Zugezogen Maskulin: «Ihr wollt Hip-Hop so wie früher?»
«Alles brennt» von Zugezogen Maskulin ist vermutlich die Rapplatte des Jahres. Ganz sicher aber ist sie ein grossartiger Soundtrack zum Untergang im neoliberalen Wahnsinn.
Auf den zweiten Blick ist es nur logisch, dass dieses Album bei Buback erschienen ist, dem Hamburger Label, dessen Künstler wie F. S. K., Die Goldenen Zitronen, Tocotronic oder Blumen am Arsch der Hölle in dieser Zeitung regelmässig Spalten und ganze Seiten füllen.
Auf den ersten Blick: Harter Rap aus Berlin namens Zugezogen Maskulin? Wie bitte? Aber die neuste Verpflichtung ist ein Glücksfall für das Label, weil sie künstlerisch den Kreis schliesst zu den grossen Goldenen Zitronen, die sich dem Stammpublikum irgendwann schon allein in der musikalischen Form verweigerten, um nicht in die Falle zu laufen, in die viele andere Bands tappten, die in ihren Texten auch irgendwie Deutschland abschaffen wollten, aber dabei sehr, sehr deutsch klangen.
Zugezogen Maskulin aus Berlin machen Trap, sagen wir Hardcore-Hip-Hop, aber das ist nicht sperrig, nicht kompliziert, musikalisch ist das keine Verweigerung, im Gegenteil: Auf dem Stück «Endlich wieder Krieg» werden wir mit gesampelten Gewehrschüssen zum Tanz aufgefordert. Doch der Kreis schliesst sich anderswo: Die beiden Rapper Testo und Grim104 wiegeln uns zwar mit einer sehr wütenden Scheibe auf, sagen uns aber nicht, in welche Richtung wir rennen sollen. Nur eines ist dabei schon immer klar: Wenn um sich getreten wird, dann von unten nach oben, von links nach rechts. Mehr muss man ja auch gar nicht wissen.
Und während der Name des einen, Testo, so klingt, wie der Typ auch aussieht, bezeichnet sich Grim104 als «der Schwuli von ZM», der im Backstage mit dem Rapper der Vorgruppe rummacht inmitten einer kinnbärtigen und ziemlich abgelutschten Hip-Hop-Testosteron-Armada. Der eine posiert auf dem Pressebild als Fred-Perry-Exskinhead mit Baseballschläger, der andere mit Tuntenhündchen.
Wie das alles gemeint ist? Ernst hoffentlich! Und selbst wenn Zugezogen Maskulin nur eine Satire wären auf die Jugend in der öden deutschen Provinz, auf gelangweilte Pausenplatzschläger und Billigdrogenopfer, die sich bei Dealern zuknallen, die abwechslungsweise Bob Marley und die Naziband Landser hören – am Ergebnis würde sich nichts ändern: «Alles brennt» ist der schönste Soundtrack zu befreiender Selbstzerstörung in diesen aufgepumpten, neoliberalen Zeiten seit Chuck Palahniuks «Fight Club»: «Ich mach kaputt, was mich kaputt macht: Mich selber.» Applaus.
Auf ins Hipsterdrittland
Die Reise beginnt in einer Selbsthilfegruppe, in der in den ersten Zeilen gleich mal ein paar Dinge klargestellt werden, ein paar Heiligtümer vom Schrein gestossen und ein Mos-Def-T-Shirt zerrissen wird: «Ihr wollt Hip-Hop so wie früher? Früher gab es Hitler / Früher war es schlecht / ZM: Wir sind eine Grauzonen-Band / Weil wir uns nicht distanzieren von unseren autonomen Fans.»
Zur Beruhigung der Nerven wird auf dem nächsten Stück dann zuerst einmal halluzinogenen Drogen gehuldigt, bevor man nach «Plattenbau O.S.T.» diese Woche nur mit einem Schulterzucken zur Kenntnis nehmen konnte, dass es in Deutschland so viele Arme gibt wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Der ziemlich grenzwertig-pathetische Popsong zeigt das alles auf: Was in der Röhre der Glamour und die TV-Komödie ist, ist im echten Leben betäubendes Gas, Billigschnaps, Plattenbau und ein Tanz im Blaulicht der Krankenwagen.
«Oranienplatz» ist die Geschichte von Flucht und unterlassener Hilfe und setzt dort an, wo Grim104 auf seiner gleichnamigen EP und dem Stück «Der kommende Aufstand» aufgehört hat: «Drittland» reimt sich auf «Heimat der Hipster», einem von Flüchtlingsprotesten und faktischer Polizeibesetzung durchgeschüttelten Berlin-Kreuzberg, «wo sich Argwohn in den Blick legt, wenn ein schwarzer Mann im Park steht». Man muss sich dieses Album wirklich geben, allein auch um zu begreifen, dass sich die viel gescholtenen Jungen, als die man die beiden Mittzwanziger bezeichnen darf, in Zeiten Goldener Morgenröte, Lampedusa und Finanzkollaps mit mehr beschäftigen als mit sich selbst.
«Mein Guccibauch sagt nein»
Obwohl: Nach den folgenden zwei Stücken, dem Höhepunkt des Albums, «Grauweisser Rauch» und «Endlich wieder Krieg», ist man sich dann doch nicht mehr so sicher, ob die beiden Spassvögel wirklich mehr anstellen in ihrem kleinen, kläglichen, zugekoksten deutschen Rotzleben, als Hymnen zu basteln für den eigenen goldenen Schuss oder ein ordentliches Fanmeilenmassaker «und dabei grinsen wie Master P», während sie Coca-Cola trinken, «Gewerkschafterblut / es gibt nix Richtiges im Falschen / deswegen schmeckts mir auch so gut». Schliesslich träumt Testo, der Hooligan, auch nur von all dem, was Snoop Dogg schon lange hat: «Staiger sagt: Nur weil viele arm sind / bist du so reich / Mein Kopf sagt ja / Aber mein Guccibauch sagt nein.»
Dann erfüllen sich die beiden noch einen kleinen Skinhead-Lebenstraum: einen Film drehen, in dem ein paar Bullen Hippies verhauen, während im Hintergrund The Doors klimpern: «Oi!» Das koloniale «Blackfacing» der Gentrifizierung heisst übrigens «Crackfacing», erfahren wir auf «Agenturensohn»: Werber mit tätowierten Händen im Junkie-Chic beim Biobäcker. Zeit, dass alles brennt.
Zugezogen Maskulin spielen am 14. April 2015 im Zürcher «Exil».