Am Fenster: Bondys Premiere

Nr. 46 –


Da schreibt ein berühmter Regisseur einen Roman, aber sein Held ist ein Niemand: der treue, opportunistische Mitarbeiter eines grossen Regisseurs, sozusagen sein Schatten. Diese Konstellation liefert Luc Bondy eine gute Perspektive, um sarkastisch die Schattenseiten der Theaterwelt zu schildern. Wichtiger sind ihm jedoch die Schattenseiten des Lebens an sich, die er mit feiner Ironie aufblättert.

Der Ich-Erzähler Georg Donatey geht auf die siebzig zu; er ist krank und kann kaum gehen. Seine Freundin lässt ihn immer öfter allein, sein Meister ist gestorben, und ausserdem ist der Berufsstand des Regisseurs ausgestorben, etwa um 2014. Das ist in der Erzählzeit schon einige Jahre her, sodass sich niemand mehr etwas unter dieser Tätigkeit vorstellen kann. Viele Theater sind zu Schwimmbädern oder Parkhäusern umgebaut worden.

2013 läuft Bondys Vertrag als Intendant der Wiener Festwochen aus, sein Roman liesse sich als persönliche pessimistische Zukunftsvision deuten. Aber das Leben des Georg Donatey ist reich. Er steht am Fenster und sieht draussen die Vergangenheit auftauchen: sich selbst als Kind, das sich auf dem Spielplatz die Knie vorsätzlich blutig schlägt, seine jüdischen Vorfahren, verstorbene Freunde. Er spricht mit den Toten und sieht sie in einem neuen Licht, nicht mehr nur in Bezug zu sich, sondern als unabhängige Wesen.

«Am Fenster» hat Bondy seiner Mutter gewidmet. Auch wenn wir ihm darin folgen, dass der Roman nicht autobiografisch ist: Diese Mathild Donatey aus Offenburg, die sich stets weigerte, ihrem Sohn von der Zeit der Flucht und Emigration zu erzählen, und die ihm einige böse Briefe hinterlassen hat, ist eine starke Figur: Präsenter als Georgs junge Gefährtin Seraphine, die mit ihm lebt – und doch viel schattenhafter wirkt als die Schattenwesen am Fenster. «Wo das Leben aufhört und man nur noch vegetiert, da beginnt vielleicht das Leben», sinniert Donatey. Man kann sich diesen heiteren Melancholiker wahrhaft als glücklichen Menschen vorstellen.

Luc Bondy: Am Fenster. Roman. Zsolnay Verlag. Wien 2009. 160 Seiten. Fr. 31.90