der «Operation Chaos» Rache nehmen für die vermeintlichen terroristischen Angriffe des «verkommenen kapitalistischen Systems» gegen sein Heimatland. Natürlich ist das nicht ganz so einfach. Denn erstens stellt sich heraus, dass die eingeschleusten Agenten nicht ganz resistent sind gegen die hirnzersetzenden Einflüsse des US-amerikanischen Staates – mit jedem idiotischen Popsong oder Werbespot, den sie hören, vergessen die Agenten eine Fremdsprache oder ein Rezept für biologische Waffen. Und zweitens ... nun, es wäre kein Palahniuk-Roman, wenn nicht auch noch eine wunderschön kitschige Liebesgeschichte darin verpackt wäre. Und ein Schulmassaker. Und Dildos. Viele Dildos.

Erzählt wird die Geschichte in Form von Berichten, welche Agent 67 (der von seiner Gastfamilie den Übernamen Bonsai erhält, vielleicht als Form kapitalistischer Aneignung oder einfach, weil sie seinen richtigen Namen nicht aussprechen können) in seiner fragmentierten Sprache an die Geheimdienstzentrale seiner Heimat schickt: «Mann, alte Pferchtier, stirbt an zu viel Blut in Beinvenen. Ganztag stehen, irgendwann muss Toilette gehen, ratsch-peng, Gerinnsel in Hirn und kaputt.» Oder auch: «Für Protokoll, Eingeweide von Agent Ich viel heftig angewidert von Verschlingen typische Nahrung in amerikanische Haushalt. (...) Eingeweide ganze Zeit ewig herausgefordert von Lasagne, Burrito, Kuchen, Windbeutel. Alle Schönheit geschaffen von Gottheit muss an Ende passieren amerikanische Mund, Verdauungstrakt und Anus.»

Spätestens bei so einer Passage fragt man sich, welche Flüche und Krankheiten der deutsche Übersetzer Werner Schmitz Palahniuk wohl an den Hals gewünscht hat.

Satire über den Kalten Krieg

Natürlich hat das Ganze einen Plan, den man auch als Nicht-Palahniuk-LeserIn noch nachvollziehen kann: Mit der fremdartigen Darstellung der so banal bekannten USA erhält jedes kleinste Detail eine andere Einfärbung. Ein Supermarkt sieht plötzlich ganz anders und bedrohlich aus, und als LeserIn ist man immer wieder bemüht, die zunehmende Sympathie mit dem potenziellen Massenmörder Bonsai nicht zu gross werden zu lassen.

Dass das Buch mit Zitaten totalitärer Führerfiguren von Hitler über Mao bis Idi Amin vollgepackt ist, die sich Palahniuk von Fans zuschicken liess (Mussolini-Zitate seien die besten gewesen, meinte er in einem Interview), womit das platte Schwarz-Weiss-Bild zweier entgegengesetzter Systeme endgültig ad absurdum geführt wird, macht das Buch zur besten Satire über den Kalten Krieg, die man seit langem lesen durfte – wenn man denn bis zum Ende durchhält. Aber eine Tortur ist es zeitweise. Ein «‹Finnegans Wake› light» aber, wie das ein Onlinerezensent behauptete, ist das auf keinen Fall.

Chuck Palahniuk: Bonsai. Roman. Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz. Goldmann. München 2009. 254 Seiten. Fr. 30.90